Das Reschitzaer Original, das Fotogeschichte schrieb

Das Museum des Banater Montangebiets veröffentlichte einen Bildband nach Glasplatten aus dem Hermann Heel Fotonachlass

Im Gespräch

Holunderflöte

Beim Mähen

Am Sonntag

Mittagspause

Der Herbst ist da

Beim Umgraben

Am Ziehbrunnen

Ochsenwagen

Unser ehemaliger „Neuer Weg“-Kollege Edmund Höfer (27.3.1933 – 19.8.2014), der bis zu seiner Auswanderung 1988 der allesüberragende Fotograf der deutschsprachigen Presse Rumäniens („Neuer Weg“) war und in Deutschland überhaupt nicht mehr fotografiert hat (…), gleichzeitig unser bislang noch nie ausreichend gewürdigter Kunstfotograf war, mit einem ausgeprägten Hang zum Experimentieren und Ausprobieren alter Fototechniken, zugleich der Fotograf Rumäniens mit den wohl meisten (und höchsten) internationalen Auszeichnungen, pflegte bei seinen Dienstfahrten/Besuchen in Reschitza regelmäßig zwei private Ziele anzupeilen.

Erstens drehte und wendete er sich in Reschitza immer so lange, bis wir irgendein aktuelles Thema im Maschinenbauwerk ausfindig machten. Nicht nur, weil er gerne den kalt-metallischen Glanz frisch polierten Stahls fotografierte und die Reflexe und Blickwinkelblitze, die die bearbeiteten Werkstücke im meist fahl-schummrigen Licht der Werkshallen aussandten – die suchte er instinktiv (mir selbst sind seine Fotos von den riesigen Werkstücken in Erinnerung geblieben, die für Wasserkraftwerke in den Karpaten in Reschitza bearbeitet wurden) – aber vielmehr verharrte er immer vor einem kleinen Anbau unfern des Direktionsgebäudes.

Das war Ziel Nummer Eins für ihn. Ziel Nummer Zwei waren zwei Leute, mit denen er seine Lehrzeit als Fotograf in Reschitza in eben jenem Anbau verbrachte, Franz Hipp, vordergründig ein technischer Zeichner im Maschinenbauwerk, aber auch ein  begeisterter Bergwanderer und -führer sowie Bergfotograf, und Egon Luft, der Chef der Analyselabors des Kreiskrankenhauses, der Chef der Chemikalien, der nebenbei auch fotografierte und Höfer grenzenlos bewunderte.

In dem kleinen Anbau, vor dem Edmund Höfer immer verhielt, hatte der Sohn eines Textilfabrikanten aus Lugosch (die Familie Höfer hatte aus k.u.k-Zeiten einen Kleinadelstitel und -rang) seine Zweitlehre begonnen: er hatte sich beim Werksfotografen Hermann Heel (1895, Cornea bei Herkulesbad – 1964, Reschitza) ab 1956-57 die Kunst und Techniken der Lichtbildnerei angeeignet. In Höfers Fall: verinnerlicht. Zusammen mit Hipp und Luft und einigen weiteren Altersgenossen.

Elke Sabiel nennt Heel im Katalog der ersten Werkschau Hermann Heels, 1997 (!) eine „legendäre Persönlichkeit dieser Stadt“, die „ein Original“ war, „das Geist und Seele vieler prägte, ortsverbunden sich selbst und andere formte“. Diese erste Werkschau war von der „Friedrich Ebert“-Stiftung organisiert und finanziert und von Rudolf Gräf, Francisc Csonka und meiner Wenigkeit zusammengestellt worden. Ziel war es, aufmerksam zu machen auf die in Reschitza noch vorhandenen und verwertbaren historischen und geschichtemachenden Fotos des nur unter Bekannten noch bekannten herausragenden Fotografen Hermann Stephanus Heel. Die (etwas übertrieben und unter uns so genannte) Werkschau wurde aufgrund des damals noch existierenden Fotoarchivs des Maschinenbauwerks UCMR und der umfangreichen, aber wegen der Speicherunterlage Glas extrem fragilen Glasplattensammlung des Reschitzaer Museums des Banater Montangebiets (MBM) zusammengestellt.

Auch dem später überragenden Fotografen Höfer hatte Heel das „fotografische Sehen“ beigebracht – wie Höfer es immer wieder dankbar wiederholte, auch wenn er mit seinen ehemaligen „Lehrpubn peim Moni-Bácsi“ zusammentraf (ein Zusammentreffen, das er in Reschitza regelrecht suchte), mit dem erwähnten Franz Hipp, oder mit Egon Luft (laut Höfer einem entfernten Verwandten von Theodor Herzl – eigentlich Binyamin Zeev Herzl, 1860-1904), aber auch mit Weiteren.

