Zu den deutschen Minderheitsgruppen in Rumänien, unter denen die Siebenbürger Sachsen und die Banater Schwaben die bekanntesten und zahlenmäßig stärksten sind, zählen auch die heute nahezu vergessenen Dobrudschadeutschen. Ihnen hat der promovierte Geisteswissenschaftler Josef Sallanz eine soeben erschienene, klar und verständlich geschriebene, sachkundig verfasste und reich bebilderte Monografie gewidmet, die den Ertrag seiner langjährigen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema sowie zahlreicher Archiv- und Feldforschungsaufenthalte in der Dobru-dscha/Dobrogea darstellt und zugleich Dokumente der Zeitgeschichte zugänglich macht, die dem Autor von in Deutschland lebenden Dobrudschadeutschen und ihren Nachkommen für die Veröffentlichung zur Verfügung gestellt wurden.
Die in der Reihe „Potsdamer Bibliothek östliches Europa“ erschienene Monografie von Josef Sallanz gibt, nach einem Vorwort des 1963 in Arad geborenen, in Berlin wohnhaften und derzeit als DAAD-Lektor im moldawischen Chișinău wirkenden Autors, zunächst einen historischen Überblick über die Geschichte jener Region zwischen Donau und Schwarzem Meer, die bereits der römische Dichter Ovid in seinen in der Verbannung geschriebenen „Tristia“ besang. Schon zur Römerzeit war das Gebiet der Dobrudscha ein Durchzugsraum mit wechselnden Herrschaften und immer wieder anders zusammengesetzter Bevölkerung. „Der bis heute erhaltene Charakter der Region als pluriethnischer Durchmischungsraum wird bereits in der Zeit der Antike angelegt.“ (S. 14)
Nach Jahrhunderten byzantinischer, bulgarischer und osmanischer Herrschaft kam, als Folge des Russisch-Osmanischen Krieges 1877/78, die nördliche Dobrudscha zum Fürstentum Rumänien, während die südliche Dobrudscha dem Fürstentum Bulgarien zugesprochen wurde. In der Epoche Großrumäniens, also in der Zeitspanne zwischen 1919 und 1940, gehörte die gesamte Dobrudscha zum Königreich Rumänien, wurde jedoch nach dem Vertrag von Craiova 1940 wieder in die bulgarische Süddobru-dscha und die rumänische Norddobrudscha aufgeteilt. Diese vor achtzig Jahren vorgenommene Grenzziehung innerhalb der Dobrudscha entspricht der heute gültigen Landesgrenze zwischen Rumänien und Bulgarien.
Das zweite und weitaus umfangreichere Kapitel der Monografie von Josef Sal-lanz ist den verschiedenen Phasen der dobrudschadeutschen Geschichte gewidmet. „Gegen Ende der osmanischen Herrschaft siedelten sich im Jahr 1841 die ersten Deutschen in der Dobrudscha an. Sie kamen vor allem aus dem nördlich an die Donau grenzenden Bessarabien, in das sie aus politischen, religiösen und wirtschaftlichen Gründen erst einige Jahrzehnte zuvor eingewandert waren.“ (S. 27) Auf die erste Siedlungsphase 1841 bis 1857 folgte eine zweite in den Jahren 1873 bis 1883, in deren Verlauf deutsche Siedler aus den südlichen Gebieten Neurusslands in die Dobrudscha kamen. Nachdem sich die nationalistischen Strömungen im Russischen Zarenreich verstärkten, kam es Anfang der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts zu einer dritten Einwanderungswelle sowie zur Gründung deutscher Tochterkolonien in der Dobrudscha. Zu eben dieser Zeit wurde bei Cernavod˛ die erste Eisenbahnbrücke über die Donau gebaut, die damals Karl I.-Brücke hieß und heute unter dem Namen Anghel-Saligny-Brücke bekannt ist. Durch sie wurde die nördliche Dobrudscha wirtschaftlich stärker in das rumänische Königreich eingebunden.
Während des Ersten Weltkrieges verdächtigte die Bukarester Regierung die in Rumänien lebenden Deutschen nicht selten der Kollaboration. Etliche Dobrudschadeutsche wurden in dieser Zeit verhaftet, was in manchen Familien zu der paradoxen Situation führte, dass der Vater wegen Unzuverlässigkeit interniert wurde, während der Sohn zur selben Zeit in der rumänischen Armee diente. Es erstaunt nicht, dass die deutschen Besatzer, die unter dem Kommandeur der Donauarmee, August von Mackensen, die Dobrudscha eroberten, von der dortigen deutschen Bevölkerung willkommen geheißen wurden.
