Es reicht schon, offenen Auges durch Bokschan zu fahren, um ab der Kreuzung/Abfahrt Richtung Eisenstein in der Skulptur des „Bergmanns“ die Präsenz des vor 50 Jahren verstorbenen Banater Bildhauers - aber vor allem (Porträt-)Malers, und wie nebenbei auch Grafikers - Tibor von Bottlik (16. Oktober 1884, Weißkirchen/Bela Crkva – 13. Oktober 1974, Deutsch-Bokschan) wahrzunehmen, der, wie es selten einem Künstler vergönnt war, das Bild des heutigen Bokschaner Ortsteils Deutsch-/Montan Bokschan (seit 1962 Teil der Stadt Bokschan) durch seine Skulpturen geprägt hat, die auf der Hauptgasse praktisch aufgereiht sind, aber von denen leider viele heute einer dringenden Restaurierung bedürfen.
Zu Tibor Bottlik, der neuerdings ziemlich aufdringlich, auch bei Wikipedia, rumänisch zu „Tiberiu“ und „pictor“ sowie „sculptur român“ gemacht wird, gibt es nicht viel Aufschlussreiches. Über ihn existiert ein Büchlein des gutinformierten Bokschaner Ortshistorikers Carol Brindza, das posthum im „Timpul“-Verlag des Kunst- und Literaturkritikers und -historikers Gheorghe Jurma erschienen ist. Auch der Eisensteiner Mineraliensammler Constantin Gruescu (von dem Bottlik ein lebensgroßes Porträt gemalt hat, das Gruescu in der Galauniform eines Bergmanns zeigt – der er nie war…) hat seine Erinnerungen über Bottlik veröffentlicht. Und bei der Banater Kunsthistorikerin Dr. Annemarie Podlipny-Hehn kann man auch einiges zu Bottlik nachlesen. Vom Bokschaner Kunsterzieher, Maler und Graphiker Peter Kneipp sind handschriftliche Aufzeichnungen – einschließlich Gesprächsnotizen nach Begegnungen mit Bottlik in dessen letzten Lebensjahren – überliefert, die einem letztendlich durch den plötzlichen Tod von Kneipp nicht mehr zustande gekommenen Projekt eines repräsentativen Bandes über Bottlik hätten zugeführt werden sollen. Kneipp ist es übrigens zu verdanken, dass sich in Bokschan über mehrere Jahrzehnte ein Kreis bildender Künstler zusammentat, der in der Banater Kunstszene bereits dicht daran war, sich als „Bokschaner Schule“ durchzusetzen (Iosif Vasile Gaido{, Viorel Co]oiu, Elena H²b²{escu, Peter Kneipp u.a., die sich auf die alte Kirchenmalerschule von Bokschan – Filip Matei, Mihai Velceleanu, und eben auch auf Tibor von Bottlik beriefen). Der Kreis trug den Namen „Tibor Bottlik“.
Nun erinnert das Museum des Banater Montangebiets (MBM) an den 50. Todestag Tibor von Bottliks (er war als Banater Kleinadliger im heute serbischen Banat als Baron zur Welt gekommen, hat den Adelstitel aber nie getragen und lebte auch sonst sehr bescheiden, praktisch nur für seine und mit seiner Kunst und in als „ärmlich“ zu bezeichnenden Verhältnissen) durch eine Ausstellung, zu deren Vernissage am 3. Oktober auch heute noch lebende Vor-Bilder für Bottliks Porträts, die ausgestellt sind, eingeladen wurden.
