Das Nationale Geschichtsmuseum Bukarest präsentiert bis zum 2. September die Sonderausstellung „Eine europäische Erfahrung. Das geschichtliche und kulturelle Erbe der Deutschen in Rumänien“ (O experiență europeană. Moștenirea istorică și culturală a germanilor din România). Die Veranstalter nahmen das Jahr 2019 und somit das 100-jährige Jubiläum der Anerkennung der Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien durch die Siebenbürger Sachsen und der Anschlusserklärung auf ihrer Nationalversammlung am 8. Januar 1919 in Mediasch zum Anlass, dem interessierten Publikum eine umfangreiche Ausstellung unterschiedlichster Exponate aus verschiedenen Epochen der deutschen Siedlungsgeschichte im heutigen Rumänien zu präsentieren. Die vom Historiker Martin Rill kuratierte Schau ist Teil einer Reihe von Ausstellungen, die der ethnischen und kulturellen Diversität des rumänischen Geschichtsraumes gewidmet ist. Die Zusammenarbeit mit insgesamt 20 Partnerinstitutionen garantiert ein möglichst breites Spektrum an spektakulären Ausstellungsstücken aus privaten sowie öffentlichen Sammlungen. So waren an der Entstehung neben dem Nationalen Geschichtsmuseum Rumäniens in Bukarest auch das Brukenthalmuseum, das ASTRA-Museum und das Begegnungs- und Kulturzentrum „Friedrich Teutsch“ aus Hermannstadt/Sibiu sowie weitere Einrichtungen der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien, das Banater Nationalmuseum und die Diözese Temeswar/Timișoara, das Nationale Geschichtsmuseum Transsylvaniens in Klausenburg/Cluj, Museen in Sathmar und im Banater Bergland u. a. beteiligt.
Die Ausstellung ist nach geografischen Regionen strukturiert und ermöglicht einen Einblick in die historische Entwicklung der deutschen Gemeinschaften auf dem heutigen Gebiet Rumäniens – vom Mittelalter über die Zwischenkriegsperiode bis hin zur heutigen Zeit. Dabei verfolgten die Ausstellungsgestalter das Ziel, dem Publikum einen Eindruck von der kulturellen, zivilisatorischen sowie spirituellen Diversität der deutschen Minderheit zu geben. Die ausgestellten Stücke bezeugen die reichhaltige Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen und im Banat, in der Bukowina, in Bessarabien, im Sathmarer Land und in der Maramuresch, in der Dobrudscha sowie im Altreich. Von allen Rumäniendeutschen sind die Siebenbürger Sachsen eindeutig am stärksten repräsentiert und es wird durch die Thematisierung etwa von Handwerkerzünften und Nachbarschaften Einblick in ihr Gemeinwesen geboten.
Zu den außergewöhnlichsten Exponaten zählt der sogenannte „Codex Altemberger“, ein handgeschriebenes Buch mit wertvoller Buchmalerei aus dem mittelalterlichen Hermannstadt, welches zu den ersten bedeutsamen juristischen Werken in unserem Land zu zählen ist. Es handelt sich dabei um eine Sammlung von Gesetzen, die nach deutschem Stadtrecht zusammengestellt wurden. Kalligrafie, ganzseitige Stammbaumminiaturen, Randdekorationen und die dargestellten Gestalten sind Hinweise darauf, dass der Erschaffer des Manuskriptes sich von italienischen und deutschen Buchkünstlern des 13. und 14. Jahrhunderts hat inspirieren lassen. Die Verzierungen weisen vergoldete und farbige anthropomorphe Figuren oder florale Formen auf. Der Codex ist mit hoher Wahrscheinlichkeit im 15. Jahrhundert fertiggestellt worden. Ein zweiter Kopist fertigte im Jahre 1481 im Auftrag der Kreisstadt Hermannstadt die letzten beiden Blätter an, die der Vereidigung des Bürgermeisters dienten. Über mehrere Jahrhunderte schworen die Hermannstädter Gemeindevorsteher, die sich bestimmter Privilegien und eines großen Einflusses auf die gesamte Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen erfreuten, die Rechte der sächsischen Bevölkerung zu respektieren – unter Bezugnahme auf den Codex Altemberger. Die darin befindlichen Vorschriften wurden Hunderte von Jahren bei der politischen Organisation und wirtschaftlichen Reglementierung des Hermannstädter Alltagslebens angewendet. Ab dem Jahre 1787 griffen die Urkunden und Verfügungen Josefs II. und ersetzten somit die Altemberger Vorschriften, womit der Codex zu einem Museumsgegenstand wurde. Ursprünglich war er Teil der Brukenthal-Bibliothek, heute gehört er zu der Sammlung des Nationalen Geschichtsmuseums Bukarest.