Das Riesenlager an fotografischen Glasplatten, das seinerzeit vom Maschinenbauwerk UCMR entsorgt werden sollte, hat der damalige Direktor des Stadtmuseums von Reschitza (das Vorläufermuseum des MBM), Dr. Volker Wollmann, der zufällig von der „Entmüllungsaktion“ bei UCMR erfuhr, für die Nachwelt gerettet, indem der spätere Frontmann der Industriearchäologie Rumäniens alle seine Beziehungen spielen ließ, damit die Glasplatten dem Museum übereignet werden.

Aber das ist eine eigene Geschichte, die Dr. Wollmann in seiner Autobiografie aufschreiben sollte!

Heute lagern in den Depots des MBM 2136 Glasplatten, die größte Foto-Sammlung auf Glasplatten aus ganz Rumänien. Die Aufnahmen stammen zum allergrößten Teil vom Altmeister und Ex-Fotolaborchef des Reschitzaer Maschinenbauwerks, von Hermann Stephanus Heel – aber auch von seinen „Lehrpubn“.  Doch der oder die Autoren sind in der Regel unidentifizierbar, weil praktisch alle diese Glasplatten die „Handschrift des Auges“ von Heel tragen.

Aus dieser Museumssammlung hat der MBM-Museograf Dr. Felician Velimirovici eine Auswahl getroffen: „Porträts rumänischer Bauern im XX. Jahrhundert“, die Heel während seiner vielgeliebten (und nahezu alljährlichen) Kammwanderungen durch die Karpaten verewigt hat. Sein Schüler Franz Hipp, ein guter Freund von Edmund Höfer, hat praktisch bis zu seinem Tod vor etwa 25 Jahren solche Kammwanderungen unternommen – auch eine Folge der Lehrzeit im „Anbau“ – und in einer umfangreichen – gleicher-maßen unerschlossenen! – Diasammlung festgehalten, die der Autor dieser Zeilen zuletzt in von Hipp angefertigten wabenförmigen Holzregalen, fein säuberlich geordnet, in der Wohnung von Hipp bei dessen Witwe gesehen hat.

Der vorliegende dünne Bildband – knapp 50 Seiten –  erschien 2024 im Klausenburger „Mega“-Verlag und hat ein Porträtfoto von Heel als Titelbild, das genau dem von Höfer überlieferten „Heel’schen Prinzip der Porträtfotografie“ entspricht: „Die abgebildete Person muss vor einem Hintergrund zu sehen sein, der etwas zur Person aussagt!“ (Man erinnere sich in diesem Kontext an die Porträtfotos, die Edmund Höfer in den 1980er Jahren auf der Kulturseite von „Neuer Weg“ in regelmäßigem Rhythmus veröffentlicht hat…).

Genau nach obigem Prinzip geht Heel auch mit den Porträtfotos rumänischer (Gebirgs-)Bauern und -Bäuerinnen vor, die er bei der Arbeit, in Arbeitspausen, auf Versammlungen, beim Wasserschöpfen oder -trinken, bei Versammlungen, auch mal in Festtracht, immer aber etwas verwundert/befremdet auf den Fotografen blickend, festhielt. So, als ob sie in jenem von Heel für die Ewigkeit gebannten Augenblick zum erstem Mal in ihrem Leben einen Fotografen sehen, in etwa ausdrückend: „Hat dieser Stadtbewohner nix Bessres zu tun, als mit so einem Gerät durch die Bergwelt zu laufen, wo wir zur gleichen Zeit für unser tagtägliches Brot hart arbeiten müssen?“ Die von Velimirovici ausgewählten Fotos dokumentieren auch eine gewisse Bedrückung der Fotografierten, selbst wenn es sich um vom Ufer der (wahrscheinlich) Bistrița aufgenommene moldauische oder bukowinische Flößer handelt, die auch vom ersten römisch-katholischen Bischof von Bukarest, Raimund Netzhammer (ein Benediktinermönch, der auf der Bodensee-Insel Mainau seinen Lebensabend verbrachte und Bücher schrieb), in seinen „Tourismus“-Büchern über Rumänien beschrieben werden.

Dem herrlichen Schwarz-Weiß-Erinnerungsbüchlein an Hermann Heel (in Reschitza und auch für seine „Lehrpubn“, einschließlich für Edmund Höfer, Franz Hipp oder Egon Luft immer nur der „Moni-Bácsi“) ist bloß ein geringer Kunstfehler vorzuwerfen: die Bildbeschriftungen sind durcheinandergeraten. Ansonsten darf man sich wohl freuen auf einen künftig umfangreicheren Remember-Band, auch zu anderen Themata von Heel, etwa seine Hauptstärken, die Industrie- und die Landschaftsfotografie! Oder alle zusammenfassend. Als Industriefotograf, sein Hauptberuf, den er bis auf das anspruchsvolle Niveau von Kunst hochstilisierte, erzielte Heel bei der ersten Foto-Landesausstellung Großrumäniens die Goldmedaille. Die 2136 Glasplatten des MBM-Fundus sollten umgehend der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.


Bilder aus dem Katalog „Porträts rumänischer Bauern im 20. Jahrhundert“, Repro MBM, mit freundlicher Genehmigung