Das MBM, das über die wohl umfangreichste Sammlung von Malereien und Grafiken Bottliks, fast 100 Werke, verfügt - neben dem Temeswarer Nationalen Kunstmuseum des Banats und der Budapester Nationalen Kunstgalerie die reichste Bottlik-Sammlung – bemüht sich auch, Bottliks im öffentlichen Raum ausgestellte Skulpturen zu schützen und zu wahren. In diesem Sinn hat es 2016 aus dem Hof des stillgelegten Metallbauwerks CMB von Bokschan mehrere von Bottlik realisierte Arbeiterskulpturen in seine Bestände aufgenommen. Es sind Arbeiterbildnisse in Stein und Beton, wie sie in den 1950er Jahren während des Proletkultismus üblich waren und wie sie auch in Reschitza über das Gelände diverser Abteilungen des Maschinenbauwerks UCMR verstreut dastanden und heute (leider) über die ganze Stadt verteilt aufgestellt sind. Jetzt ist das MBM auf der Suche nach kostengünstigen Restaurierungsmöglichkeiten dieser der Ideologie zum Trotz bemerkenswerten Werke.
Bottlik verließ als 18-Jähriger seinen Geburtsort Weißkirchen und begab sich auf Wanderschaft in Sachen Aneignung der Kunst des Malens und Modellierens. Er arbeitete in den Ateliers diverser Künstler von Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts und gelangte auf seiner Kunstwanderschaft nach Wien, wo er sich 1904 an der Kunstakademie immatrikulierte, doch nicht zu lange blieb. Anschließend gelangte er auch in die Kunstzentren München und Paris – hier verkehrte er, nach eigenen Aussagen, im Dunstkreis Picassos, in dessen Umfeld er dem Modegetränk der Zeit, dem Absinth, zusprach. In München und Paris (1904-1914) erweitert er sein Interessengebiet von der Malerei, seine Vorbilder waren eingestandener-maßen Claude Monet und Pierre-Auguste Renoir, in Richtung Bildhauerei, gab aber nie ganz die Grundlagen der akademischen Malerei und Bildhauerei auf, die er für sich in Wien verinnerlicht hatte. Zeitlebens pflegte er beide Zweige der bildenden Kunst – und verdiente damit auch sein bescheidenes tägliches Brot, vor allem, weil er – programmatisch – nie hohe Preise für seine Werke forderte.
Die ersten drei-vier Jahre (1919-1922) nach dem Ersten Weltkrieg versuchte sich Tibor Bottlik als Zeichenlehrer und Kunsterzieher in seinem Geburtsort Weißkirchen. Folgte aber dann – so eine seiner Aussagen gegenüber Kneipp – einer „flatterhaften Liebschaft“ nach Deutsch-Bokschan, wo er sich ab 1927 definitiv niederließ und fortan als freischaffender Maler und Bildhauer in der Kleinstadt lebte. Hier „erarbeitete“ sich Bottlik den Status des „armen Künstlers“, der eigentlich nie mehr sein wollte als ein Künstler, und von den Normal(-klein-)bürgern der Kleinstadt als „Außenseiter“ und „Original“ angesehen wurde.
Neben Porträtmalerei versuchte er sich auch in Landschaftsmalerei; von ihm sind zehn Landschaften in Öl im Besitz des MBM). Er schuf Aquarelle, Klein- und Mikroporträts, satirische Graphik in Tusche, versuchte sich auch in Medaillons, Caméen und sonstigen Kleinskulpturen und eröffnete ein Bildhauereiatelier in der Gasse, die vom Bokschaner Rathaus zum römisch-katholischen Friedhof führt. Fortan bildeten Grabskulpturen eine wichtige Quelle seines Lebensunterhalts. Auf dem naheliegenden Friedhof sind seine Arbeiten in Marmor leicht zu erkennen.
Bottlik übernahm in Bokschan auch öffentliche Aufträge, etwa die Heldenskulptur für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs vor dem Rathaus, wo der „Held“ dabei ist, von seinem Sockel aus eine Handgranate Richtung Osten zu werfen (!), oder die schon erwähnten proletkultistischen Skulpturen im Hof des Bokschaner Maschinenbauwerks, aber auch jene, die entlang der Hauptgasse in Deutsch-Bokschan aufgestellt sind und aus derselben Schaffensperiode stammen (zum Teil sind es Betongüsse, was sie extrem witterungs- und mit der Zeit anfällig gemacht hat), oder die Immaculata Conceptio Beatæ Mariæ Virginis in der römisch-katholischen Kirche. Nicht fremd war ihm auch das Malen von Heiligenbildern in Öl. Diese sind aber fast durchgängig im Privatbesitz (das heißt: auf Bestellung entstanden) und sehr schwierig einzusehen.
