Auch bei der diesjährigen Folge des Enescu-Festivals zählten wieder berühmte Pianisten, die zugleich als Dirigenten auftreten, zu den Hauptattraktionen der musikalischen Großveranstaltung, die im Jahre 2015 unter ihrem derzeitigen künstlerischen Direktor Ioan Holender erneut stattfinden wird, wenngleich in zeitlich und finanziell reduzierter Form. In der ersten Woche des diesjährigen Enescu-Festivals war Daniel Barenboim zusammen mit Radu Lupu bei der Darbietung des zehnten Klavierkonzerts (KV 365) von Wolfgang Amadeus Mozart im Großen Saal des Palais zu hören gewesen. In der zweiten Festivalwoche hatte Rudolf Buchbinder an zwei Abenden im Athenäum sämtliche Klavierkonzerte mit Opuszahl von Ludwig van Beethoven dargeboten. Und zu Beginn der dritten Festivalwoche hatte Christian Zacharias bei zwei Mitternachtskonzerten im Athenäum die Mozartschen Klavierkonzerte Nr. 15 (KV 450) und Nr. 23 (KV 488) als Dirigent und Solist zu Gehör gebracht.
Ein Orchester zu dirigieren und gleichzeitig als Solist aufzutreten, stellt eine große Herausforderung für jeden Musiker dar, der sich einer solchen Doppelbelastung stellt. Als Solist muss er sich ganz in seinen Part versenken, als Dirigent muss er sich über Orchester und Soloinstrument erheben und, im wahrsten Sinne des Wortes über ihnen stehend, auf sie einwirken. Dabei spielen auch ganz prosaische Dinge eine Rolle wie etwa die räumliche Position des Solisten auf der Bühne, der Blickkontakt zum Orchester und die durch ausreichende Probenzeit entstandene Vertrautheit zwischen Solist und Instrumentalensemble.
Vor allem aber musikgeschichtliche Faktoren spielen eine große Rolle, wenn es um die gelungene Realisierung einer Personalunion von Dirigent und Solist geht. Bei barocken Solokonzerten etwa ist das Zusammenspiel von Solist und Orchester mit weniger Schwierigkeiten behaftet, auch wenn die technischen Anforderungen an den Virtuosen dabei nicht weniger hoch sind. Fabio Biondi hat dies als Sologeiger-Dirigent seines Barockensembles „Europa Galante“, das in der ersten Festivalwoche mit sechs Violinkonzerten von Antonio Vivaldi im Athenäum gastierte, eindrücklich unter Beweis gestellt.
Anders sieht die Sachlage bei pianistischen Solokonzerten von Wolfgang Amadeus Mozart aus, und wieder anders bei Klavierkonzerten von Ludwig van Beethoven. Daniel Barenboim hat bei der Darbietung des zehnten Mozartschen Klavierkonzertes mustergültig vorgeführt, wie Pianist und Dirigent in der Einheit einer einzigen Person wunderbar miteinander verschmelzen können. Er saß mit dem Rücken zum Publikum und hatte damit das ganze Orchester im Blick, das er mit wenigen Fingerzeigen zu leiten verstand.
Eine große Hilfe war dabei, dass es sich bei der Staatskapelle Berlin um ‚sein’ Orchester handelte, vor allem aber, dass er in Radu Lupu einen kongenialen Klavierpartner hatte, der ihm nicht nur in den gemeinsamen Solokadenzen wunderbar zuspielte, sondern auch ein solides Fundament für das musikalische Gesamtgeschehen bildete.
Der österreichische Klaviervirtuose Rudolf Buchbinder hatte bei der Darbietung der fünf Beethovenschen Klavierkonzerte mit den Opuszahlen 15, 19, 37, 58 und 73 das Orchester der Philharmonie „George Enescu“ zur Seite, das durch sein Können und nicht zuletzt durch seinen engagierten Konzertmeister, der partiell Dirigierfunktionen übernahm, zum Gelingen der Beethoven-Abende im Athenäum beitrug. Dargeboten wurden die fünf Klavierkonzerte nicht in chronologischer Reihenfolge, was mit dem Beethoven-Verständnis des Solisten zusammenhängen mag. Rudolf Buchbinder sieht, wie er anlässlich eines kürzlich gegebenen Interviews bekannte, in Beethovens pianistischem Schaffen keine stringente Evolution, keine kontinuierliche Entwicklung, sondern vielmehr oszillierende Bewegungen der künstlerischen Suche eines Komponisten, der schon in frühen Werken eine erstaunliche Reife zeigte.
