Es ist die bisher größte Veranstaltung, die Romul Nuțiu (1932-2012), dem bedeutendsten rumänischen Künstler des abstrakten Expressionismus, gewidmet ist: Am 30. Juni wurde im Nationalen Kunstmuseum in Temeswar/Timișoara die Kunstausstellung „Das Spiel mit dem Zufall: Romul Nuțiu. Eine Retrospektive“ im Beisein seiner Tochter Simona Nuțiu-Gradoux, die gemeinsam mit Andreea Foanene als Kuratorin der Ausstellung fungiert, offiziell eröffnet. Mehr als 120 Werke in verschiedenen Techniken sowie einen reichen Dokumentationsfundus aus Fotografien, Multimedia-Materialien, Katalogen, Broschüren und Autorentexten können die Besucher in der Ausstellung betrachten.
Romul Nuțiu, aus Bilbor im Kreis Harghita stammend, lebte und wirkte von 1958 bis zu seinem Lebensende in Temeswar. Zu einer Zeit, als der offizielle Stil Rumäniens der sozialistische Realismus war, malte Nu]iu abstrakt und knüpfte mit seiner Ausdrucksweise an große Künstler der europäischen und amerikanischen Kunst an, wie Andrej Jemec (geb. 1934), Jan Kotik (1915-2002), Tadeusz Kantor (1915-1990), Edo Murtic (1921-2005), aber auch an Paul Klee (1879-1940), Chaďm Soutine (1893-1943) und Jackson Pollock (1912-1956).
Die Ausstellung, die in zwölf Museumsräumen untergebracht ist, ist chronologisch aufgebaut. Sie beginnt 1954-1957 mit Werken aus der Studienzeit des Künstlers in Klausenburg, wo Romul Nuțiu als junger Maler die Kriterien des mitteleuropäischen Postimpressionismus bei Lehrern wie Petru Feier, der einer seiner Meister war, erkundete. „Dort lernen wir ihn als jungen Maler kennen, der sehr begabt ist und sich in diesem Bereich unbedingt Gehör verschaffen will, der aber damals noch keinen ausgeprägten persönlichen Stil hatte. Er war auf der Suche, er wollte sich weiterentwickeln. Aus dieser frühen Zeit sind einige Frauenporträts und eine Landschaft erhalten. Realistisch gemalt, in einer postimpressionistischen Tonart, aber ja, er respektiert das Modell, die Besonderheit der Physiognomie, die Hautfarbe, die Art und Weise, wie der Mann oder die Landschaft vor ihm aussehen. In der Landschaft, zum Beispiel, können wir sehr gut erkennen, dass es sich um eine Landschaft in Siebenbürgen und nicht im Banat handelt, denn die Architektur ist spezifisch für Siebenbürgen, mit sehr breiten Dächern, man kann irgendwie das mittelalterliche Erbe Siebenbürgens in der Architektur spüren“, erläutert Kuratorin Andreea Foanene.
Danach können Ausstellungsbesucher Romul Nuțiu kennenlernen, der 1958 eine Zeit in Bukarest bei Alexandru Ciucurencu studiert und von dort aus verändert zurückkehrt. Sein Stil entwickelt sich durch den Einfluss von Ciucurencu, einem modernen Künstler, in dem Sinne, dass die Art und Weise, wie er die Perspektive wahrnimmt, vereinfacht wird.
Banater Teppichmuster als Inspiration
Seine Gemälde werden fast zweidimensional, sie gewinnen aber viel in der Tiefe der Botschaft. „Aus dieser Zeit stammen sechs Monotypien, in denen er sich der Landschaft nähert, aber auf eine sehr geometrische Weise, die ihn Paul Klee, Wassily Kandinsky und den großen modernen Künstlern des 20. Jahrhunderts näher bringt. Auf der gleichen Inspirationslinie liegt die Serie von Gemälden aus den Jahren 1958 bis 1960, die von den Mustern der Banater Teppiche inspiriert sind, in denen Romul Nuțiu versucht, die Identität des Banats, das später seine Heimat wird, kennenzulernen, und die dekorativen Muster der Banater Teppiche irgendwie in die Malerei zu übertragen“, sagt die Kuratorin.
