Auf Tuchfühlung im Banat und anderswo

Sigrid Katharina Eismanns Gedichtband „Dschangakinder“

Die in Temeswar/Timi-{oara geborene und aufgewachsene Sigrid Katharina Eismann, Dichterin, Erzählerin, Künstlerin, Performerin und Vortragskünstlerin hat zwei Jahre nach ihrem ersten Roman „Das Paprikaraumschiff“ im danube books Verlag, Ulm und fünf Jahre nach ihrem ersten Lyrikband „Reise durch die Heimat – von Offenbach nach Temeswar“ im Größenwahn Verlag, Frankfurt 2022 eine neue Sammlung von Gedichten vorgelegt. „Dschangakinder“ ist das zweite Buch in danube books. 96 Gedichte gegliedert in zehn Kapiteln verbinden bei einer weiten thematischen Spannbreite und dem Gewicht der jeweiligen Themen eine Leichtigkeit der Gedichte, die einen Zauber verbreiten, der Sprachvertrauen erfordert, mit der schnellen Rhythmik ihrer Strophen. Sprachvertrauen in Wortschöpfungen, Metaphern, Bilder fordert Eismann von ihren Lesern und schenkt ihnen die Freiheit der Interpretation ihrer Gedichte über wahre Geschichten und Erinnerungen. Als Leser folgt man ihr willig und spürt die Faszination in diesen bunten vielsprachigen Versen, dennoch werfen uns manchmal die angedichteten Verse Fragen auf, die wir als Leser freimütig genießen und in unsere eigene Welt einordnen können. 

Eismann besuchte in Temeswar die Lenauschule und übersiedelte 1981 mit ihrer Familie nach Deutschland. Als Künstlerin machte sie aufmerksam auf ihre Geschichte erzählende Skulptur „Nach dem Fest das Fest. Grenzgänger“, die 2018 im Do-nauschwäbischen Museum in Ulm ausgestellt war und in diesem Jahr im Mai im Stefania-Palast in der Kulturhauptstadt Temeswar präsentiert wird. Eismann hat ihre Thematik gefunden. Am liebsten erzählt sie Geschichten von ihren Erlebnissen in Temeswar. Es war ihre Wiege, ihre Stadt der Kindheit, ihr Zuhause im Vorort Freidorf, wo sie zusammen mit ihrem aus Tolwadin/Liveziile stammenden Vater, der Freidor-fer Mutter und dem Bruder ein Vorstadthaus bewohnte. Ihre Erfahrungen der Kindheit, die Baustelle Heimat, die sie als Jugendliche zur Ausreise nach Deutschland 1981 verlassen hat, hat sie nie losgelassen. Sie ist wie die Großmutter in ihrem Gedicht „nie abgereist / ein Bündel Schlüssel im Tresor / nur im Plural erhältlich / sie ist ein Chamäleon“. Thematisch sind die Gedichte geordnet und übertitelt: „Fantastische Frauen“, „Fünf Minuten Offenbach“, „Wortmund“, „Mainbogen“, „Grenzwert überschritten“, „Klangscherbett“, „Donau – Die Nomadenbraut“, „Grenz-gängerin“, „Auf dem geflickten Hosenboden der donauschwäbischen Autobahn“, „Dschangakinder“. 

