Annemarie Ackermann (1913–1994) war eine der ersten weiblichen Bundestagsabgeordneten der jungen Bundesrepublik Deutschland und das acht Jahre lang. Ihr Name ist in den Büchern über die Donauschwaben viel seltener zu lesen als jener männlicher Abgeordneter, wie etwa der ihres Landsmanns Josef Trischler. Sie wurde 1953 auf der Liste der CDU gewählt. Zu jenem Zeitpunkt betrug der Anteil der weiblichen Volksvertreterinnen nur 8,8 Prozent. Sie hatten es sehr schwer, sich auf der von Männern dominierten Bühne Gehör zu verschaffen. Daher war bisher über das Wirken von Annemarie Ackermann sehr wenig bekannt, obwohl Adenauer sie als „fleißige Ameise“ bezeichnet hat. Nun erschien eine von Gudrun Hackenberg verfasste Biografie der Politikerin. Der Titel: Das Geschenk der leeren Hände. Das Vorwort verfasste die Bundestagsabgeordnete Natalie Pawlik, die Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten.
In ihren Zeilen hebt Pawlik die Hartnäckigkeit hervor, mit der sich Annemarie Ackermann in den fünfziger Jahren für die Zusammenführung der Flüchtlingsfamilien und Befreiung von Kriegsgefangenen einsetzte. Ackermann habe vorbildlich als Brückenbauerin zwischen Gesellschaften und Staaten gewirkt, so die heutige Politikerin.
Gudrun Hackenberg, die in Bayern in der Erwachsenenbildung tätig ist, schrieb Ackermanns Biografie aufgrund von Recherchen im Nachlass der Abgeordneten im Donauschwäbischen Institut in Tübingen. Desgleichen wertete sie Protokolle der Bundestags-Ausschüsse, in denen Ackermann tätig war, aus und zwar im Bundesausschuss für Heimatvertriebene, jenem für Kriegsopfer und Heimkehrerfragen, dem Ausschuss für Wiedergutmachungen und dem Lastenausgleichausschuss. Zu ihren Quellen gehörten ferner Stellungnahmen von Ackermann im Presse- und Informationsdienst des Bundestages sowie Interviews mit Ria Schneider, der Tochter der Abgeordneten, sowie weiteren Familienmitgliedern und Zeitzeugen. Die Rekonstruktion der Lebensstationen von Annemarie Ackermann war schwierig, weil sie in den ersten vierzig Jahren keine Spuren im öffentlichen Leben hinterlassen hatte und nichts darauf hindeutete, dass sie ab der 1950er-Jahre eine besonders engagierte Politikerin werden würde.
Ackermann wurde 1913 in Gutacker/Parabusch in der Batschka (heute Serbien) geboren. Ihr Vater starb 1914 und die Mutter 1921. Mit sieben Jahren kam sie in ein Klosterinternat und lebte später bei den Großeltern. Da sie gerne lernte, konnte sie die Reifeprüfung an der Höheren Töchterschule in Graz absolvieren. Sie engagierte sich seit 1929 im Schwäbisch-Deutschen Kulturbund und im Katholischen Frauenbund. Ihre zwei Jahre ältere Schwester starb kurz nach der Geburt eines Sohnes und nahm ihr vorher das Versprechen ab, ihren Mann zu heiraten und den Säugling aufzuziehen. Mit 18 Jahren heiratete Annemarie Matthias Ackermann und bekam im Jahr danach die Tochter Ria, 1936 den Sohn Herbert und 1940 die Tochter Friedel. Probleme hatte sie nur mit dem Stiefsohn, zu dem der Vater auch keine intensive Beziehung aufbaute. Sie arbeitete in der Praxis des Ehemanns als Zahnarzthelferin und hielt gelegentlich Vorträge im Bauernverein. Es gibt keine Informationen darüber, inwieweit sie die zunehmende Ausrichtung des Kulturbundes an den Zielen des Nationalsozialismus mitbekam und wie sie damals den deutschen Angriff auf Jugoslawien wahrnahm. Familie Ackermann lebte 1941 in Novi Sad, als die Batschka von Ungarn besetzt wurde und die Stadt in Újvidék umbenannt wurde. Ihre jüdische Untermieterin konnte fliehen, bevor im Januar 1942 dort als Vergeltung wegen Partisanenangriffen 4000 jüdische und serbische Zivilisten erschossen wurden.