„Danach gibt es, nacheinander, Themen und Metathemen, die charakteristisch sind, da sie den Experimenten mit Modulen in den 60er und 70er Jahren folgen, in denen er sehr mit der Komposition spielt, mit Formen experimentiert, die eigentlich vom menschlichen Körper abgeleitet sind, aber zu anthropomorphen Formen werden, die auch mit Zeichen verglichen werden können. Er benutzt sie, um offene, dynamische Kompositionen auf großen Leinwänden zu schaffen“, fügt Andreea Foanene hinzu. Die Kompositionen in den Räumen 2 und 3 gehören zu dieser Kategorie, darunter das Werk „Die Sanduhr“, das sich auf das Vergehen der Zeit bezieht.
Erstes kompositorisches Epizentrum der Ausstellung
In Raum 4 können seine Aquarelle aus den 70er und 75er Jahren bewundert werden, die 1975 die Ausstellung „Univers dinamic“ in der Temeswarer Helios-Galerie bildeten, die von dem Kunsttheoretiker und Kurator Coriolan Babeți koordiniert wurde. Die Tochter des Künstlers, Simona Nuțiu-Gradoux, hatte die Idee, jene große Ausstellung mit experimentellen Gemälden von 1,20 m x 1,20 m zu würdigen. Dies ist also der erste Raum, in dem man als Besucher und Kenner des Werks von Romul Nuțiu, das Gefühl hat, mit seiner Malerei zu verschmelzen, denn seine aquatischen Werke, seine performativen Gemälde sind spezifisch für den abstrakten Expressionismus, zu dem auch Jackson Pollock gehört. In seinen tropfenden Bildern beugte sich Pollock über das Bild und malte in einer Körper-zu-Körper-Beziehung die Reminiszenzen seiner Bewegung im Raum auf die Leinwand. „Romul Nuțiu tut dies auf strukturell ähnliche Weise, aber nicht, indem er die Farbe auf die Oberfläche des Gemäldes tropft, sondern indem er die Leinwand in dieses wässrige Medium eintaucht, in das er die Farben einbringt und das er mit Hilfe eines einem Zauberstab ähnlichen Stabes dynamisiert, mit dem er die Farben mischt“, erklärt Andreea Foanene die von Romul Nuțiu per Zufall entdeckte Maltechnik. An der zentralen Wand im vierten Saal der Ausstellung sind sechs große Werke zusammengetäfelt, wie sie in der Ausstellung 1975 bei „Helios“ zu sehen waren. Auch sie schaffen durch die Dynamik, die im Dialog der Farben zum Ausdruck kommt, aber auch durch ihre Imposanz und Nebeneinanderstellung eine eindringliche Erfahrung.
Dialog mit dem Zufall
In Raum 5 bewundern die Besucher Werke aus der gleichen Periode des Experimentierens und des Dialogs mit dem Zufall, aber die Werke entwickeln sich stilistisch und technisch in dem Sinne weiter, dass Romul Nuțiu die Grenzen der Leinwandmalerei überschreitet. Er stellt Assemblagen zusammen, indem er Leinwände zusammenklebt und Objekte schafft, oder er nähert sich einer dreidimensionalen Form, die in Farbe getaucht und durch chromatische Schattierungen vervollkommnet ist, wie im Fall von „Șapte forme pictate“, einem Werk, das Simona Nuțiu-Gradoux vor etwa zwei Jahren zusammen mit weiteren Werken dem Museum geschenkt hat.
„In Raum 6 haben wir diesen Ausstieg aus den Grenzen des Gemäldes als einen progressiven Ansatz zum Dialog mit den Grenzen der Malerei erweitert und irgendwie haben wir zusammen mit den gemalten Objekten in Raum 6 einen visuellen Kontext in den Ausstellungsraum gebracht, der uns in das Atelier des Künstlers zurückführt. Ich spreche hier von dem kleinen Metallkübel, auf dem eine Reihe von Skizzen und Fragmenten der Gemälde, die Romul Nuțiu als Experimente anfertigte, zu sehen sind. Es sind sehr fragile Werke auf Papier, schwebende Skizzen, die Simona Nuțiu-Gradoux sehr schön visuell in Form einer Installation gestaltet hat“, erklärt Andreea Foanene.
Sehr kräftige, leuchtende, üppige Farben
In Raum7 sind grafische Werke, ebenfalls aus den 70er und 80er Jahren, zu sehen, die gleichzeitig mit einem monumentalen Kunstwerk in der Eingangshalle der West-Universität von Temeswar präsentiert werden. „Diese Beziehung zwischen dem Kleinen und dem Großen, dem Schubladenwerk und dem Monumentalwerk, der zerbrechlichen Papiergrafik und dem mächtigen, viele Quadratmeter großen Werk in der West-Uni ist im Saal 8 sehr relevant, denn es ist klar, dass Nuțiu diese innovative Technik des farbigen Zements aus der Ableitung der Verwendung von Farben in der Grafik aufgebaut hat“, sagt die Kuratorin.