Der Namensgeber des Schriftstückes, Thomas Altemberger, wurde 1431 in eine bedeutende Hermannstädter Patrizierfamilie hi-neingeboren. Nachdem er in Wien erfolgreich Recht und Theologie studiert hatte, kehrte er nach Hermannstadt zurück und wurde dort im Jahre 1471 zum Bürgermeister ernannt. 1481 wird er königlicher Richter und schafft es in dieser Position, den König von Ungarn und Kroatien, Matthias Corvinus, davon zu überzeugen, die traditionellen Rechte der Siebenbürger Sachsen zu erneuern.
Ein weiteres bedeutsames Ausstellungsstück ist die sogenannte „Rudimenta Cosmographica“. Hierbei handelt es sich um die in aller Welt am häufigsten vorzufindende Publikation des aus Kronstadt/Brașov stammenden Humanisten Johannes Honterus. Im Jahre 1541 wird in Kronstadt die Erstausgabe der „Cosmographia“, der Weltbeschreibung Honterus’, herausgegeben und ein Jahr darauf, 1542, erscheint ebenso in Kronstadt die Endversion des Werkes. Ursprünglich als Lehrbuch für die Studentenschaft der Kronstädter Schule konzipiert, sind die Originaltexte auf 86 Seiten in lateinischer Sprache und in Gedichtform – in Hexametern – abgefasst. Des Weiteren umfasst das Büchlein von Honterus selbst erschaffene Illustrationen und Karten. Es handelt sich bei der „Cosmographia“ um eine Schulenzyklopädie, welche den kompletten naturwissenschaftlichen sowie sozial-anthropologischen Wissensstand der frühen Neuzeit wiedergibt.
Diese beiden Bücher sind nur zwei Beispiele unter vielen kostbaren Schriftstücken, die in der Schau ausgestellt werden. So können sich die Besucher unter anderem auch am sogenannten „Breviarium Brukenthal“ erfreuen, einem 163 Pergamentblätter umfassenden Stundenbuch, dessen eigentlicher Aufbewahrungsort das Hermannstädter Brukenthalmuseum ist.
Doch die Ausstellung beeindruckt nicht nur durch die Präsentation bedeutender Schriftstücke. Ein weiterer Höhepunkt der Sonderausstellung ist zweifelsohne der Flügelaltar von Dobring/Dobârca. Das Auge des Betrachters wird auch erfreut durch feinste Goldschmiedearbeiten, aufwendig verzierte Trachten, Gemälde, Waffen, Gefäße und Truhen, Helme, Kruzifixe oder eine alte Registrierkasse, die wohl um 1900 einem Laden im Banater Bergland gute Dienste geleistet hat.
Neben der älteren und an faszinierenden Traditionen reichen Geschichte widmet sich die Ausstellung auch schmerzhaften Aspekten, so wird auch die Deportation der Deutschen aus Rumänien im Jahr 1945 in die ehemalige Sowjetunion thematisiert. Zu diesem Zwecke sind in den Ausstellungsräumen auch zwei Videomontagen zu sehen, in einer davon präsentiert der luxemburgische Künstler Marc Schroeder ein Interview mit einem Überlebenden aus Siebenbürgen.
So umfasst die Ausstellung „Eine europäische Erfahrung. Das geschichtliche und kulturelle Erbe der Deutschen in Rumänien“ Zeugnisse mannigfaltiger Art für den großen Einfluss, den die deutschen Siedler in ihrer jahrhundertelangen Geschichte in rumänischen Landen entfalteten. Den Besuchern wird auch in den anderen Ausstellungen in dieser Reihe eindrücklich vor Augen geführt, wie es den Minderheiten gelang, ihre eigene Kultur und die Traditionen – auch unter widrigen Umständen und ethnischer Verfolgung – zu bewahren und zugleich immer wieder bedeutende Beiträge zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu leisten, etwa bei der Entstehung des modernen rumänischen Nationalstaates.
Die Ausstellung kann noch bis zum 2. September 2019, von Mittwoch bis Sonntag, zwischen 10 und 18 Uhr, im Nationalen Geschichtsmuseum Bukarest (Calea Victoriei 12) besucht werden. Leider liegt der zweisprachige Katalog (deutsch und rumänisch) zu der stark besuchten Ausstellung noch nicht auf. Er könnte den Besuch durch umfassende Informationen und zahlreiche Illustrationen grundlegend bereichern und zur Nachhaltigkeit beitragen.