Auch mehr als 60 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus sind Fragen offen, und sie werden es wohl bleiben – vor allem die ethischen Fragen, die weit schwerer zu beantworten sind als die nach den historischen Fakten. Woher nahmen die einen den Mut, Verfolgten des Regimes im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu helfen, während ihn andere nicht aufbrachten? Zu Ehren derer, die halfen, der „Gerechten unter den Völkern“, hat die israelische Gedenkstätte Yad Vaschem eine eigene Allee errichtet. Das französische Kulturzentrum in Klausenburg/Cluj-Napoca erinnert dieser Tage mit einer Ausstellung an diese „Gerechten“ in Frankreich – „Les Justes de France“, so der Titel der Ausstellung. Eröffnet wurde sie mit einer Vernissage am 13. Januar, dem Jahrestag der Befreiung des Lagers Auschwitz.
Die Ausstellung soll gerade die Jungen an das Ausmaß der Tragödie erinnern, aber auch an den Mut, die menschliche Größe jener, die nicht die Ehre, nicht Anerkennung und Auszeichnung suchten, sondern es spontan taten, aus dem Drang ihres Gewissens. Eine Tafel zitiert den russischen Schriftsteller Vasili Grossman, der meinte, die Güte hätte sich damals an einem Soldaten gezeigt, der seinem Feind die Hand reichte, an einem Bauern, der einen alten Juden versteckte, „eine Güte ohne Zeugen, ohne Ideologie”. Sie war ohne Zeugen, manche wurden geehrt, viele blieben aber bis heute unbekannt. Jedoch geschah ihre Hilfe oft genug aus christlicher Nächstenliebe. In die Schweiz und, was weit beschwerlicher war, über die Pyrenäen nach Spanien wurden seit dem Sommer 1942 ungefähr 1500 jüdische Kinder geschmuggelt. In Hochsavoyen organisierte diese Fluchthilfe der katholische Geistliche Père Louis Farre, der im Februar 1944 verhaftet und im Juli erschossen wurde. Auch seine Amtsbrüder Gilbert Pernoud, Raymond Boccard und Jean-Joseph Rosay bauten ein Fluchthilfenetzwerk auf. Rosay wurde im April 1944 nach Auschwitz deportiert.
Er wie auch Farre und die anderen wurden 1987 zu „Gerechten“ erklärt, genauso wie die 1921 geborene Französin Jeann Acgouan, die mit ihren Eltern jüdische Familien über die Grenze nach Spanien schleuste. Dass viele Geistliche den Mut zur Hilfe aufbrachten, lag vor allem am Protest des Episkopats. Der Bischof von Montauban Théas erklärte in einem offiziellen Schreiben im August 1942, das von den Kanzeln verlesen wurde, dass alle Menschen, ob Arier oder nicht, Brüder seien, „weil vom selben Gott geschaffen“. Einen Monat später ließ Kardinal Gerlier, Primas Galliens, einen Brief verlesen. Habe man sich auch bisher zurückgehalten, zwinge nun die Brutalität der Verfolgung zum Protest aus Gewissen. Der Erzbischof von Toulouse, Jules Saliège, ging noch einen Schritt weiter, als er seinen Klerus anwies, Juden, vor allem Kinder zu verstecken. Saliège wurde bereits 1969 zum Gerechten, zum „Juste parmi les peuples“ erklärt. Die Väter der geistlichen Vereinigung „Notre Dame de Sion“ in Paris, die mit der Internationalen Zionistischen Frauenorganisation kooperierten, konnten mehr als hundert Kinder retten, die sie bei katholischen Familien versteckten. Das bislang wohl berühmteste Beispiel einer Versteckaktion ist der Fall des Pére Jacques, Rektor am „Petit Collège des Carmes“ in Avon nahe Fontainebleau. Er nahm mehrere jüdische Jungen unter falschem Namen auf. Im Januar 1944 traf das Collège eine Razzia der Gestapo. Das Collège wurde geschlossen, Pére Jacques’ jüdische Schützlinge wurden deportiert, er selbst starb während der Deportation. Sein Fall ist bekannt geworden, weil der Regisseur Louis Malle 1987 aus der Geschichte einen Film machte, mit dem Titel „Au revoir les enfants“ (“Auf Wiedersehen Kinder!”).
Die Versteckten lebten freilich in der ständigen Angst vor der Entdeckung. Die Flucht über die „grüne Grenze“ wagten nicht allzu viele. Der portugiesische Konsul in Bordeaux, Aristides de Sousa Mendes, gab trotz des Verbots seiner Regierung Tausende von Visa aus. Ungefähr 30.000, davon 10.000 Juden, konnten so gerettet werden. De Sousa Mendes, der 1954 starb, wurde 1967 in die Reihe der „Gerechten“ aufgenommen.
Zur Eröffnung der Ausstellung wurde darauf hingewiesen, dass auch die 18.000 Klausenburger Juden während des Weltkrieges von der Verfolgung betroffen waren. Es seien nicht viele gewesen, die halfen. Aber es gab sie, die „Gerechten“. In Frankreich kamen sie aus allen Schichten. Es waren Bauern, Dorfgeistliche und Kardinäle unter ihnen. Mag auch die Zahl der „Gerechten“ nicht eben groß gewesen sein – wobei man sich nur auf die bekannten stützen kann – ist doch jede einzelne Hilfe von unendlichem Wert, wie der Organisator der Ausstellung betonte: Wer einen Menschen rettet, rettet die ganze Menschheit.