In der Stuttgarter Staatsgalerie sind derzeit Gemälde, Grafiken und Skulpturen französischer Impressionisten zu bewundern, die allesamt aus eigenen Beständen stammen, ergänzt durch verschiedene Leihgaben der Freunde der Staatsgalerie. Die Ausstellung, die auch Vorläufern und Wegbereitern des Impressionismus sowie post- und neoimpressionistischen Richtungen (Pointillismus, Divisionismus, Malerei der Nabis) Raum gibt, gliedert sich in fünf Abteilungen, die folgenden, von den Impressionisten besonders bevorzugten Gattungen gewidmet sind: Landschaft, Interieur, Porträt, Akt, Stillleben.
Im ersten Ausstellungsraum hängen durchweg Landschaften in Öl, die die lichte Farbenwelt des Impressionismus überreich erstrahlen lassen. Beim Betreten dieses Raumes fällt der Blick des Besuchers sofort auf Claude Monets Gemälde „Felder im Frühling“ (1887). Durch hoch stehendes Gras schreitet eine Frau mit Sonnenschirm und rotem Handtäschchen vor dem Mittelgrund dreier hoher Bäume, in deren Blattwerk und Kronen sich der Betrachter völlig verlieren kann. Das blauweißgrüne Gewirr von Pinselstrichen, das das Spiel des Lichts und die Bewegung der Blätter im Wind malerisch realisiert, wird gleichsam zu einem Gemälde im Gemälde, zu einer abstrakten Fläche im konkreten Raum, zumal sich das Blättermotiv nahezu über die Hälfte der gesamten Bildfläche ausbreitet. In der linken Bildhälfte wiederholt sich dieselbe Konstellation: Eine Frau mit einem Kind auf dem Arm spaziert durch die Wiese vor dem Mittelgrund eines einzelnen Baumes. Den gemeinsamen Hintergrund beider Szenen bilden weitere Felder und Bäume sowie Hügel, die den Bildhorizont abschließen.
Betrachtet man dagegen Landschaftsbilder von Gustave Courbet oder Camille Corot, die ebenfalls im ersten Ausstellungsraum hängen, dann kann man ermessen, wie weit der Weg von deren Kunst zur flirrenden Lichtwelt des Impressionismus noch war, und wie sehr doch die Maler des französischen Realismus, der Schule von Barbizon oder auch der englischen Landschaftsmalerei (John Constable ist in der Ausstellung ebenfalls vertreten) an der Bereitung dieses Weges mitgewirkt haben. Neben Claude Monets Seestück „Das Meer bei Fécamp“ (1881) verdienen in diesem ersten Ausstellungsraum noch Werke von Camille Pissarro, Paul Signac, Alfred Sisley und dem weniger bekannten Armand Guillaumin, der mit einer „Flusslandschaft im Département Creuse“ (1895) vertreten ist, besondere Beachtung.
Im zweiten Ausstellungsraum, der in mehrere Abteilungen untergliedert ist, setzt sich die Landschaftsthematik zunächst fort, und zwar in der Gegenüberstellung von Mensch und Natur. Hierbei lassen sich grundsätzlich zwei künstlerische Herangehensweisen unterscheiden: eine, die das Individuum in eine Art Arkadien, ein goldenes Zeitalter, ein irdisches Paradies versetzt, und eine andere, die das moderne Leben – „la vie moderne“ in Baudelaires Worten –, die Großstadt und die Arbeitswelt malerisch zu bewältigen versucht. So findet sich hier das Ölgemälde „Der Gärtner“ (1899) von Camille Pissarro, das die beiden erwähnten Richtungen harmonisch miteinander vereinigt, ähnlich der Lithografie „Im Obstgarten“ (1883) von Vincent van Gogh, wo die im japonistischen Stil dargestellten, gleichsam schwebenden Zweige der Obstbäume einen deutlichen Kontrast bilden zur mühseligen Arbeit des Obstgärtners, der mit Spaten und kräftiger Hand im Erdreich wühlt. Zu erwähnen ist hier auch die Bleistift- und Federzeichnung Paul Signacs „Der Dreimaster“ (1895), in der pointillistische Technik und ornamentale Malweise eine gelungene Verbindung eingehen.
Zur Abteilung der Interieurs lässt sich neben anderen auch das großformatigste Bild der Ausstellung zählen, Pierre Bonnards Ölgemälde „Die Familie Terrasse“ (1902), obwohl das Bild eine Gartenszene wiedergibt. In dem blühenden, paradiesisch anmutenden Garten sind Stühle, ein Tisch, ja sogar eine Chaiselongue aufgestellt, die die Außenwelt in eine Innenwelt verwandeln. Im Garten tummeln sich ein Dutzend Menschen, im Haus dahinter, im Fenster und an der Balkontür, werden drei weitere sichtbar, dazu mehrere Katzen und Hunde: eine Generationen umspannende Familienidylle, ein erhabenes Wohnzimmer im Freien.