In den ersten Kriegsjahren verlief das Leben von Annemarie Ackermann in normalen Bahnen, denn ihr Mann wurde erst 1944 zum Kriegsdienst einberufen. Als die Luftangriffe auf Novi Sad/Újvidék zunahmen, floh sie mit den Kindern in Richtung Ungarn. Unter-wegs gebar sie im kalten Februar 1945 den Sohn Harro. Sie war erschöpft und fand mit ihren fünf Kindern nur sehr schwer Unterkunft bei Bauern, obwohl alle älteren Kinder Arbeiten übernahmen. 1946 fand sie nach langem Suchen ihren Ehemann und es folgten fünf schwere Jahre in mehreren Flüchtlingslagern in Oberösterreich. Da der Ehemann in den abgelegenen Orten als Zahnarzt wenige Patienten fand, entschloss sich Annemarie zum illegalen Grenzübertritt und schaffte es 1951, den Landrat von Landau zu einer Zuzugsgenehmigung für die Familie in die Pfalz zu veranlassen. Dort konnte der Ehemann die große Familie ernähren und die Kinder erhielten eine gute Ausbildung. Annemarie engagierte sich im Katholischen Frauenbund und bemühte sich um Integration in das örtliche Vereinsleben. Sie schloss sich der CDU an und nicht dem „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“. Dort hatten viele ehemalige Nationalsozialisten das Sagen, die keine Mitschuld an den Kriegsopfern eingestehen wollten. Annemarie organisierte eine Gruppe von geflüchteten Jugendlichen, die an Heimattreffen in der Tracht von Parabusch teilnahmen. Der Leiter der Heimatstelle der Pfalz unterstützte ihre Tätigkeit und sie trat nun öffentlich auf. Sie forderte Flüchtlinge dazu auf, sich möglichst schnell im Arbeitsleben und in lokalen Vereinen zu integrieren, wie es ihre große Familie erfolgreich tat.
Als Annemarie Ackermann 1953 zum ersten Mal in den Bundestag gewählt wurde, hatte sie noch den Status als Displaced Person. Sie setzte sich sofort für die Einbürgerung der 13 Millionen Flüchtlinge ein, was damals noch viele Abgeordnete ihrer Partei ablehnten. Auch die Zahlungen eines Lastenausgleichs an die Flüchtlinge stießen bei vielen Bundesbürgern auf Vorbehalte. Ackermann engagierte sich für die Verbesserung der Lage der Flüchtlinge, von denen viele noch in Baracken leben mussten. Sie kannte das Elend der aus der Batschka Geflüchteten sehr gut. Die meisten waren zuvor Bauern gewesen und konnten nun kein Land erwerben. Sie mussten als unqualifizierte Arbeiter in Fabriken oder am Bau arbeiten. Nur durch jahrelanges Sparen in Genossenschaften und gegenseitige Hilfe konnten sie sich Wohnungen errichten. Da sie in Österreich vier Jahre lang unter widrigen Bedingungen in Internierungslagern gelebt hatte, verlangte sie die Einbeziehung der dort lebenden deutschen Flüchtlinge in das Lastenausgleich-System. In Österreich vertraten damals die meisten Parlamentarier den Standpunkt, dass Österreich als vom Reich besetztes Land nicht für die Kriegsfolgen aufkommen müsse. Nach langen Debatten erhielten auch in Österreich lebende deutsche Geflüchtete eine Entschädigung von der BRD.
1955 nahm Annemarie Ackermann an Adenauers Reise in die Sowjetunion teil, bei der die Freilassung der letzten Kriegsgefangenen erwirkt wurde. Danach bemühte sie sich um deren Integration. Seit 1959 war sie zwei Jahre lang Bundesvorsitzende der jugoslawiendeutschen Landsmannschaft, trat aber zurück, weil sie dort zu wenige Wirkungsmöglichkeiten sah. Sie erwirkte Unterstützung von in den USA und Kanada lebenden Donauschwaben. Als die Zahl der Flüchtlinge aus der DDR rasant zunahm, setzte sie sich dafür ein, diese schnell zu unterstützen.
Aufgrund des schlechten Wahlergebnisses der CDU konnte sie 1961 nicht in den Bundestag einziehen, erst 1965 rückte sie kurz nach für einen ausgeschiedenen Kollegen. Danach folgten nur kurze Beschäftigungsverhältnisse im Presse- und Informationsamt. Zwischen 1965 und 1978 war sie Referentin für Fragen der Gastarbeiter, ihre Kenntnisse des Serbischen waren ihr hilfreich dabei. 1978 wurde sie festangestellte Referentin beim Katholischen Bildungswerk in Köln. Seit 1962 war sie geschieden und nahm trotz gesundheitlicher Probleme bis zu ihrem Tod 1994 regen Anteil am Leben ihrer Kinder und Enkelkinder.
Hackenberg hebt hervor, dass Annemarie Ackermann schon früh sehr selbstständig war: zum Beispiel machte sie 1941 als erste Frau in Novi Sad den Führerschein und reiste später viel mit dem Auto alleine umher. Ihr besonderes Verdienst ist ihre Hinwendung zu den Menschen. Sie setzte sich für Verfolgte in kommunistischen Gefängnissen ein und wirkte bei der Freilassung der Katholiken um die Benediktinerin Hildegardis Wulff, die 1959 nach neunjähriger Haft in Rumänien in die BRD ausreisen durften, mit. Als die Bundeswehr gegründet wurde, sprach sie mit vielen Soldaten, um den in den Kasernen herrschenden Geist zu überprüfen.