Mit der Neugründung des Kammerorchesters „Unirea“ in Focşani gelang es Vincent Grüger, ein Stück rumänische Kultur wiederzubeleben. Fünf Jahre danach plant er schon das nächste Projekt. Der Mann, der bereits seit fast 17 Jahren in Rumänien lebt, scheint niemals stillzustehen. Auf seinen bisherigen Erfolgen will er sich nicht ausruhen und ist fest entschlossen, neuen Schwung in die rumänische Kulturlandschaft der klassischen Musik zu bringen.
Doch alles der Reihe nach: Vincent Grüger, geboren in eine Musiker-Familie, hatte bereits in seiner Jugend den ersten Kontakt mit Rumänien. In den 60er Jahren, während einer sechswöchigen Reise mit seinen Eltern durch Osteuropa, verbrachte er zwei Wochen in dem Land, in dem er heute lebt und arbeitet. Durch eine Reise mit dem Jugendorchester kam er in den 70-er Jahren noch einmal nach Rumänien. „Ich entwickelte dadurch eine gewisse Affinität zu Land und Leuten“, so Grüger, damals Hornist im Jugendorchester seiner Heimatstadt Wuppertal.
Nach seinem Kompositions- und Dirigierstudium an den Musikhochschulen in Essen und Frankfurt – u. a. bei Hans Zender – kam er 1997 über ein Praktikum beim Musiktheater in Konstanza/Constan]a nochmals nach Rumänien – und blieb. „Ich habe dort den ganzen Sinfonieorchester- und Opernbetrieb kennenlernen können“, sagt Grüger und erklärt, warum er vorerst in der Stadt am Schwarzen Meer blieb. „Nach unzähligen Bewerbungen in Deutschland hatte ich einfach keinen Arbeitsplatz finden können, denn damals fing es mit den vielen Stellenstreichungen im Kulturbereich bereits an. „Obwohl er eigentlich auf einen Lehrauftrag an einer Musikhochschule in Deutschland gehofft hatte, fing Grüger 1998 an, an der Musikfakultät in Kronstadt/Braşov zu unterrichten.
Das rumänische Hochschulsystem empfindet er als „viel frontaler“ als das deutsche: „Wenn der Professor ins Zimmer kommt, dann schlagen die Studenten voller Erwartung ihre Büchlein auf und warten, dass ihnen etwas diktiert wird.“ Grügers Versuche, die Studenten dazu zu motivieren, sich selbstständig den Lehrstoff zu erarbeiten, waren nicht immer erfolgreich. Neben seiner Lehrtätigkeit leitete er das Studentenorchester der Kronstädter Musikfakultät. „Alle Studenten, die ein Instrumentalfach studieren und später ins Orchester wollen, müssen zwei Tage pro Woche im Studentenorchester spielen und proben“, erklärt Grüger. „Wir hatten damals unsere Proben in der Kantine, immer von acht bis zehn Uhr – schreckliche Zeiten!“
Während dieser Zeit lernte er nicht nur das rumänische Hochschulsystem kennen, sondern machte sich auch zunehmend mit der Kulturlandschaft des Landes vertraut. Bis heute scheint er sich seine unabhängige Sicht auf die klassische Musikszene bewahrt zu haben. Dazu gehört auch der realistische Blick auf den heutigen Arbeitsmarkt: „Die rumänischen Instrumentalisten sind in der Regel zwar sehr gut ausgebildet“, so der deutsche Dirigent, „doch nur die wenigsten können später eine Solistenkarriere starten.“
Allein an der staatlichen Musikhochschule in Bukarest gibt es vier Studentenorchester, um alle Studenten unterbringen zu können. Wenn jedes Jahr etwa zehn Geiger ihren Abschluss an der Musikhochschule machen, entsteht in der rumänischen Hauptstadt eine wahnsinnig große Konkurrenz, da sich nun alle um die wenigen Plätze in den fünf Bukarester Orchestern reißen. Hinzu kommt der derzeitige Einstellungsstopp und der geringe Lohn, den die Anfänger gezahlt bekommen – gerade einmal 800 Lei verdienen sie in den ersten Jahren.
„Dadurch ist die Flexibilität und Mobilität der Musiker in Rumänien sehr gering“, bemerkt Grüger und fügt hinzu: „Für eine ausgeschriebene Stelle in einem Orchester kommen, wegen des niedrigen Gehalts, eigentlich nur Musiker in Frage, die in der Stadt studiert und bereits eine Wohnung haben oder jene, die Familie dort haben. In Hermannstadt kann also keiner leben, der aus Temeswar kommt.“
Jede Menge Herzblut für „Unirea“
Von Flexibilität und Mobilität kann Grüger selbst ein Lied singen, wenn es um das von ihm vor fünf Jahren neugegründete Kammerorchester „Unirea“ in Focşani geht. Da es in der Stadt zwischen Bukarest und Jassy/ Iaşi nur ein kleines Kunstlyzeum gibt, stammen nur die wenigsten der von Grüger engagierten Musiker aus Focşani. Die meisten kommen aus Bukarest, Jassy, Galatz/Galaţi und Bacău, wo es Musikhochschulen oder einschlägig ausgerichtete Lyzeen gibt. Sie sind alle Profis, arbeiten an der Oper, in der Philharmonie oder im Radioorchester.
