Hanno Höfer zu treffen ist nicht so leicht. Die Band, in der er spielt und singt, ist bekannt und viel gefragt. Wer kennt unter den Blues-Liebhabern in Rumänien schließlich nicht die „Nightlosers“? Ihr Tournee-Plan ist ansehnlich und international, das Publikum reist zuweilen mit. Hat man einen Abend mit den „Nightlosers“ verbracht, ist es, als sei das Lebenslot neu gesetzt: Man spürt, worauf es ankommt.
Wenn er nicht unterwegs ist, findet man Hanno Höfer am ehesten im Donaudelta oder eben in Bukarest, wo er seit inzwischen 30 Jahren wieder zu Hause ist. Sein Büro, in dem er seine eigene Fotografie betreibt, sich aber auch um den Nachlass seines Vaters, des Fotografen Edmund Höfer (1957-1987 beim ADZ-Vorgängerblatt „Neuer Weg“), kümmert, befindet sich in der Calea Victoriei, mitten im Hotspot der Bukarester Flaniermeile. Dort hat Heinke Fabritius, Kulturreferentin für Siebenbürgen, den Karpatenraum, Bessarabien und die Dobrudscha am Siebenbürgischen Museum, im Rahmen ihrer losen Serie „Werkstattgespräche“ dieses Interview geführt.
Wer sind die „Nightlosers“, Herr Höfer?
Das ist die Band, in der ich jetzt schon seit 30 Jahren mitspiele. Wir haben uns zusammengefunden, als ich in Klausenburg studierte. Ich bin Gründungsmitglied der „Nightlosers“. Wir spielen so eine Art „Rhythm and Blues“, Rock ‘n Roll vermischt mit rumänischer und ungarischer Volksmusik, viele andere Einflüsse kommen auch noch dazu.
Es gibt für die Band ein besonderes Interesse, nämlich die verschiedenen in Siebenbürgen lebenden ethnischen Gruppen musikalisch in Dialog zu setzen…
Ja, absolut, aber das ist kein Entschluss, kein Vorhaben gewesen. Es ist vielmehr das, was unsere Band im Kern ausmacht: Alle Ethnien Siebenbürgens sind in dieser Band vertreten.
Es gibt also Ungarn und Rumänen.
Roma, Deutsche, ja, und andere.
Jeder bringt also seine Rhythmen und seine Klänge mit. Und die Texte, woher kommen die?
Wir haben auf unsere eigene Weise „Rhythm and Blues“-Standards verarbeitet. Haben aber auch eigene Stücke, wo wir selbst die Texte geschrieben haben. Auch ein paar rumänische Lieder kommen dazu. Also ein Mix von allem.
Welches sind Ihre Instrumente? Wer spielt was?
Wir haben zwei Gitarren und eine Geige. Zudem: Basstrommel, Schlagzeug, Keyboards, Akkordeon. Außerdem laden wir regelmäßig auch Gäste in unsere Gruppe ein. Da gibt es einen älteren Herrn beispielswei-se, er spielt auf dem „Blatt“. Das ist inzwischen etwas Seltenes. Aber das „Blatt“ ist hier immer noch ein bekanntes Instrument. Viele Schäfer haben es.
Das Blatt?
Das Blatt, ja, das Blatt, vom Baum. Der alte Herr ist absolut ein Experte darin. – Dann haben wir beispiels-weise noch das Zymbal, also Hackbrett, „}ambal“ auf Rumänisch.
Im Kern sind Sie …?
Im Kern sind wir zu fünft. Aber eigentlich sind wir zu sechst. Der Sechste ist unser Toningenieur, er spielt manchmal die Bratsche. Die Namen sind: Lucian Pop, das ist der Bassist; Grunzo Gezá der Keyboarder; Claudiu Purcarin der Schlagzeuger. Láco Jimi ist der Geiger, Peter Attila der Bratschist und Soundingenieur. Dazu komme ich, ebenfalls mit der Gitarre und mit Stimme … (lacht)
Warum „Nightlosers“? Tragen Sie diesen Namen von Anfang an?
Den haben wir mehr oder weniger bekommen. Den haben wir nicht selbst gewählt. Wir hatten am Anfang überhaupt keinen Namen. Wir wussten auch nicht, dass wir eine Band werden. Wir haben auf verschiedenen Partys, so Studentenpartys in Klausenburg gespielt. Der Name ist dann einfach aufgetaucht. Vielleicht, weil wir oft die ganze Nacht durchgespielt haben.
1994 als die „Nightlosers“ gegründet wurden, waren Sie noch mitten im Studium. Sie kamen aus Deutschland zurück nach Rumänien.
Es gab ein paar Jahre in Deutschland, ja. Von 1988 bis 1991/92 etwa.
