2018 ist Europäisches Kulturerbejahr: Mit diesem Themenjahr fordert die Europäische Kommission auf, dazu beizutragen, Europa den Europäern wieder ein Stück näher zu bringen. Geschichten sollen unter dem Motto „Sharing Heritage“ (Erbgut teilen) erzählt werden und somit in den Vordergrund rücken. Im Fokus des Kulturerbejahres steht das Gemeinschaftliche und Verbindende europäischer Kultur. Die Stadt Detta im Kreis Temesch soll innerhalb dieses Kulturerbejahres auch in den Fokus rücken. Gottfried Binder und Marianne Cebulla arbeiten derzeit am DÆTA-Projekt, das in diesem Frühling starten wird. (Details dazu und Einschreibung zur Teilnahme sind auf der Internetseite daeta.caohom.com möglich.) Das Projekt sei eine Arbeit vor Ort mit langfristiger Wirkung, ins-besondere mit Augenmerk auf Temeswar als Kulturhauptstadt 2021 gedacht, sagen die Initiatoren. Worum es innerhalb dieses Projekts genauer geht, hat ADZ-Redakteurin Andreea Oance von den Projektinitiatoren, Gottfried Binder und Marianne Cebulla, erfahren.
„DÆTA“ wird als ein soziokulturelles Projekt der deutschen Künstlergruppe ›biro:u‹ in der rumänischen Stadt Detta anlässlich des europäischen Kulturerbejahres 2018 erwähnt. Was bedeutet das eigentlich?
Wir arbeiten nach einem weiten Kunstverständnis, das neben ästhetischen Produkten immer auch eingebettet ist in jene Lebenswelten, in denen Kunst und Kultur stattfinden soll. Dies soll Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Publikum und Betrachter ansprechen. Somit sehen wir in diesem Kunstbegriff auch eine gesellschaftliche Funktion, die in ihren Grundzügen als soziokulturell betrachtet werden kann, wenn darunter verstanden wird, dass Kultur und Kunst in alle Lebensbereiche aller Bevölkerungsschichten wirken können. Der gesamtgesellschaftliche und demografische Wandel zeigt sich in der Banater Region in einer besonderen Weise: Es herrscht nicht nur geografisch eine Transit-Situation zwischen der „alten“ und der „neuen“ Welt, in der die eigene Identität in einem ständigen Abgleich neu er- und gefunden werden muss. So werden einerseits deutsche Bräuche und Sprachformen von der Gruppe der Banater Schwaben gepflegt und weitergegeben, ande-rerseits verliert die junge Generation immer mehr den Bezug zu einer Kultur, die nicht mehr ganz die ihre ist.
Worin besteht das Projekt genauer?
Durch den inhaltlichen Fokus auf das Sammeln (von Gegenständen, Traditionen, Werten und Fähigkeiten) bietet das Projekt die Möglichkeit, über historisch und ideell behaftete Sammlungen, sich seiner eigenen Identität anzunähern und deren Wert neu zu verhandeln. Zum anderen führen wir im Rahmen des Projektes verschiedene Bevölkerungsgruppen generationsübergreifend zusammen, setzen Impulse für nachhaltigen Austausch und bieten die Möglichkeit einer gemeinsamen künstlerischen Auseinandersetzung mit der eigenen und fremden Identität. Die am Ende des Projektes stattfindende öffentliche Präsentation vereint die gesammelten Geschichten und Objekte.
Wichtige Fragen dabei sind: Welche Rolle spielen Fertigkeiten und Kenntnisse in der gegenwärtigen Gesellschaft? Inwiefern beeinflusst die (Noch-)Anwesenheit von traditionell aufgebautem Wissen innerhalb einer modernen und diversen Gesellschaftsstruktur das Selbstverständnis der einzelnen Individuen? Welche ideellen Unterschiede gibt es zwischen physischen und digitalen Sammlungen? Wie verändert sich die Rolle des persönlichen Kuratierens, wenn automatisch und ungefiltert online gespeichert wird? Wo liegt die Grenze zwischen speichern und sammeln? Immer in Abgrenzung und im Zusammenspiel mit den größeren Gesellschaftsstrukturen, sind die Abwägung und Wertschätzung solcher Sammlungen permanent abrufbar und werden wie auf einem Markt gehandelt. Es sind eigene Regionen, Enklaven des Wissens, Landschaften fast vollkommen verlorengegangener Werte. Tauschgeschäfte und Wissenstausch nehmen einen großen Stellenwert in der Region ein und funktionieren als eigene Währung. Die rasante mediale und vor allem digitale Veränderung bringt zudem eine neue Ebene des interkulturellen Austausches und der individuellen Alltagsgestaltung mit sich, die in ihren scheinbar unendlichen Möglichkeiten, Beschleunigung und Überforderung mit sich bringt und die Gesellschaft spaltet. Letztendlich stellt sich für die Menschen im Banat die Frage, aus welchen Teilstücken sich ihre Identität zusammensetzt, wie damit umzugehen ist und welche neue Identität man annehmen möchte?
Was nimmt sich DÆTA konkret vor?
