Am Anfang stand die Geschichte einer romantischen Liebe, die – wie das bei romantischen Liebesgeschichten so oft der Fall ist – auch einige bittersüße Wermutstropfen enthielt. Franz Werner Kirchhofer wurde 1633 – mitten im Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) – als Sohn einer wohlhabenden Bürgerfamilie im deutschen Säckingen geboren. Auch er selbst wurde, trotz der schwierigen Zeiten, als Handelskaufmann mit einem Salzmonopol und als Ratsherr erfolgreich und amtete als Schulmeister und vom Stift angestellter Leiter des Knabenchores im Fridolinsmünster. Die honorige Familie Kirchhofer war schon lange in Kontakt mit der adeligen Familie von Schönau, die in ihrem malerischen Schloss in Säckingen lebte. Die Kinder kannten einander schon von klein auf, und so dauerte es nicht allzu lange, bis Werner Kirchhofer im mannbaren Alter sich in die schöne Maria Ursula von Schönau verliebte.
Die Liebe war gegenseitig, aber sie war zwischen einer bürgerlichen und einer adeligen Familie nicht standesgemäß. Freiherr Otto Rudolph von Schönau starb während eines Feldzuges. Maria Ursulas Brüder übernahmen die Vormundschaft für ihre Schwester, machten ihr das Erbe streitig und leisteten heftigsten Widerstand gegen die nicht standesgemäße Verbindung. 1657 heirateten die beiden trotzdem und wurden eine glückliche Familie mit fünf Kindern. Das in einer Nische am Säckinger Münster angebrachte Grabmal erzählt heute noch vom „in gegenseitiger Liebe unvergleichlichen Paar“.
Aus den Fakten wird Literatur
Eine Steigerung erfuhr die Geschichte durch Victor Scheffel, der seinem unromantischen Berufsleben als Jurist nach zwei Jahren Tätigkeit als Rechtspraktikant am Bezirksamt in Säckingen entfloh und in Capri mit einem Versepos die Geschichte romantisch überhöhte und in einen unglaublichen literarischen Erfolg verwandelte.
Victor Scheffel wurde am 26. Februar 1826 in Karlsruhe als Sohn eines Genieoffiziers und Oberbaurats geboren. Er studierte Rechtswissenschaft und bestand mit Auszeichnung sein Doktorexamen. Die Berufsrichtung war ihm allerdings äußerst zuwider, aber er lebte nun einmal in einer Zeit, in der Väter bestimmten, wen ihre Töchter zu heiraten und was ihre Söhne zu studieren hatten. Neben seiner ersten Praxis beim Stadtamt in Heidelberg pflegte er seine Vorlieben für Altertumswissenschaft und Volkskunde, zeigte auch große künstlerische Begabung fürs Zeichnen und Malen und liebte es, seine Gedanken in Episteln und Gedichten festzuhalten. Mit 23 Jahren wurde er an das Bezirksamt nach Säckingen versetzt. Als geselliger Mensch fand er sich im Kreis der Honoratioren am Stammtisch der Lesegesellschaft im Wirtshaus „Goldener Knopf“ gut angenommen und verlebte dort frohe Stunden. Er besuchte gern historische Örtlichkeiten, wie das alte Ordensritterschloss in Beuggen, das antike Augusta Rauricorum in Kaiseraugst und das Städtchen Laufenburg über dem Rhein. Dort suchte er seinen Verwandten, den Kantonsfürsprech Heim, auf und verliebte sich in Emma Heim, die Tochter des Zeller Apothekers, die seine Werbung ausschlug, ihn aber vermutlich für die Liebesgeschichte von Werner Kirchhofer und der Baronesse von Schönau sensibilisierte. Die gesellschaftlich ansprechenden beiden Jahre endeten leider mit einem Vorfall, den Victor Scheffel als sehr ungerecht empfand: Er saß im „Goldenen Knopf“, zusammen mit einigen netten jungen Leuten, die vergnügt zur Gitarre sangen. Kaum war die abendliche Sperrstunde erreicht, rief der im Lesezimmer nebenan weilende Hauptmann Schwarz einen Unteroffizier herbei, der in ziemlich rauem Ton unter Androhung von Arrest die gebotene Ruhe einforderte. Scheffel, der nicht einmal mitgesungen hatte, entgegnete herausfordernd: „Nun, so arretieren Sie mich.“ Die harmlose Situation eskalierte, und dass Scheffel für einige Stunden tatsächlich arretiert wurde, empfand er als persönliche Beleidigung seiner Beamtenehre. Zuletzt wäre noch fast ein Duell draus geworden, und nur der Vermittlung einflussreicher Persönlichkeiten war es zu verdanken, dass die Sache beigelegt werden konnte und nicht vor Gericht landete. Scheffel aber kündigte sein Amt.