Ein vierjähriges Deutschlandintermezzo – war das von Anfang an so gedacht? Sie sind als Familie gemeinsam mit den Eltern ausgereist. Aber nur Sie haben sich entschieden, wieder nach Rumänien zurückzukommen.
Naja, zurückkommen wollte ich eigentlich nur für den Zeitraum eines Studienjahres. Ich hatte damals in Berlin Geschichte studiert, dann erhielt ich ein Stipendium für zwei Semester in Klausenburg, auch für Geschichte. So eine Art Auslands-Bafög. Ich wollte nachher wieder zurück. Doch dann hatte sich inzwischen das mit der Band ergeben und außerdem habe ich einen Studienplatz in Bukarest an der Filmhochschule bekommen. So bin ich hängengeblieben.
Nostalgie, Sehnsucht oder das Gefühl, durch die Ausreise entwurzelt worden zu sein, haben also keine Rolle gespielt?
Nein, ich würde sagen: nein. Sehnsucht war vielleicht schon im Spiel. Aber im Grunde ist es nur das, was und wie sich die Dinge während dieses Auslandsjahres ereignet und entwickelt haben. Mehr oder weniger, so war das, ja.
Sie kommen aus einem journalistisch und künstlerisch sehr aktiven familiären Umfeld. Ihre Mutter, Helga Höfer, war Journalistin und unter anderem tätig für den „Neuen Weg“ und die „Neue Literatur“, auch für den „Bayerischen Rundfunk“. An Ihren Vater, Edmund Höfer, erinnert man sich als langjährigen Fotoreporter, ebenfalls für den „Neuen Weg“, heute ADZ, also: „Allgemeine Deutsche Zeitung in Rumänien“. Und ihre Schwester, Senta Höfer, ist gleichfalls Journalistin. Im letzten Jahr hat sie in einem Radiofeature über die unwürdigen Arbeitszustände rumänischer Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen bei Tönnies berichtet und diesen eine Stimme gegeben. – Wie wächst man auf in so einem aktiven und kritischen Elternhaus?
Was kann ich sagen? Ich habe die Dinge aus der Perspektive des Kindes gesehen. Es war eine interessante Zeit damals im Bukarest der 70er und 80er Jahre. Erst nach und nach verstand ich das Schwere. Zunächst nahm ich nur wahr, dass es etwas Besonderes war, was ich erleben durfte. Die Kontakte, die Reisen meiner Eltern, das gab es bei meinen Freunden nicht in derselben Form. Meine Eltern waren halt Journalisten, das war anders, das spürte ich.
Sie sind nicht hier in Bukarest geboren.
Nein, in Temeswar, aber ich bin in Bukarest aufgewachsen. Mit einem kleinen Intermezzo. Vier Jahre lang habe ich in Temeswar in der Lenau-Schule gelernt. Das heißt: 1977 haben mich meine Eltern dorthin zu den Großeltern verschifft, meine Schwester war dafür noch zu klein, aber ich blieb vier Jahre dort.
1977? Hatte das etwas mit dem großen Erdbeben zu tun?
Die Wohnung war ziemlich kaputt, aber die genauen Gründe kann ich nur vermuten, ich glaube, es war für meine Eltern einfach leichter, das Leben zu organisieren.
Und dann wieder Bukarest?
Ja, aber nach der Schule bin ich wieder zurück nach Temeswar, habe noch 2, 3 Jahre beim Deutschen Theater gearbeitet.
Theater, Geschichtsstudium, Filmhochschule, die Musik, die Fotografie… Wie stehen diese Künste zueinander? Gibt es etwas, wo Sie sich am wohlsten fühlen?
Je nachdem, wo ich gerade bin. Es hat sich gut vertragen, auch zeitlich. Es hat immer gepasst, wo ich was zu drehen hatte, wo ich einen Film gemacht habe. Es geht nicht alles gleichzeitig. Wenn man in einer Sache drin ist, kann man sich nicht so leicht herausziehen. Man kann nicht sagen: Heut dreh‘ ich, morgen mach‘ ich ein Konzert. Dann macht man nichts richtig.
Wo liegt Ihr Schwerpunkt?
Bei der Musik momentan.
Aber das schon länger, oder?
Schon ein paar Jahre, ja. Es waren aber immer zwei Schwerpunkte.
Der Film und die Musik?
Genau, die Musik und der Film. Die Filmhochschule habe ich in Bukarest absolviert. Es gab damals nur diese Filmhochschule in Rumänien. Da erst habe ich entschieden, hier, in Bukarest, zu bleiben.
Was lieben Sie an Bukarest?
Ich kenne die Stadt in- und auswendig. So eine Art Hassliebe.
Ein Beispiel?