Der Stoff der Bücher von Eismann ist heiter, weit, ernst, hell und dunkel zugleich. Es geht um die Zeit der Diktatur, den Kommunismus in Rumänen, sie bewegt sich im Raum des Donaubeckens, der Heimat der Banater Schwaben, aber auch in ihrer Heimat Offenbach, und immer verbindet sie den geschichtlichen, sprachlichen und kulturellen Hintergrund der Landschaft mit der Dichtung. Sie beschreibt „fantastische Frauen“, die Trachtenfrau (Die Tuchfühlerin, Trachtenspektakel), die Marktfrau (Fratschlerin), die Künstlerin. Sie widmet Verse Weltkünstlerinnen und Schauspielerinnen, wie Norma Jean, Frida Kahlo, Meret Oppenheim, den Frauen der Gruppe Pussy Riot oder Banater Dichte-rinnen wie Ilse Hehn oder Herta Müller. In den Frauengedichten wird in „Junimongolen“ die Banater Pipatsch – Mohnblume - personifiziert, der „Großmutterbaum“ steht im Garten mit „ausgewurzelten Möhren / im schwarzerdigen November“. Natur weckt Erinnerungen. Kunst und Literatur, Urbanes und Magisches finden sich wieder und immer wieder in den großartigen lebendigen Wortspielen. Es entstehen bunte, abwechselnde Bilder und ganze Landschaften werden zum Leben erweckt. Sie ist eine Wortzauberin, wenn man den Ausdrücken auf den Grund gehen will, so hat man die Freiheit des Rätselns, was die Dichterin meint. Aber immer sind die fremden Begriffe in den Zauber der Landschaft, der Vergangenheit eingedichtet. Sie verherrlicht nicht die Vergangenheit, sondern poetisiert sie: „Sehnsucht ist eine Paradeis / Krempita / Haus ohne Heimat / Doch aus Schlagobers / Kontrabass in der Garage / Vaters Regenschule / Mutter im Zauberwald / verschlagene Abhörzentrale / draußen vor der Tür / flirrendes Exil“ („Frauen lesen Geschichten“). Ihre Gedichte kennen kein Punkt und Komma, freie Verse überall einsetzbar, versübergreifend, Reim und Rhythmus in vielen Strophen und immer wieder die versübergreifende Melodik. Der Zauber der Melodie und Sprache fängt bereits mit dem Buchtitel liefernden Gedicht „Dschangakinder“ an. Die Dschanga war der Name für die Straßenbahn der Vorstadt, auch die Elektrische genannt, die in Temeswar täglich die Schüler und Bewohner beförderte. „… ein polentagelber Schlauch / rumpelt in die Innere / Dschangakinder aufspringen!... sieben Sprachen fröschgöscheln /im Handtuchgärtchen / Zimmer und Kuchel / Herzgruben / unter der Tuchent / Gepolter im Rücken...im Pondjola / aus Vorstadtseide / schleppten sich / Mütter und Tanten / durch den Tag / zu den Verwandten / nach Tarzania / an der Endstation / flammt die Zuckerfabrik / tanzt der Mond / Akazien weißbestrumpft…“. 

Mit Einflechtung von Regionalismen, Mundart oder Dialekt und zahlreichen Wortschöpfungen, Metaphern, Neologismen und Fremdwörtern erzeugt die Dichterin eine Lebendigkeit der Zeilen, die erdichtet verdichtet eine aufmerksame Lesart fordern.  Temeswarer Gassendeutsch wechselt ab mit Hochdeutsch, Wienerdeutsch, Banater Mundart und rumänischen, ungarischen, serbischen Ausdrücken. So mancher ortsfremde Leser wird sich eine bunte Wortliste anlegen: Zecker, Pionierkrawatten, polentagelber Schlauch (die Dschanga), transsilvanienblau, Pondjola aus Vorstadtseide, Tarzania, Wojewodenstühle, Kondi-Miniaturen, Securitateakte, Tokajer Sentimente, Schichtarbeiterinnen, Abhörzentrale, Häkeltaschen, Elektrische usw. usw. Jedes der Gedichte bringt neue Wortschöpfungen zu Tage, die hinterfragen, begeistern. Sie verleihen der Lyrik eine Melodie, vertont würde sie heiter und munter daherkommen wie ein Rapp oder ein Volkslied. In den Gedichten „Wechselschritt“, „Vorort verwortet“, „Dschanga Manga“ weilt sie wieder in den Erinnerungen und verdichtet Erlebnisse, Ereignisse von Tanzveranstaltungen, Treffen der Ausgesiedelten oder Café-Klatsch. Die Macht der Sprache körperlich, seidig, fürchterlich ist Buchstabe für Buchstabe immer präsent in den Gedichten. Ihre Sprachkiste ist gut gefüllt und trifft immer zielgenau: Czibeser, Bruderherz, die Kettel-Oma, Großmütter in Blumenkleidern, Fratschlerinnen, Petersell-Königinnen aus der Zigeinergass, Expatriierte, Lehrerinnen mit Wasserwelllen, Heimatlose. Endlos fast ist die Reihe der Aufzählungen von erlebten Menschen, Orten. Denn alles, was sie aus der Welt da draußen aufgesaugt hat, notierte sie und lässt es in ihre Lyrik wandern und gibt es an ihre Leser weiter oder gibt es zurück. Es gelingt ihr durch die Dichte der Sprache und mit ihren Wortschöpfungen eine Universalisierung zu schaffen. Im Grunde sind ihre Themen konzentriert auf einige wesentliche Aspekte: die alte und neue Heimat und ihre Menschen, Typen, Erlebnisse und Beobachtungen aus ihrer Umgebung. So schreibt sie auch über Begegnungen mit Dichterfreunden in Weißenfels bei der Exil-PEN-Tagung, bei den Literaturtagen in Reschitza („Cu foc nestins“, „Vom nit verhätschelten Reschitz“), vom Jazz-Festival im Banater Bergland. Diese Gedichte sind in dem Kapitel „Klangscherbett“ eingefügt. 