Für die Proben kommen sie extra nach Focşani, was es für den deutschen Dirigenten sehr teuer macht, da Unterkünfte und Fahrtkosten bezahlt werden müssen. „Es ist viel Herzblut bei der Sache“, so Grüger. „Es sind alles Künstler, die sehr gern mit mir zusammenarbeiten, denn warum sonst sollten sie sich für mehrere Stunden in ein Auto quetschen, womöglich noch mit dem Geigenkasten auf dem Schoß?“
Zu den logistischen Herausforderungen kommt, dass die Konzerte in Foc{ani immer sonntags oder montags stattfinden. Normalerweise finden die Orchestervorführungen donnerstags statt, teilweise wird auch am Freitag noch ein Zusatzkonzert gegeben. Grüger stellt dies vor das Problem, dass nur zwei Tage, Samstag und Sonntag, zum Proben übrig bleiben. Immer wieder kommt es zu zeitlichen Konflikten, da die Musiker schließlich noch in ihren Heimatstädten angestellt sind.
Dennoch gelang es Grüger nicht nur, mehr und mehr Musiker für das Orchester zu begeistern, sondern auch, sich über die fünf Jahre ein Stammpublikum zu „erspielen“. Je nach Anlass stehen heute bis zu 40 Musiker auf der Bühne des Konzertsaals. Wenn es um das Volksathenäum in Foc{ani geht, in welchem etwa 360 Besucher Platz finden, gerät Grüger ins Schwärmen: „Das Gebäude aus der Zwischenkriegszeit hat eine herrliche Kuppel, eine großartige Akustik und ist, im Gegensatz zu anderen Sälen, sehr schön anzusehen – ganz ohne Plüsch drin.“
An den Konzerten, die einmal im Monat stattfinden, gibt es mittlerweile großes Interesse in Focşani. „Wir haben ein sehr warmes Publikum“, so Grüger, der als Kapellmeister der Oper in Jassy, als Chefdirigent des Musiktheaters in Galatz und als Gastdirigent fast bei allen rumänischen Orchestern tätig war. Regelmäßig kommen um die 250 Zuhörer zu den Konzerten, je nach Anlass ist es aber auch ausverkauft.
„Zu den ersten, sehr kleinen Konzerten haben wir, um ein wenig auf uns aufmerksam zu machen, ehemalige Orchestermitglieder des ‘Unirea’ auf die Bühne geholt, die dann erzählt haben, wie es damals war“, erinnert sich Grüger. Mit der „damaligen Zeit“ hat er sich viel auseinandergesetzt und weiß über die Geschichte bestens Bescheid. Schon bei der Gründung 1947 trug das Orchester den Namen „Unirea“. Seit dieser Zeit gibt es in vielen kleinen Städten Rumäniens Orchester. „Ich habe einmal nachgezählt und es kamen fast 30 zusammen“, sagt Grüger.
Während seiner Blütezeit kamen die berühmtesten rumänischen Solisten nach Focşani, um dort zu spielen. Bis 1963 bestand das Orchester, dann wurde es mit den Orchestern in Galatz zwangsvereinigt, lediglich das Volksathenäum blieb erhalten.
Gute Taten in Focşani
Bei der Neugründung plante Grüger, „die musikalische Tradition, die es damals in Foc{ani gab, auf irgendeine Art und Weise wieder aufzunehmen“ und behielt den alten Namen. Er orientierte sich am Beispiel Piteşti, wo zwei Jahre zuvor ein Orchester mit großem Erfolg neugegründet wurde. Doch im Gegensatz zu Piteşti hatte man zunächst kein eigenes Budget, dem rumänienweiten Einstellungsstopp fielen die schon genehmigten Stellen zum Opfer. „Anfangs wurden vier Konzerte vom Kulturministerium bezahlt, anschließend haben wir uns drei Jahre lang fast ausschließlich durch Sponsoring finanziert“, so Grüger. Firmen aus der Region und Privatpersonen ermöglichten ein weiteres Bestehen des jungen Orchesters.