In der Zwischenkriegszeit kam es zu ersten Gründungen dobrudschadeutscher Verbände nach dem Vorbild siebenbürgisch-sächsischer und banatschwäbischer Organisationen. Doch diese Entwicklung zur Selbstbestimmung als Minderheit im rumänischen Staat wurde durch den Aufstieg Hitlers jäh unterbrochen, dessen nationalsozialistische „Volkstumspolitik“ sieben Jahre nach seiner Machtergreifung das Schicksal der Dobrudschadeutschen endgültig besiegelte. Am 13. Dezember 1940 hatten die deutschen Siedlungen in der Dobrudscha aufgehört zu existieren.
Bewegend sind die Dokumente, mit denen Josef Sal-lanz die Massenübersiedlung der insgesamt 16.000 Dobrudschadeutschen illustriert: so etwa ihre Einteilung in drei Gruppen, von denen nur die erste den versprochenen eigenen Hof in den eroberten Ostgebieten erhalten sollte, während die den anderen beiden Gruppen Zugeteilten entweder als Arbeitskräfte eingegliedert oder möglichst schnell wieder nach Rumänien abgeschoben werden sollten. Manche Dobrudschadeutsche wurden sogar in Konzentrationslager verbracht, um mittels dieser grausamen Beugehaft ihren Widerstand gegen eine Eingliederung ins Reich zu brechen. Bewegend ist auch ein Gesuch mehrerer dobrudschadeutscher Bauern aus dem Dorf Malkotsch/Malcoci an eine Berliner Behörde, in dem es heißt: „darum live Brüder hilft uns so vil ir meglich kind das mir wider in unsere alte heimat zurik komen mir wollen von herzen eich hilflich sein.“ (S. 94)
Die meisten Dobrudschadeutschen blieben nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland. Etwa zehn Prozent zogen weiter in die Vereinigten Staaten von Amerika oder nach Kanada. Von den über 8000 Dobrudschadeutschen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland niederließen, wählten die meisten Wohnsitze in Süddeutschland. Die Stadt Heilbronn, wo viele Dobrudschadeutsche ansässig wurden, übernahm 1954 eine offizielle Patenschaft für diese ihrer Heimat verlustig gegangene Landsmannschaft. Über 2000 Dobrudschadeutsche verblieben in der Deutschen Demokratischen Republik. Doch „ähnlich wie im Westen Deutschlands erlebten die Dobrudschadeutschen auch in der DDR das Gefühl des Ausgeschlossenseins auf vielen Ebenen.“ (S. 105) Mit einem kurzen Abschnitt über Deutsche in der Dobrudscha nach 1940 bzw. nach 1989 beschließt Josef Sallanz dieses zweite Kapitel, das sich auch mit der Erinnerungskultur der Deutschen in der Dobrudscha befasst.
Das dritte Kapitel der Monografie von Josef Sallanz widmet sich dobrudschadeutschen Lebenswelten: Religion und kirchliches Leben, das Unterrichtswesen der deutschen Siedler in der Dobrudscha, die Wirtschaft (Ackerwirtschaft, Weinbau, Viehzucht, Handwerk und Handel) werden ebenso ausführlich beleuchtet wie das Dorfleben, Alltag und Arbeit, Ernährung und medizinische Versorgung der Deutschen in der Dobrudscha. Brauchtum und Kultur, Festzeiten und Feiertage, Friedhöfe und Bestattungskultur, Tracht und Kleidung gehören gleichfalls zu den hier abgehandelten Themen.
Der Schlussteil dieses dritten Kapitels widmet sich den in der Dobrudscha ansässigen Nachbarn der dortigen Deutschen. Dazu zählten selbstverständlich die Rumänen als überwältigende Mehrheit, aber auch verschiedene Minderheiten wie die der Bulgaren, Tataren, Türken, Tscherkessen, Ukrainer, Russen, Juden, Armenier, Roma, Italiener und Griechen. Eine besondere Rolle spielten die Aromunen, die erst in den 1920er Jahren in der Region angesiedelt wurden. Nach dem Wegzug der Dobrudschadeutschen nahmen sie oft Wohnung in den von diesen verlassenen Orten. Ein vom Autor aufgenommenes Foto aus dem Jahre 2014 zeigt das Haus von Johannes Speitel in Tariverde (Kreis Konstanza), dessen aromunischer Besitzer die am Haus angebrachte Gedenkinschrift sorgfältig erhalten hat, welche die Erinnerung an den früheren dobrudschadeutschen Eigentümer wachhält.
Ein prägnantes Fazit, ein resümierendes Nachwort, ein sechzehnseitiges Literatur- und Quellenverzeichnis, ein Personen- und Ortsregister, ein Abbildungsverzeichnis sowie eine kurze biografische Notiz über den Autor runden die lesenswerte Dobrudscha-Monografie von Josef Sallanz auf gelungene Weise ab.