Manchmal kommen die Gedichte jedoch ganz leise daher, fast melancholisch, nachdenklich im Ton, zurücknehmend und kurz wie etwa „Verlassenes Dorf“, „Grenzgängerin“, „Hinter der Fliegentür“, „Die Windkapelle“, „Fluten“, „Nostalgietagung“, „Mainbogen“, „Die Geigerin“, „Die Tuchfühlerin“. Das lyrische Ich taucht ganz selten auf in den Gedichten. Die Dichterin datiert nur einige ihrer Gedichte, so dass eine Diskussion geführt werden kann, wie historisch Lyrik sei, aber dass das Gedicht „den Akut des Heutigen“ trage, wie Paul Celan es einmal formulierte, trifft auch auf die Gedichte Eismanns zu. Ihr poetologisches Credo bewegt sich in der Wiederbelebung der Zeit des Kommunismus in Rumänien mit Aspekten des Wegreisens und der Ankunft in einer anderen Welt. Der Rückblick auf die Vergangenheit ist ein bleibender historischer Verdienst. Die Gedichte, die den Städten Temeswar und Offenbach gewidmet sind, bilden einen Spannungsbogen vom Banat an die Donau bis an den Main – ein Kreislauf der Fortdauer und des Vergänglichen. „Temeswar, du warst verlobt mit deinen Vorstadtrosen / verwohnten Hinterhöfen, amourösen Ganoven / wachgerüttelt von rabiaten Straßenbahnen…“ („Aus dem Kaffeesatz ein Satz“). „Offenbach nackt / Schaufenster bepackt / mit Fahrrad und Kuscheltieren / frischer Herbstwind zieht / durch den Dostojewski-Stall / weder Heizung noch Sponsoren / den Goetheplatz bespielen…“ („Vom Rapper & Klein Al Pacino“). Der Umschlag des Buches ist mit einem Auqarell der „Dschanga“ in Temeswar von der Autorin illustriert.

Lilia Antipow schreibt in ihrem Nachwort „Die Lyrik ist eine Form des Seins, eines Seins, das dem Bewusstsein und Denken der Lyrikerin S. Katharina Eismann entsprungen und allein und einzig dort lokalisierbar ist.“ Ein Buch, das heiter und traurig zugleich macht, das bewegt und erinnert. Sehr zu empfehlen. In der Kulturhauptstadt Temeswar liest S. Katharina Eismann am 19. Mai im Festsaal der Lenauschule aus ihren Büchern.