Vor etwa zwei Jahren kam eine internationale Delegation zur Unterzeichnung der Städtepartnerschaft zwischen Focşani und dem italienischen Tivoli. Die Gäste waren vom Festkonzert des „Unirea“-Orchesters begeistert und schwärmten dem Bürgermeister von der Veranstaltung vor. „Plötzlich hatten wir dann - typisch rumänisch - ein Budget, das uns erlaubte, einmal im Montag ein Konzert zu spielen“, lacht Grüger. Viele große und schöne Konzerte habe man seither gegeben, bei denen Grüger es sich nicht nehmen ließ, zwischen den Stücken auch ein wenig auf seine Sache aufmerksam zu machen und die Zuschauer zu motivieren, ihren Freunden und Nachbarn vom Kammerorchester zu erzählen.
„Leider müssen wir aus unserem Budget die im Rahmen der landesweiten Sparmaßnahmen einbehaltenen Gehälter der Mitarbeiter des Volksathenäums, die nun nachträglich ausgezahlt werden, begleichen“, bedauert Grüger. Für ein Konzert im Februar hat dann das Geld nicht mehr gereicht. Die Aufmerksamkeit um den deutschen Dirigenten und sein Orchester scheint jedoch nicht abzureißen. In Focşani kennt man Grüger längst, grüßt ihn auf der Straße. Die regionale Tageszeitung „Ziarul de Vrancea“ berichtet regelmäßig über die Konzerte und veröffentlichte ein zweiseitiges Porträt des Orchesters - „ein absoluter Coup“, freut sich Grüger. Vom selben Blatt bekam er im Dezember 2013 den Preis „Fapte Bune“ (gute Taten) verliehen, der jährlich an Personen vergeben wird, die Gutes für Focşani und die Umgebung tun. Auch andere Zeitungen und Zeitschriften, darunter das Magazin „Debizz“, berichteten bereits über das Orchester.
Erzählkonzerte für die Jungen
Auf seinem Erfolg in Focşani will sich Grüger dennoch nicht ausruhen, längst ist das nächste Projekt in Planung: zusammen mit dem neuen Deutschen Jugendforum Bukarest und seinem neuen Leiter Christian Töpfer sollen Kinderkonzerte veranstaltet werden. Die Musiker des „Unirea“-Orchesters sollen sich dabei abwechseln, je nachdem, wer gerade Zeit hat, sodass ein Teil des Orchesters in Bukarest aufgebaut werden kann.
Erreicht werden sollen deutsche Kinder und Jugendliche und jene, die die Sprache in der Schule lernen. „Die Musik soll auf jeden Fall auf Deutsch vermittelt werden“, erklärt Grüger. „Wir wollen Ausschnitte aus Sinfonien und speziell für Kinder komponierte Werke spielen und dazu eine Geschichte erzählen. Außerdem sollen die Instrumente vorgestellt werden und die Kinder nach dem Konzert auf die Bühne kommen dürfen und mal an einer Geige zupfen oder ein Horn in der Hand halten.“
In Bukarest gibt es derzeit kein professionelles Orchester, das Konzerte für Kinder und Jugendliche veranstaltet, auch in anderen Städten wird Derartiges eher sporadisch angeboten. „Es besteht auf jeden Fall Interesse“, so Grüger. „Wir stehen in Kontakt mit dem Goethe Kolleg und ich habe auch eine Anfrage von der Deutschen Schule Bukarest.“ Während die Planung der Konzerte schon recht weit vorangeschritten ist, sieht es mit den Räumlichkeiten, in denen die Konzerte später stattfinden sollen, schwieriger aus. „Leider hat das Goethe Kolleg keine Aula“, erklärt Grüger. „Wir überlegen, es in anderen Schulen zu machen oder auch in Turnhallen. Selbst wenn es dort ein bisschen stinkt – da bin ich mir nicht zu fein für!“
Schwierig ist es,wie so oft, auch mit der Finanzierung. Man hofft dabei auf die Beteiligung von der Deutschen Botschaft, „aber auch die rumänische Seite kann sich gerne beteiligen, so vielleicht das Departement für interethnische Beziehungen“, meint Grüger. Denn wenn jeder etwas dazugäbe, dürfte das Projekt realisierbar sein. „Schön wäre außerdem, wenn das Ganze eine gewisse Kontinuität hätte“, erklärt er. Ein Konzert pro Monat oder alle sechs Wochen im Schuljahr hielte er für ideal. „Wir müssen eben erst einmal ein Kinderkonzert auf die Beine stellen, so dass die Sache dann ins Rollen kommt und sich weiterentwickelt. Das erste Konzert wird im Bukarester Kulturhaus Friedrich Schiller stattfinden, wie dessen unermüdliche Direktorin Mariana Duliu mir dankenswerterweise zugesichert hat, in Zusammenarbeit mit der Dalles-Volksuniversität“, erklärt Grüger – offenbar wild entschlossen, auch dieses Projekt auf solide Beine zu stellen.