Auf nach Italien
Von den „dürrenden Wirkungen des Aktenstaubs befreit“, konnte er sich nun „an größere Dimensionen als die einer badischen Amtsstube gewöhnen“ und 1852 seine ersehnte Reisetätigkeit beginnen. Mit Unterstützung seiner Familie reiste er nach Rom, wo er sich der Ausbildung zum Landschaftsmaler widmen wollte. Er fand aber bald von der Malerei zur Dichtung. Erst langsam wurde ihm bewusst, welchen Schatz er mit dem Stoff der Säckinger Liebesgeschichte an der Hand hatte. Er begann das Vers-epos „Der Trompeter von Säckingen“ zu schreiben, das er in Capri vollendete. Dabei gestattete er sich viele dichterische Freiheiten.
Bei ihm wurde der einheimische Säckinger Chorleiter Werner Kirchhofer zum verkrachten Studenten, der als Trompetenkünstler von Heidelberg nach Säckingen wanderte. Maria Ursula wurde zur Margaretha, die Werner anlässlich des Fridolinsfestes das erste Mal beim Auszug aus dem Münster zu Gesicht bekam und in die er sich prompt verliebte. Vom Ufer des Rheins aus sandte er mit seiner Trompete erste Liebesgrüße zum Schloss hinauf und erreichte, dass ihr Vater ihn in seine Dienste nahm. Werner und Margaretha waren sich ihrer Liebe längst einig, als von Hans von Wildenstein, einem Kampfgenossen des Freiherrn von Schönau, ein Brief ankam, in dem er für seinen Sohn Damian um die Hand Margarethas anhielt – just in dem Moment, als Werner um ihre Hand anhalten wollte. Seine Werbung wurde schroff zurückgewiesen und so verließ er das Schloss mit einem letzten Trompetengruß: „Behüt’ dich Gott, es wär’ zu schön gewesen, behüt’ dich Gott, es hat nicht sollen sein …!“ Sie hörten jahrelang nichts mehr voneinander: Werner wanderte nach Rom und trat als geschätzter Musikus beim Papst seinen Dienst an, Margaretha blieb schwermütig in Säckingen zurück und lehnte jeden Heiratsantrag ab. Als die Fürstäbtissin des Säckinger Damenstiftes in Rom zu tun hatte, nahm sie Margaretha mit, um sie etwas von ihrer Schwermut abzulenken. Bei einer Papstaudienz bekamen sie auch den päpstlichen Hofkapellmeister zu Gesicht, in dem Margaretha ihren verschollenen Geliebten Werner erkannte und ohnmächtig wurde. Der Papst ließ eruieren, wer denn die bewusstlose Dame gewesen war, und als er erfuhr, dass der Standesunterschied der großen Liebe im Weg stand, ernannte er Werner kraft seines Amtes zum Marchese Camposanto. Damit war diese Hürde genommen und Werner und Margaretha wurden in Säckingen ein glückliches Ehepaar mit fünf Kindern.
Victor Scheffel verarbeitete in diesem Epos auch einiges an Zeitgeschehen, zum Beispiel die Revolution von 1848/49 oder einen Bauernaufstand. Hiddigeigei, den Kater des Freiherrn, ließ er von der Höhe des Turms seine kritischen Gedanken zum politischen und gesellschaftlichen Geschehen äußern und erntete damit viel Zustimmung bei der Bevölkerung, ohne sich damit zu kompromittieren.