Wie eine Momentaufnahme/ein Standbild soll DÆTA die unterschiedlichen, vor Ort lebendigen Kompetenzen reflektieren und aktivieren, sie vernetzen und den Wert von Sammlungen beleuchten. Schwerpunkt ist die Sammlung regionaler Geschichten und Fähigkeiten sowie das über Generationen weitergegebene Wissen. Diese europäischen ideellen Erbstücke möchten wir gemeinsam mit den Bügerinnen und Bürgern Dettas sammeln, archivieren, kuratieren und untereinander austauschen. Eine von Beginn an möglichst breite Beteiligung ist ein Schwerpunkt. Gemeinsam mit den Menschen der Region soll das Bewusstsein für den Wert der Kultur und unser gemeinsames europäisches Erbe gestärkt werden. Die unterschiedlichen vor Ort lebendigen Kompetenzen werden aktiviert und zeitgenössisch vernetzt. Im Mittelpunkt steht das menschliche Bedürfnis zu Sammeln, zu Bewahren und sich Auszutauschen. Dem Spektrum und dem Facettenreichtum der einzelnen Sammlungen sind keine Grenzen gesetzt. Von der klassischen Briefmarkensammlung über Familienalben oder aus der Mode gekommenen Gebrauchsgegenständen bis hin zu Verpackungen oder rostigem Eisen. Aber auch Sammlungen, die sich nicht an Objekten festmachen, sind für das Projekt von großem Interesse: gesammeltes Spezialwissen über regionale Geschichten oder historische Ereignisse, Kenntnisse über besondere Szenen oder Dialekte sowie eine Sammlung besonderer Eigenschaften oder Fähigkeiten. Mithilfe von Fotografie, Ton- und Filmaufnahmen wird die geschichtliche Besonderheit als auch das Wissen der Einwohner in Form einer Ausstellung und einer Theateraufführung reflektiert. Kontinuierlich wird ein Archiv angelegt, welchem eine gedruckte Publikation folgt.
Wie ist die Idee zu einem solchen Projekt entstanden?
Ich, Gottfried Binder, stamme gebürtig aus der Stadt Detta, meine Eltern und Großeltern größtenteils aus dem umliegenden Dorf Ofsenița. Letzten Herbst war ich nach fast 30 Jahren wieder in meiner Geburtsstadt und blieb dort für eine längere Zeit, um die Veränderungen zu beobachten und alte und neue Kontakte zu knüpfen. Es war mir ein persönliches Anliegen und insofern war es keine normale Reise, da ich den Weg von Deutschland nach Detta mit meiner Hündin zu Fuß unternahm und dies als künstlerische Performance unter meinem Künstlernamen Erich Weisz durchführte. Aufbauend auf den neu gewonnenen Blick auf die Veränderungen der Gegend und die neu geknüpften Bekanntschaften, entstand gemeinsam mit Marianne Cebulla die Idee, die vorhandenen Potenziale aufzugreifen und in einem soziokulturellen Kunstprojekt zusammenzuführen.
In welcher Zeitspanne wird das Projekt in Detta durchgeführt?
Momentan befinden wir uns in der Konzeptionsphase und vertiefen die Kontakte mit unseren Kooperationspartnern aus Detta, Temeswar und Deutschland. Ab April werden wir gezielt mit weiteren interessierten Kooperationspartnern vor Ort Kontakt aufnehmen und interessierte Bürger zur Teilhabe an unseren Kulturformaten einladen. In der Intensivphase im Mai und Juni 2018 werden wir unser Projektbüro im Ferch-Haus inmitten der Stadt beziehen. Von dort starten wir unsere geplanten künstlerischen und kulturellen Aktionen in Detta und Umgebung. Zwischen Juli und Oktober werden wir an der Ausstellung und der Dokumentation arbeiten sowie an der Konzeption für Folgeprojekte auch mit Hinblick auf die benachbarte Metropole Temeswar als Europäische Kulturhauptstadt 2021.
Wann geht alles los?
Noch im März veröffentlichen wir auf unserer Homepage das Programm und den genauen Projektverlauf. Es wird verschiedene Kultur- und Kunstformate geben, bei denen sich interessierte Menschen zur Teilnahme bei uns anmelden können. Schon jetzt suchen wir Menschen, die eine Leidenschaft für das Sammeln bestimmter Objekte, Geschichten, Anekdoten, Fähigkeiten oder vererbten Wissens haben und dies gerne teilen und präsentieren möchten. Dafür gibt es auf unserer Homepage die Möglichkeit, sich bei uns zu melden und untereinander öffentlich in den Austausch zu treten.
Wie soll es dann ablaufen?
März 2018: Verfestigung der bestehenden Kooperationen und Medienpartnerschaften; April 2018: Festigung der Gruppe der Teilnehmer; Mai und Juni 2018: Umsetzungsphase mit abschließenden öffentlichen Präsentationen; Juli bis Oktober 2018: Umsetzung der Ausstellung, Dokumentation des Projektes, Planung und Konzeption nachhaltiger Folgeprojekte.
An wen wendet sich das Projekt?
DÆTA vernetzt generationsübergreifend verschiedene Kulturgruppen aus der Region, ermöglicht intensiven Austausch über die Geschichte des Banats und seiner Menschen und setzt Impulse für die künstlerische Gestaltung des öffentlichen Raumes. Teilnehmen können alle Interessierte, die Teil des Projektes werden und ihr Wissen weitergeben möchten. Für die theatrale und mediale Abschlusspräsentation sind keinerlei Vorkenntnisse vonnöten. Unsere aktuellen Partner sind: Das Demokratisches Forum der Deutschen in Rumänien, das Ortsforum Detta, das Kulturzentrum vor Ort, das Ferch-Haus Detta sowie das Projekt „Sharing Heritage“ - Europäisches Kulturerbejahr 2018 und EuropeForCulture.