Rudolf Buchbinder, der sämtliche Klavierkonzerte auswendig dirigierte, ist ein Beethoven-Kenner par excellence. Im vergangenen Jahr erhielt er für sein neues Beethoven-Album den renommierten Echo Klassik-Preis. Als Sammler von Partituren (Autografen, Erstausgaben, Originaleditionen etc.) verfügt er in seinem Privatarchiv über 38 verschiedene Editionen allein der Beethovenschen Klaviersonaten. Seine überwältigende Beethoven-Kenntnis und seine jahrzehntelange konzertante Erfahrung (sein erstes öffentliches Konzert gab er bereits 1955 als Neunjähriger) flossen in die herrliche Darbietung der genannten Beethovenschen Klavierkonzerte ein, wobei die beiden Erzherzog Rudolph gewidmeten Kompositionen op. 58 und op. 73 („Emperor“) besonders hervorstachen.
Dass es mitunter zu Synchronisationsschwierigkeiten zwischen Solist und Orchester kam, tat dem musikalischen Genuss kaum Abbruch. Allerdings stellt sich grundsätzlich die Frage, ob es überhaupt möglich ist, Beethovensche Klavierkonzerte ohne eine Person am Dirigentenpult aufzuführen. Das Zusammenspiel von Solist und Orchester ist bei Beethoven derart komplex und auf eine solche Weise sinfonisch angelegt, dass es von der Klavierbank aus in seiner ganzen Multidimensionalität kaum angemessen zu bewältigen ist. Bei Buchbinder kam erschwerend hinzu, dass er parallel zum Bühnenrand saß und das halbe Orchester im Rücken hatte. Sein überragendes pianistisches Können und seine Künstlerpersönlichkeit kompensierten jedoch die diversen Schönheitsfehler im Zusammenspiel.
Ganz anders waren wiederum die beiden Mitternachtskonzerte im Athenäum mit Christian Zacharias und dem Lausanner Kammerorchester, die schon bei den zwei vorangegangenen Enescu-Festivals das Publikum mit Klavierkonzerten von Haydn und Schumann zu begeistern vermocht hatten. Bei den diesjährigen beiden Mozart-Konzerten hatte Christian Zacharias den Korpus des Steinway-Konzertflügels tief in ‚sein’ Ensemble hineingerückt, sodass er die hohen Streicher zu seiner Linken, die tiefen zu seiner Rechten hatte und der Bläsergruppe direkt gegenüber saß. So umgeben von den Instrumentalisten, blieb er immer im Zentrum des musikalischen Geschehens, das er als Solist beflügelte und als Dirigent begleitete, indem die Pianistenhände, wenn sie die Klaviatur verließen, jede für sich oder beide gemeinsam unmittelbar zu Dirigentenhänden wurden. Das begeisternde Resultat war ein grandioses Zusammenspiel von höchster Präzision, das die Mozartsche Musik in ihrer ganzen Schönheit lebendig machte.
Auch die Zugaben des Pianisten-Dirigenten waren gerecht verteilt. Als Pianist bedankte sich Christian Zacharias in der ersten Mozart-Nacht mit einer solistischen Einlage, als Dirigent mit einem orchestralen Schlussstück aus der Feder Mozarts. Was die zweite Mozart-Nacht angeht, so war die pianistische Zugabe in deren Programm gewissermaßen bereits inkorporiert: Christian Zacharias spielte nach dem 23. Klavierkonzert Mozarts noch dessen Fantasie in d-Moll (KV 397) für Klavier solo.
Dennoch wurden dem Dirigenten und seinem Orchester nach der Darbietung der letzten drei Sätze der sogenannten „Posthorn“-Serenade (KV 320) zu tiefer Nachtstunde von einem begeistert applaudierenden Publikum noch zwei weitere Zugaben abgefordert, darunter die Ouvertüre zur Oper „Die Hochzeit des Figaro“, die den Nachtschwärmern ein beschwingtes Geleit für den Nachhauseweg gaben.