Mit seinen Liedern, Balladen und Gedichten erzielte Victor Scheffel große Erfolge, aber das Versepos des Trompeters von Säckingen schlug alle Vorstellungen. In der Erstausgabe 1854 wurden 1030 Exemplare aufgelegt, 1882 kam die 100. Auflage heraus, bis 1914 waren es 300 Auflagen, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden und auch in den USA herauskamen. Insgesamt erreichten Scheffels Werke nahezu eine Million Exemplare. Finanziell hatte er damit ausgesorgt. Zu seinem 50. Geburtstag 1876 wurde der Dichter in den erblichen Adelsstand erhoben und damit zu Joseph Victor von Scheffel. 1884 erfuhr die Oper „Der Trompeter von Säckingen“ in Leipzig ihre Uraufführung, Komponist war Victor Ernst Nessler. Der „Trompeter“ als Theater oder als Oper wird immer wieder als Freilichtaufführung vor der Naturkulisse im Bad Säckinger Schlosspark inszeniert.
Säckingen wird zur Trompeterstadt
Wenn man von der Ortschaft Stein in der Schweiz über die längste gedeckte Holzbrücke Europas das romantische Städtchen Säckingen erreicht – erst 1978 erhielt Säckingen anlässlich der 1100-Jahr-Feier das Prädikat „Bad“ –, stößt man am Ende der Brücke gleich auf einen der zahlreichen historischen Punkte der Stadt, den 1601 erbauten Hallwilerhof, in dem Victor Scheffel seinen Wohnsitz hatte. Ein kleineres Haus gegenüber beherbergte einst Werner Kirchhofer. Mit einer versierten Geleitperson – wie dem gebürtigen Säckinger, Amtsdirektor i. R. Peter Lau – entdeckt man bei einem Streifzug durch die Stadt weitere Erinnerungsstätten: das Bezirksgericht, das für zwei Jahre die berufliche Wirkungsstätte Scheffels gewesen war, das Wirtshaus „Goldener Knopf“, wo viel vergnügter, aber auch der verhängnisvolle Gesang erklungen ist, eine Grabplatte am Fridolinsmünster, ein Denkmal des Katers Hiddigeigei, ein modernes und ein romantisches Monument des Trompeters, Scheffels Grabstein und natürlich das Schloss aus dem 14. Jahrhundert.
Dieses wurde von der elsässischen Familie von Schönau erworben und 1600 zu einer burgartigen Anlage ausgebaut. 1700 erhielt es seine heutige Gestalt und eine barocke Innenausstattung. 1756 starb die Linie der Schönauer aus, und nach einigen Zwischenstationen ging es 1928 in städtischen Besitz über. Seit 1938 beherbergt es das Heimatmuseum, ein Uhrenmuseum, das Scheffelzimmer und seit 1985 das Trompetenmuseum, das thematisch Scheffels Dichtung gut ergänzt. Gehegt wird es von Museumsdirektor Johannes Brenke, vielseitiger Blasmusiker und Dirigent, der über jedes der 300 Instrumente der Sammlung eine interessante Geschichte zu erzählen weiß. In sieben Ausstellungsräumen wird etwa die Hälfte der Sammlung gezeigt, Trompeten, Hörner, Kornette, Si-gnalinstrumente, Showinstrumente, Raritäten wie etwa die 1664 in Nürnberg hergestellte Naturtrompete, historische Instrumente wie von 1850 das älteste Alphorn der Schweiz, das in Säckingen hängt, oder der Nachlass von Adolf Scherbaum (1909–2000), einem der größten Trompeter. Der Fantasie sind beim Trompetenbau offensichtlich keine Grenzen gesetzt, wie etwa eine Trompete in Kobraform zeigt. Dazu sind zahlreiche Dokumente, Bilder, Fotografien und Erinnerungsstücke zu sehen. Nicht nur Johannes Brenke gerät ins Schwärmen, wenn er von seinen Schätzen und ihrer Geschichte erzählt ...
Bad Säckingen hat es verstanden, aus seinem historischen Erbe einen Bogen in die Gegenwart zu schlagen und zur Trompeterstadt zu werden – romantisch, liebenswürdig, unverkitscht. Heute wandert man gerne durch das Städtchen und dankt im Geiste allen, die seine Werte erkannt und zu einem faszinierenden Erlebnis verschmolzen haben.