Im nächsten Raum wird die Periode der 70er und 80er Jahre eingefangen, als sich Romul Nuțiu dem Einfangen kreativer Energie in einem gestischen Ausdruck zuwandte, und aus dieser Periode gibt es Werke, die sowohl zu dem Metathema der „Wurzeln“ gehören, als auch Werke und Gemälde gemalter Skulpturen aus der Serie der „Zeichen“. „Chronologisch geht es im nächsten Raum weiter, wo wir Werke aus der Zeit von ´80-´89 sehen, Werke mit einem ernsteren chromatischen, realistischen Ausdruck, wenn auch in abstrakter Malerei, aber als Komposition machen die Werke schon das Gefühl des Leidens und des Mangels deutlich, den die Rumänen im letzten Jahrzehnt der kommunistischen Zeit verspürten“, so Andreea Foanene.
Es besteht ein großer Unterschied zwischen diesem Raum und dem nächsten, denn Raum 10 ist der größte in der gesamten Ausstellung und fällt mit dem Schaffen des Künstlers zwischen 2000 und 2010 zusammen, als er in beeindruckendem Ausmaß malte und sehr kräftige, sehr leuchtende, üppige Farben verwendete. „Man kann sehen, dass er ein reifer Künstler war, ein freier, starker, solarer, selbstbewusster Künstler“, betont die Kuratorin, die Romul Nuțiu als Lehrer an der Kunstfakultät der West-Uni hatte.
Die letzten Jahre
In Raum 11 entdecken die Ausstellungsbesucher die letzten Jahre seiner Schaffenszeit. In diesem Raum haben die Kuratorinnen Gemälde aus den Jahren 2010-2012 zusammengetragen, einer Zeit, in der Romul Nuțiu sehr krank war, aber trotzdem fast täglich ins Atelier ging. „Es ist erstaunlich, dass dieser Raum in seiner Energie, seiner Farbigkeit und allem, was er thematisch darstellt, nicht charakteristisch für einen leidenden Mann ist, sondern ganz klar von einem Mann zeugt, der sein ganzes Leben für seine Kunst gelebt hat. In dieser Zeit wendet sich Nuțiu dem Figürlichen zu, und zwar durch eine epische Malerei, durch Themen, die mit Legenden verbunden sind, manchmal inspiriert von der Glas-Ikonenmalerei der Bauern in Siebenbürgen, mit denen er wohl aufgewachsen ist. Er kehrt zur Malerei mit Formen, Symbolen und erkennbarem Inhalt zurück. „Es handelt sich um einen Raum, der wie eine ellipsoide Struktur den gesamten Ansatz der Ausstellung schließt, denn in Wirklichkeit schließt er nicht die Ausstellung, sondern schließt einen Lebenskreis, der andere Dimensionen und Möglichkeiten der Kontextualisierung, der Interpretation, des Verstehens, des Durchlaufens mehrerer Ebenen eines künstlerischen Erbes, das dieser große Schöpfer hinterlassen hat und das in dieser Ausstellung dem Publikum zugänglich gemacht wird, entstehen lässt“, sagt die Kuratorin.
Der letzte Raum der Ausstellung ist der Kontextualisierung und dem Verständnis des abstrakten Expressionismus als universellem Kunststil gewidmet. Das Interessante dabei: Obwohl Romul Nuțiu fast die Hälfte seines Lebens in einem Land jenseits des Eisernen Vorhangs lebte, schuf er nach thematischen und technischen Kriterien, die diesem Raum fremd waren. Zwei Texte von Dr. Flavia Frigeri, Chanel-Kuratorin für die National Portrait Gallery in London und Helen Harrison vom Krasner House and Study Center, New York, die bei der Vernissage auch zugegen waren, sowie ein Interview mit dem Künstler Romul Nuțiu sind unter anderen in diesem Raum zu finden. Ebenfalls dort befindet sich reichlich Dokumentationsmaterial über die Ausstellungen von Romul Nuțiu im Laufe der Zeit, das von der Joana Grevers Stiftung und der Galerie 418 in Bukarest sowie von der Familie des Künstlers zur Verfügung gestellt wurde. Die Ausstellung bleibt bis zum 13. August für Besucher geöffnet.