Im Nationalmuseum der rumänischen Literatur (MNLR) in der Bukarester Calea Griviței 64-66 ist derzeit und noch bis zum 10. April dieses Jahres täglich außer montags eine Ausstellung zu sehen, die japanischen Farbholzschnitten aus der Edo-Zeit (1603-1868) gewidmet ist. Die prächtigen Farbdrucke aus der Privatsammlung des Bukarester Rechtsanwalts George Șerban wurden vom Ausstellungskurator Alexandru Chituță trefflich arrangiert und sind in den drei Sälen im Erdgeschoss des MNLR ästhetisch gelungen zur Geltung gebracht.
Die am 5. Februar im Beisein des Botschafters Japans in Rumänien, S. E. Hiroshi Ueda, eröffnete Ausstellung wartet mit einer Fülle von Exponaten auf, die alle wichtigen Themen dieser bedeutenden japanischen Kunstform des Farbholzschnitts berühren: Landschafts- und Geschichtsdarstellungen (Yamato-e), Theaterszenen (Kabuki), Porträts von Schauspielern (Yakusha-e), Porträts von schönen Frauen wie etwa Geishas oder Kurtisanen (Bijin-ga) sowie freizügige erotische Darstellungen von Liebespaaren (Abuna-e, Shunga).
Zu den in der Ausstellung vertretenen Künstlern zählen Hishikawa Moronobu (1618-1694), Okumura Masanobu (1686-1764), Suzuki Harunobu (1725-1770), Isoda Koryusai (1735-1790), Katsushika Hokusai (1760-1849), Keisai Eisen (1790-1848), Kikukawa Eizan (1787-1867), weitere Künstler aus den Malerschulen Torii, Katsukawa und Utagawa und noch etliche andere, die allesamt Werke des Ukiyo-e schufen, was auf Deutsch mit „Bilder der fließenden Welt“ wiedergegeben wird. Darauf spielt auch der Titel der Ausstellung im MNLR an: „Celebrities of the Floating World“, „Celebri-t²]i din lumea plutitoare“.
Wer die Ausstellung im MNLR in der Bukarester Calea Griviței 64-66 besuchen möchte, muss sich allerdings vorher telefonisch (0762-671698) oder per E-Mail (relatiipublice@mnlr.ro) anmelden, was problemlos vonstatten geht, und ferner bei der Planung des Ausstellungsbesuchs bedenken, dass die Besuchszeit zwischen 10 und 18 Uhr mittags durch eine Desinfektionspause zwischen 13 und 14 Uhr unterbrochen wird.
Den ersten Ausstellungssaal erreicht man rechter Hand durch einen schmalen Gang, in dem man bereits an den beiden Seitenwänden auf die fließende, schwimmende, treibende und auf den Wassern der Vergänglichkeit dahin gleitende Welt der japanischen Farbholzschnitte eingestimmt wird. Kitagawa Utamaro (1753-1806) ist es, der mit Reprints aus dem 20. Jahrhundert den Ausstellungsbesucher sogleich in seinen Bann zieht. Das beliebte Motiv des „Kashima“-Tanzes, ferner zwei weibliche Schönheiten, die unter demselben Schirm dahinwandeln, sowie eine wunderschöne Dame, die einen Insektenkäfig in Händen hält, bereiten den Eintritt in den ersten Ausstellungssaal vor, in dem weitere Farbdrucke des berühmten japanischen Künstlers zu bewundern sind. Die Kurtisane Konosumi beispielsweise hält auf einem der Farbdrucke einen Fächer in der linken Hand, auf dem eine Landschaft mit Häusern an einer Küste und dem weiten Meer mit Segelbooten abgebildet ist. Die Landschaftsszene gewinnt dabei eine die Bildkonzeption dominierende Qualität, als seien Meer, Häuser und Boote reale Teile der Szenerie und nicht bloß Bildelemente des Fächers!
Ein weiterer Druck von Kitagawa Utamaro zeigt die Kurtisane Wakaume vom Tamaya-Teehaus in Edo, der Stadt also, die nach dem Ende des Tokugawa-Shogunats im Jahre 1868 in Tokio umbenannt wurde. Weitere historische Frauengestalten wie Tomimoto Toyohina, die Utamaro mehrfach Modell gestanden hat, sind in der Bukarester Ausstellung ebenso zu sehen wie Frauenschönheiten auf der Veranda oder im Gartenpavillon, mit einem Ball in der Hand oder in anderen verführerischen, hingebungsvollen oder auch nur selbstvergessenen, gedankenversunkenen Posen: lesende Frauen, eine Sake trinkende Geisha, eine Kurtisane auf dem Spaziergang mit einer „Kamuro“ (einem jungen Mädchen, das von einer erfahrenen Frau ausgebildet wurde), eine Schönheit, die eine Langhalslaute („Shamisen“) stimmt, Frauen mit Falken oder Papageien oder inmitten von blühenden Blumen, wie etwa im Triptychon „Frauen im Päoniengarten“, das von Utagawa Toyokuni III. stammt, der unter dem Namen Utagawa Kunisada (1786-1865) bekannt wurde.