Bottlik war für seine Bescheidenheit bekannt, was sich auch in den Preisen äußerte, die er für seine Werke forderte. In seinen letzten unseres Wissens etwa zehn Lebensjahren war es unter der Ärzteschaft des Bokschaner städtischen Krankenhauses üblich – das Krankenhaus gab es damals, zum Unterschied von heute – dass man Bottlik bei Winterbeginn als „Patient“ einen Salon des Krankenhauses reservierte, wo er Wärme und das Essen frei hatte. Menschlich verständlich war es, ganz lupenrein vor dem Gesetz – na ja. Bottlik revanchierte sich, indem er sich die Zeit vertrieb mit Erzählungen aus seinem Leben, für die er jederzeit dankbare Zuhörer fand, aber auch, indem er von Ärzten und auch Krankenschwestern Porträts in Öl malte – sofern ihm das Nötige dazu zur Verfügung gestellt wurde. Das damalige Personal des Bokschaner Städtischen Krankenhauses dürfte landesweit das reichste an Porträts von einem gestandenen Porträtmaler sein. Sein Grab auf dem Bokschaner römisch-katholischen Friedhof wird von seiner Porträtbüste (ein Werk des Bukarester Bildhauers Octav Iliescu aus dem Jahr 1975) gekrönt.
Tibor Bottlik hat schon relativ früh ausgestellt. Zuerst 1906 beim „Herbstsalon“ im Rahmen des „Salons der Unabhängigen Künstler“ und im Nationalsalon von Budapest. 1911 hatte er seine erste Personalausstellung. In Budapest. Daher kommt es auch, dass viele seiner frühen Werke in der Budapester Nationalgalerie aufbewahrt werden. Das allermeiste ist aber in Privatsammlungen weltweit verstreut.
Auch die jetzige Ausstellung „Bottlik und die Zeitgenossen“, anlässlich 50 Jahre seit dem Ableben und 140 Jahre seit seiner Geburt, im Museum des Banater Montangebiets, zeigt einige der in jener Zeit, etwa zwischen 1963 und 1974, entstandenen Porträts aus der Zeitspanne der „Krankenhausaufenthalte“ Bottliks. Gezeigt werden aber nicht nur Ölgemälde und Porträts. Die Ausstellung gewährt einen Einblick in die satirische Grafik Bottliks, zeigt zusätzlich Modellierungen in Gips und Lehm, für Büsten, Skulpturen und Flachreliefs, z.T. waren es Vorlagen für Auftrags-Büsten, die Bottlik sorgfältig in seinem Atelier aufbewahrt hatte. Auffallend die Frauenporträts Bottliks, die von höchster Sensibilität auch für die Einfachste unter den Modellsitzenden zeugt. Interessant auch seine Selbstporträts, eines der Gelungensten auf dem Ausstellungsplakat des MBM. Sie zeigen einen selbstbewussten und mit sich zufriedenen Künstler, der herausfordernd auf den Betrachter schaut, wie um diesen zu mahnen, sich im Leben wie in der Kunst aufs Wesentliche zu konzentrieren. Und das ist nicht unbedingt das Materielle.
Der wichtigste Schüler Tibor Bottliks war der Meister der kinetischen Springbrunnen aus Edelmetall, der ätherischen, sich übers Irdisch-Materielle erhebenden und scheinbar im Raum schwebenden Edelmetallskulpturen mit spiegelnden, silbrig glänzenden glattpolierten Flächen – der eben-falls aus Bokschan stammende Constantin Lucaci. Ihm hat die Stadt Bokschan, fast genau gegenüber der „Heldenstatue“ Bottliks, ein eigenes Museum gewidmet, das Lucaci in seinen letzten Lebensjahren selbst mit einigen seiner repräsentativen Werke dotiert hat.