Verschiedene Stillleben schließen sich an die Präsentation malerischer Interieurs an: das Ölbild eines Loing-Hechtes von Alfred Sisley, das „Stillleben mit blauer Kanne“ von James Ensor, eine „Fruchtschale“ von Pierre Bonnard und das berühmte „Stillleben mit Totenkopf und Leuchter“ von Paul Cézanne, wie die vorgenannten ebenfalls ein Ölgemälde. Sehr schön tritt dabei der Gegensatz zur traditionellen Stilllebenmalerei ans Licht. Den Impressionisten geht es weniger um eine symbolische oder gar illusionistische Darstellung realer Gegenstände, sondern vielmehr um die Hervorkehrung des Eigenwertes von Farben und Formen anlässlich der malerischen Erfassung gegenständlicher Objekte.
Einen breiten Raum nimmt in der Stuttgarter Ausstellung die Gattung des Aktes ein. Die Impressionisten lösten sich dabei ganz aus den mythologischen und religiösen Traditionen, indem sie nicht mehr auf antike oder biblische Sujets zurückgriffen, sondern den Akt als eigenständige und unabhängige Bildgattung etablierten. Detailtreue, anatomische Korrektheit und Naturnähe waren den Impressionisten dabei weniger wichtig, es ging ihnen vielmehr um atmosphärische Evokation, gestalterische Andeutung und abstrahierende Reduktion auf Umrisse und Binnenlinien. Hier sind Ölbilder von Paul Cézanne und Auguste Renoir, die allesamt Badende darstellen, zu erwähnen, vor allem aber das selten gezeigte Pastell „Das Wannenbad“ (1889) von Edgar Degas, das das wunderbare Motiv der langen fallenden Haare verwendet, vergleichbar der Lithografie „Nach dem Bad“ (1891/92) desselben Künstlers, wo die Haarpracht auf die Steinmaserung ausstrahlt und gleichsam in diese hinüberwallt. Von Auguste Rodin ist ein herrliches, wie hingehaucht wirkendes Aquarell mit Bleistift aus dem Jahre 1902 zu sehen, das einen bis zu den Knien im Wasser watenden weiblichen Akt zeigt, der Atlas und Christophorus gleich einen lang gestreckten männlichen Akt quer auf den Schultern trägt. Ein Bronzetorso desselben Künstlers aus dem Jahre 1891 zeigt ein gewagtes Motiv, wenngleich mythologisch verbrämt: Iris, die Götterbotin, mit weit geöffneter Scham, vergleichbar etwa dem Skandalbild „Der Ursprung der Welt“ (1866) von Gustave Courbet, das im Pariser Musée d’Orsay hängt.
Die Porträtkunst der Impressionisten ist in der Stuttgarter Ausstellung vor allem durch Gemälde von Auguste Renoir, Théodule Ribot und Félix Vallotton vertreten. Renoirs im Jahre 1875 von „Madame Victor Chocquet“ angefertigtes Porträt steht dabei noch in der Bildtradition der Renaissance (insbesondere bei der Darstellung von Kopf, Gesicht und Händen), löst sich aber zugleich von dieser durch die impressionistische Gestaltung des weißen Kleides sowie des lichten Hintergrundes mit Vorhang und Kommode. Die Porträtskulptur „Die Pförtnerin“ (1883/84) aus Gips und Wachs von Medardo Rosso beeindruckt durch die Unbestimmtheit der Formen und durch ihre Bewegtheit. Interessant sind auch Lithografien und Kohlezeichnungen von Eugčne Carriere, die in ihren darstellerischen Ausführungen bereits Techniken der modernen Fotokunst vorwegnehmen. Werke von Paul Gauguin, Paul Sérusier, Maurice Denis und Aristide Maillol runden das Ensemble der in der Staatsgalerie gezeigten Werke ab, wobei im dritten Ausstellungssaal der Baudelaire-Zyklus „Les Fleurs du Mal“ (Die Blumen des Bösen) von Odilon Redon besondere Erwähnung verdient. Es handelt sich um insgesamt neun Radierungen, die sich als bildhafte Interpretationen zu Gedichten Baudelaires verstehen. Jedes der Blätter zitiert Verse Baudelaires und übersetzt sie zugleich ins Visuelle: „Volupté, fantôme élastique!“ liest man da und sieht einen stehenden weiblichen Rückenakt, der mit dem rechten Bein auf einem Bett kniet. Noch bis zum 13. November kann diese sehenswerte Impressionisten-Ausstellung in der Stuttgarter Staatsgalerie besichtigt werden.