Nicht nur Frauenporträts, auch Landschaftsbilder des Ukiyo-e kommen in der Bukarester Ausstellung zur Geltung. Von Utagawa Hiroshige (1797-1858) sind etliche Naturbilder zu bewundern. Aus seiner Serie „53 Stationen des Tokaido“ (Tokaido hieß die Handelsstraße, die den Regierungssitz des Tokugawa-Shogunats Edo mit der kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt Kyoto verband) kann man zwei Farbdrucke genießen, wie man auch aus seiner Serie „Acht Ansichten des Biwa-Sees“ drei Bilder bewundern kann: „Herbstmond über Ishiyama“, „Nachtregen am Karasaki“ und „Abendlicht bei Seta“. Von Katsushika Hokusai (1760-1849) sind zwei Bilder aus seiner Serie „36 Ansichten des Berges Fuji“ zu sehen: das als „Roter Fuji“ bekannte Bild „Klare Morgendämmerung bei Südwind“ sowie der berühmte Farbholzschnitt „Die große Welle vor Kanagawa“, das bekannteste japanische Kunstwerk überhaupt.
Weitere Themen des ersten Ausstellungssaales sind Porträts von Herrschern, Kriegern und Adligen. Von Utagawa Yoshitora (1836-1882) ist eine „Schönheit mit Helm“ aus der Serie „47 Ronin“ zu bewundern, wobei die idyllische, ja intime Szene von einem martialischen Kriegerporträt an der Wand überschattet wird. Ein Triptychon desselben Künstlers zeigt den Shogun Tokugawa Ieyasu, der als Begründer des Tokugawa-Shogunats in Japan gilt, im Kreise seiner Noblen. Das Thema „Yoshiwara“ (so hieß das Vergnügungsviertel von Edo) darf natürlich in einer Ukiyo-e-Ausstellung nicht fehlen. Von Keisai Eisen sieht man einen Druck aus seiner Serie „Yoshiwara“: eine schöne Frau, die ein Goldfischglas in Händen hält. Eine Kurtisane mit prächtigem Chrysanthemen-Obi von Kikukawa Eizan, eine lesende Frau sowie eine barfüßige Kurtisane von demselben Künstler runden den Bilderreigen des ersten Ausstellungssaales ab, in den sich auch ein Druck des 1951 geborenen kanadischen Farbholzschnitzers David Bull verirrt hat: ein Porträt des japanischen Dichters und Musikers Semimaru.
Ein Video zum Druckverfahren bei japanischen Farbholzschnitten (wie auch in Saal 2), eine Vitrine mit farbigen Einzelblättern und geöffneten Büchern mit Drucken, eine weitere Vitrine mit Bildbänden zum japanischen Farbholzschnitt (wie auch in den Sälen 2 und 3), Texttafeln mit Erläuterungen sowie eingespielte japanische Musik bereichern das Ausstellungserlebnis im ersten Saal, das sich dann, wenn man ins Foyer zurückkehrt, in den zwei kleineren Sälen linker Hand fortsetzt. Im zweiten Saal sind ausschließlich Schauspielerporträts und Kabuki-Theaterszenen zu sehen, die den Reichtum und die Farbenfreude der japanischen Bühnenkultur mit ihren zahlreichen Requisiten betonen.
Der dritte und letzte Ausstellungssaal (eigentlich ein Chambre séparée mit Vorraum) ist am Eingang mit dem Warnhinweis „18+“ versehen, weil man hier das „Reich der Sinne“ betritt, um den Titel eines japanischen Skandalfilms aus dem Jahre 1976 zu zitieren. Hier findet man in erster Linie Drucke mit erotischen Themen: im Vorraum platonischer und dezenter, im Séparée sensueller und expliziter. Hier finden sich Werke vom Pionier der japanischen Shunga-Kunst, Hishikawa Moronobu, aber auch von Katsushika Hokusai, Keisai Eisen oder von Chokyosai Eiri. Das Ästhetische und das Pornographische halten bei den japanischen Farbholzschnitten einander die Waage, Anziehendes und Anzügliches, Verlockendes und Obszönes amalgamieren sich zu einem Genuss jenseits von Gut und Böse im außermoralischen Sinn, um es mit Nietzschescher Begrifflichkeit zu formulieren. Auch hier bestechen wieder Arbeiten von Kitagawa Utamaro: das Bild einer Pfeife („Kiseru“) rauchenden und lässig-lasziv gekleideten Frau, wobei der Pfeifenrauch als farbloser Prägestempel dem Papier eingedruckt ist; und last but not least das Bild von halbnackten Taucherinnen, die Seeohren („Awabi“) aus dem Meer fischen – in der japanischen Kultur kulinarische Delikatesse und Sexualsymbol zugleich.