Calderóns „Großes Welttheater“

Es ist auch heute noch groß

Der Aufstand wird inszeniert.

Das Ende der Königsherrschaft Emanuelas ist gekommen. Fotos: Mag. Ignazius Schmid und Emanuel Ammon

Der Abfall ist eine moderne Plage.

Wer sich mit spanischer Literatur und Dramatik nicht intensiv beschäftigt hat, dem mag der Name Pedro Calderón de la Barca nicht allzu viel bedeuten. Er gehört aber mit dem älteren Lope de Vega zu den ganz großen Dramatikern und Poeten Spaniens.

Pedro Calderón de la Barca wurde am 17. Januar 1600 in Madrid als Sohn einer spanischen Adelsfamilie geboren. Er sollte Priester werden, wurde aber mit fünfzehn Jahren Vollwaise und widmete sich bald der Literatur. 1635, nach dem Tod Lope de Vegas, trat er dessen Stelle als Hofdramatiker an und wurde bald berühmt. Trotzdem nahm er 1640 am Feldzug gegen Katalonien teil und wurde schwer verwundet. Nach dem Tod seiner Frau trat er 1650 dem Franziskanerorden bei und wurde zum Priester geweiht.

Calderóns Werke sind voll tiefgründiger Philosophie und zeigen einen strengeren Stil als die Stücke Lope de Vegas. Die berühmtesten Werke Calderóns sind „Das Leben ein Traum“ und „Das große Welttheater“, die ihn zum Meister des spanischen Theaters machten. Das Mysterienspiel „Das große Welttheater“ ist 1630 entstanden und wurde 25 Jahre später veröffentlicht. Thema ist das menschliche Leben. Der Schöpfergott tritt bei Calderón als der Verteiler der Rollen auf, und jeder erhält dazu alles, was er braucht. Jede Rolle ist eine Allegorie, die für eine bestimmte Seite des Lebens steht, und als Regisseur wird die Welt eingesetzt. Der König, der Bauer, der Reiche, der Arme, das ungetauft verstorbene Kind als Verkörperung der Erbsünde, die Weisheit, die Schönheit … Sie alle erhalten den Auftrag „Handle gut, denn Gott ist Gott!“, und durch die Gnade werden sie immer wieder daran erinnert. Jeder setzt seine Rolle so um, wie es seine Lebensumstände erlauben – die vorgegebenen sozialen und die erarbeiteten moralischen. Ein ständiges Auf und Ab verwebt sich zu einem Muster, und am Ende müssen die Handelnden alles abgeben, was sie vorher bekommen haben. So nackt, wie sie gekommen sind, müssen sie auch wieder abtreten. Die existenziellen Fragen „Was war vor mir?“, „Was wird nach mir sein?“, „Welche Rolle spielen wir in dieser Welt?“, „Was glaube ich?“, „Wie will ich leben?“, „Wie kann ich leben?“, „Worin liegt der Sinn?“, „Wo sind meine Grenzen?“ stehen im Raum und müssen immer individuell beantwortet werden.

Einsiedeln als Schauplatz

Im berühmten Schweizer Wallfahrtsort Einsiedeln wurde schon vor Jahrhunderten Theater gespielt, aber nicht auf dem großräumigen Klosterplatz. Anfang der frühen 1920er Jahre fiel dem damaligen jungen Einsiedler Studenten Linus Birchler die hervorragende Akustik des Klosterplatzes auf, und als Forscher der barocken Kunstgeschichte sah er die Eignung der Klosterfront als wunderbare Kulisse für das Mysterienspiel „Das große Welttheater“. Der nachmalige ETH-Professor und Präsident der Eidgenössischen Denkmalpflege trat an den damaligen Abt Ignaz Staub heran, um die Erlaubnis zu erhalten, den Klosterplatz als Theaterspielplatz zu nützen. 1924 fand die Theateraufführung erstmals auf dem monumentalen Klosterplatz statt, und die Wahl fiel auf Calderóns „Großes Welttheater“.

Nach der Übersetzung von Joseph von Eichendorff führte der deutsche Schauspieler Peter Erkelenz Regie, die Musik komponierten Mönche aus dem Kloster. Bis 1955 inszenierte Oskar Eberle ein pompöses Spektakel mit ausschließlich Laiendarstellern aus dem Dorf Einsiedeln. Bis 1970 folgten drei Aufführungen unter der Regie von Erwin Kohlund, bis das „Theaterkollektiv Alternative“ mit den Schauspielern eine große Protestaktion startete, die alle die gottgewollte hierarchische Ordnung nicht mehr zeitgemäß fanden und sie nicht mehr akzeptierten. Darauf-hin wurde der fünfjährige Aufführungsrhythmus für elf Jahre unterbrochen.