Die Stadt an sich hat schöne Teile, aber auch sehr hässliche Teile. Der Verkehr ist grauenvoll und die Fahrer sind aggressiv. Das ist zum Beispiel eine Sache, die mir überhaupt nicht gefällt. Ich bin oft mit dem Fahrrad unterwegs und das ist ein gefährlicher Sport hier… Ein Extremsport sogar… Und viele Autos, viel zu viele Autos. Schlecht organisiert ist alles in der Stadt. Sie ist noch lange weg von einer richtigen, sagen wir „europäischen“ Hauptstadt. Aber wird schon werden!
Und das Gute?
Kulturell! Da hat sich sehr viel getan, vor allem in den letzten Jahren. Viele Ausländer, die hergekommen sind, sagen, es wäre das Berlin des Ostens, weil hier kulturell so viel los ist. Bestimmt, kann sein, ich weiß jetzt nicht wie es in Sofia zugeht oder in anderen Städten, aber es kann schon sein, dass es in Berlin ähnlich ist. – Ich hatte zum Beispiel einmal Material für das ZDF über die Graffer gesammelt, also mitgearbeitet.
Die Graffer?
Die Graffer (engl. u. rum. für Graffitikünstler), die Graffiti-Szene. Die Graffitikünstler haben gesagt, dass Bukarest sehr gesucht ist in der internationalen Graffitiszene, weil es hier noch viele leere Wände gibt, die man beliebig ohne irgendwelche Genehmigungen gestalten kann: also außerhalb der Stadt oder auf Industriegeländen und so. Aber es gibt auch offizielles Graffiti hier.
Bukarest ist Teil der internationalen Kunstszene geworden. Wir sitzen gerade an der inzwischen gentrifizierten und sehr hippen Calea Victoriei. Glücklicherweise aber in einem etwas versteckten Hinterhof, in den „Green Hours“. Was ist das hier für ein Ort?
Das „Green Hours“ ist das erste Jazz-, Theater-, Kulturcafé, gegründet nach der Wende. 1992, glaube ich. Bis heute finden hier zahlreiche Veranstaltungen statt: Jazzkonzerte, andere Konzerte, Theater, viel Theater.
Und vor 1992?
Das Gebäude hieß bis in die 50er Jahre „Cartea Rus²“, es war ein russischer Buchverlag. Hier wurden russische Bücher übersetzt und verlegt. Danach war das irgendwas anderes, glaube ich. Vor der Wende hat es zum rumänischen, kommunistischen Jugendverband oder so gehört, es hieß „Biroul de Turism și Tineret“ oder so ähnlich. Und hier unten, wo jetzt Jazzkonzerte stattfinden, hatte der Sohn von Ceau-{escu eine Privatbar. Das ist die Geschichte.
Die Räume wurden frei nach der Revolution. Die Revolution selbst haben Sie nicht in Rumänien erlebt. Wie erinnern Sie sich an die Zeit der 90er Jahre im postkommunistischen Rumänien?
Doch, doch, nicht von Anfang an, aber ich war hier. Ich bin nämlich kurz danach, am 2. oder 3. Januar, hier angekommen – 1990! Ich habe zwei Wochen lang für die ARD übersetzt und gestringert, damals schon. Insofern habe ich das Ende dieser heftigen Tage hier live miterlebt. Es wurde damals noch vereinzelt geschossen, hier und da, aber für uns war das nicht so gefährlich. Wir waren im Interkontinental untergebracht. Da war das Pressebüro. Die Teams liefen tagsüber in der Stadt herum und drehten, und das musste dann immer schnell übersetzt und überspielt werden. Es war auch für mich eine fordernde, eine spannende Zeit.
Ein großer Moment der Geschichte.
Das war nur ein Abstecher damals. Aber ja, diese paar Wochen hier im Januar 1990, waren eine starke Erfahrung für mich. Und auch deshalb bin ich später wiedergekommen.
Sie haben ein kleines Büro hier im Hinterhof von „Green Hours“. Was ist dran an der Behauptung, dass Paul Celan 1945/1947, als er hier beim russischen Verlag als Übersetzer tätig war, sein Büro genau in dem Flur hatte, in dem Sie jetzt arbeiten?
Es kann tatsächlich dieser Raum gewesen sein. Es wäre aber auch möglich, dass einer der beiden anderen Räume hier auf dem Korridor sein Büro gewesen ist. Genau weiß man das nicht.
Es ist auf jeden Fall ein inspirierender Ort. Gut, dass Sie ihn schützen vor zu viel Gentrifizierung da draußen. – Eine letzte Frage: Gibt es einen Siebenbürgischen Blues?
Siebenbürgischer Blues? Ja klar, es gibt den Siebenbürgischen Blues, den spielen wir! Der Transylvanian Blues, das ist unserer.
Sie identifizieren sich damit?
Ja, klar!
Das ist ein Wort. Danke für dieses Gespräch und viel Erfolg! Ich freue mich auf das nächste Konzert.