Der quirligen Kulturszene Rumäniens gewidmet: Europalia in Belgien

Dutzende von Veranstaltungen in den nächsten Monaten

Drei Jahrzehnte nach dem Sturz der Diktatur genießen zahlreiche rumänische Künstler im Ausland ein sehr hohes Ansehen, doch eine Gelegenheit wie diese bietet sich nur einmal: Mit Ausstellungen, Konzerten, mit Theater und Filmvorführungen, Autorenlesungen und Debatten, mit Dutzenden von Veranstaltungen in der europäischen Hauptstadt Brüssel sowie in anderen Städten des Landes lädt Belgien im Rahmen des Festivals Europalia Rumänien dazu ein, seine Kultur vorzustellen. Europalia löst das Land von dem Bild, das von Korruption und politischen Affären geprägt ist, und macht den Blick auf eine lebendige Kulturszene frei.

Den Mittelpunkt des am vergangenen Mittwoch in Brüssel eröffneten Festivals bildet eine Ausstellung mit Werken von Constantin Brâncuși. Nach Angaben der Kuratoren beider Länder handelt es sich um die größte Schau der vergangenen 25 Jahre zu diesem Meister der Moderne, der bis zu seinem Tod 1957 in Paris lebte und arbeitete, sowie um die erste, ausschließlich ihm gewidmete Ausstellung in Belgien. Im Kulturzentrum Bozar, das in unmittelbarer Nähe des Königspalastes Konzert- und Ausstellungsräume sowie Kinosäle beherbergt, werden unter anderem die „Schlummernde Muse“, „Der Kuss“, eine aus dem New Yorker Guggenheim Museum stammende „Muse“ sowie Werke von Freunden und Zeitgenossen gezeigt, zu denen Amadeo Modigliani und Man Ray zählten. Die Schau wird an bestimmten Tagen der Woche mit Kreationen mehrerer Künstler ergänzt, darunter Lia Perjovschi aus Rumänien und die bekannte belgische Tänzerin und Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker.
Was aber bedeutet Europalia? Der Begriff setzt sich aus Europa sowie Opalia zusammen, womit die alten Römer das Erntefest bezeichneten, das der Göttin des Überflusses, Ops, gewidmet war. Das Festival beginnt im Frühherbst und dauert insgesamt vier Monate. Die jüngste Auflage der biennalen Veranstaltung war 2017 Indonesien gewidmet, heuer feiert das Festival sein 50-jähriges Bestehen. Weil sich die Kunst- und Kulturereignisse nicht auf Brüssel beschränken, kann ein breites Publikum das Angebot wahrnehmen. So finden in verschiedenen Einrichtungen Gents Ausstellungen mit Werken der zeitgenössischen rumänischen Künstler Ciprian Mureșan und Ion Grigorescu statt, Iosif Kiraly ist mit einer Klanginstallation in Antwerpen und Pelt vertreten, während sich die Besucher des Gallo-Römischen Museums in Tongeren in der Schau „Dacia Felix“, die ebenfalls als ein Highlight des Festivals gilt, mit der Geschichte der Kulturen und Zivilisationen auf dem Gebiet des heutigen Rumänien vertraut machen können.

Nicht weniger reichhaltig ist das Angebot des Festivals in der Sparte Musik: Die Opernsängerin Angela Gheorgiu bietet gemeinsam mit der Pianistin Alexandra Dariescu ein Konzert in Brüssel, Cristian Măcelaru dirigiert Ende November und Anfang Dezember das Belgische Nationalorchester und das Anton-Pann-Ensemble spielt Mitte Dezember Kompositionen Dimitrie Cantemirs unter anderem in Gent. Doch nicht allein die Klassik ist bei den Festwochen vertreten: Jazz, Elektro, Musik der Roma, die auch in Belgien nicht zuletzt dank des populären Festivals „Balkan Trafik“ beliebt ist, und Folk werden geboten. Die Sängerin Ada Milea tritt gemeinsam mit dem Bălănescu Quartett auf, das jedoch auch gesondert einen Abend bestreitet, der aus der Musik Maria Tănases schöpft. Das Quartett verdankt seinen internationalen Ruf nicht zuletzt der Zusammenarbeit mit der Pop-Sängerin Kate Bush und mit der legendären deutschen Band Kraftwerk, deren Stil ganze Generationen europäischer junger Pop-Musiker geprägt hat. Die Gruppe Mahala Rai Banda, in den Vororten Bukarests geboren, verspricht das Publikum mit Gipsy Funk in vier Konzerten mitzureißen, zwei davon Anfang der zweiten Oktoberhälfte in Gent, während die Auftritte des belgischen Komponisten von Elektro-Musik, Milan W., und der Alpenhorn-Bläserinnen aus der siebenbürgischen Ortschaft Avram Iancu als eines der musikalischen Glanzlichter des Festivals gelten.

Das Hermannstädter Radu-Stanca-Theater, das bereits früher in Brüssel gastierte, darunter mit dem „Faust“ Silviu Purcăretes, wird mit einer anderen Inszenierung des renommierten rumänischen Regisseurs erwartet. In der Sparte der darstellenden Künste zählen auch das Theater aus Konstanza und das Klausenburger Nationaltheater zu den Europalia-Gästen. Die Bühne aus Konstanza zeigt „Tagebuch Rumänien. Konstanza“, packendes Dokumentartheater in der Regie von Carmen Lidia Vidu, die auch am Deutschen Staatstheater Temeswar „Tagebuch Rumänien. Temeswar“ und eine Aufführung nach dem gleichen Konzept in Sfântu Gheorghe inszenierte, während das Klausenburger Nationaltheater im wallonischen Lüttich mit einem Stück des auch im deutschen Sprachraum erfolgreichen rumänischen Autors Matei Vișniec auftritt. 
Wer sich für den rumänischen Film interessiert, der wiederholt bei Festivals wie jenen in Berlin oder Cannes Preise abräumte, kann sich eingehend damit befassen. Europalia erinnert an den 30. Jahrestag der rumänischen Revolution und feiert die Filmemacher Harun Farocki und Andrei Ujică, die die Ereignisse der Wende dokumentierten. In der Brüsseler Kinemathek ist ein Rückblick geplant, es wird eine Reihe von Vorträgen sowie die Vorführung des Klassikers „Reconstituirea“ von Lucian Pintilie geben. In der Sparte Literatur fehlt von der Liste der geladenen Schriftsteller allerdings Cătălin Mihuleac. Ist es, weil er mit seinem in mehrere Sprachen übersetzten Roman „America de peste pogrom“ über den Massenmord 1941 an den Juden von Jassy Rumänien einen Spiegel vorhält? Bei Lesungen und Debatten werden Mircea Cărtărescu, Gabriela Adameșteanu, Ioana Pârvulescu, George Arion, der in Paris lebende Sebastian Reichmann und der Dichter Mircea Dinescu auftreten, der das neue Jahr mit kulinarischen Spezialitäten einleiten will. 

Der Auftritt Rumäniens beim Festival Europalia, das bis in die ersten Februartage 2020 dauert, ist mit seinem vielfältigen Angebot an künstlerischen Ereignissen und Einblicken in die zeitgenössische Kulturszene sehr vielversprechend. Und es bietet dem Land die Gelegenheit, zumindest für eine Weile aus dem Schatten der Negativ-Schlagzeilen zu treten, wie es die Streitigkeiten um die Nominierung Laura Codru]a Kövesis zur EU-Generalstaatsanwältin oder erst vor Tagen jene im Zusammenhang mit der vom Europäischen Parlament abgelehnten rumänischen Kandidatin für die EU-Kommission waren.