Hans Gerd Kübel als zeitgemäßer Übersetzer und Regisseur änderte auch die Hauptrollen von Einzeldarstellern in Gruppendarstellungen. Eine schweizerdeutsche Übersetzung wurde zunächst abgelehnt, ebenso fand das vom Verein Welttheatergesellschaft gewünschte barocke Historienspiel keine Gegenliebe. 2000 und 2007 wurde unter dem Autor Thomas Hürlimann und dem Regisseur Volker Hesse aus dem „Großen Welttheater“ das „Einsiedler Welttheater“. Die Nachdichtung basiert auf Calderóns „Großem Welttheater“, ist aber im Heute angesiedelt. Es ist eine gottlose Welt, von Anfang an dem Untergang geweiht, und sie bringt die Eingriffe in die Schöpfung zum Ausdruck, die Gier nach Glück, die Jagd nach Größe und persönlichen Vorteilen. Es hat sich also in hundert Jahren einiges geändert am „Großen Welttheater“, aber groß ist es noch immer … Und die Probleme sind in Variationen die gleichen geblieben.

2024: phänomenale 17. Aufführungseit 1924

Waren die Zuschauer zuerst auf dem ganzen Platz als Freilichtbühne platziert, wurde nun mit zwei überdachten halbrunden Zuschauerplätzen als Gegenstück für die beiden ebenfalls halbrunden Arkaden eine gesamte Rundung gebildet, in der sich die Handlung abspielt. Nach 2013 sollte 2020 die nächste Aufführung folgen. Für die künstlerische Leitung stellte sich Autor Lukas Bärfuss zur Verfügung, Livio Andreina als Regisseur. Der Pandemie wegen verschob man die Aufführung zunächst um ein Jahr, dann gleich auf das Jahr 2024. Autor und Regisseur blieben erhalten und hatten nun acht Jahre Zeit für die Vorbereitung – eine Zeit, die sich wahrhaftig gelohnt hat, wie jeder bestätigen kann, der für eine der 35 Aufführungen eine Karte bekam.
Fünfhundert Darsteller aus allen Einsiedler Familien spielen mit Herzblut und Leidenschaft die allegorischen Figuren wie auch die Massenszenen. Der Tag der Verkündigung der zugeteilten Rollen ist für das ganze Dorf ein Tag höchster Anspannung. Zunächst stellen die Protagonisten ihren Unwillen mit der Tradition, das „Welttheater“ zu spielen, dar; sie wollen aufhören. Die Kinder Emanuela und Pablo wollen das nicht zulassen, lieber wollen sie selbst spielen. In den Kindern zeigt sich der Wille, es mit allen Plagen aufnehmen zu wollen: mit den kalten, zerstörerischen Nordwinden, mit Epidemien, Pandemien und dem Tod, mit tauendem Permafrost, mit Waldbränden, Volksaufständen, Jugendbanden, mit der Macht und verschiedenen Elementen … Viele Rollen sind in verschiedenen Altersstufen mehrfach besetzt und zeigen den Lebensweg in geraffter Form. Huldigungsszenen wechseln mit Aufständen, johlenden Volksfesten, Nebelschwaden, Blitz und Donner, starken Lichteffekten … Es ist wahrhaftig keine heile Welt, die hier zum Ausdruck kommt! Bühnenbild ist angesichts der Mächtigkeit von Platz und Klosterfront keines nötig, aber Requisiten und Kostüme sind von kaum je gesehener Pracht und Eindrücklichkeit. Allein eine riesige naturgetreue Gottesanbeterin – als Sinnbild für Heuschreckenplagen – jagt einem Schauer über den Rücken, ebenso die Pestkranken mit ihren Pestbeulen … Die Kostümbildnerin Anna Maria Glaudemans, der Choreograf Graham Smith, die Dramaturgin Judith Gerstenberg, sie alle haben Enormes geleistet. Die Musik von Bruno Amstad, der leider noch vor der Premiere verstorben ist, wurde von Susanne Theiler und Agnes Ryser kongenial umgesetzt und verstärkt akustisch noch die optischen Eindrücke. Die Bärfuss’sche Nachdichtungssprache ist etwas rau, der heutigen Sprechweise entsprechend.
„Das große Welttheater“ ist voller Dramatik, denn das Leben ist und kann nicht statisch sein. Wie Calderón schon vor vierhundert Jahren sagte: „Das Leben ist ein einziger Auf- und Abgang.“ Er hat mit seinem „Welttheater“ etwas angestoßen, das sowohl die ganze Menschheit wie die einzelnen Individuen bewegt und dem keiner entkommt.