Wagner für alle deutschen Volksgenossen
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 bekam Wagner eine immer größere Bedeutung in der Propaganda der Kriegsführung. Adolf Hitler hat dessen Musik nicht nur für seine eigene Politik vereinnahmt, sondern diese Musikwerke mussten in vielen Konzerten im Rahmen des Kraft-durch-Freude-Werkes für die Volksgenossen erklingen. „Kunst kommt zum Volke“ war der Titel einer Konzertbesprechung aus dem Jahre 1941, worin die Leistungen des Temeswarer Deutschen Symphonierochesters gewürdigt wurden, das von Richard Oschanitzky geleitet wurde.
Es war das gleiche Orchester, das noch vor 1939 als städtisches Symphonieorchester aufgetreten ist, davor als Gesellschaft der Musikfreunde oder als Temeswarer Philharmonischer Verein. Und im Orchester saßen weiterhin die gleichen deutschen, ungarischen, rumänischen, serbischen oder jüdischen Musiker nebeneinander. Nur die Propaganda um die gespielte Musik änderte sich schlagartig: Im Vordergrund standen nun die Werke „deutscher“ Meister aus den Reihen des „großen deutschen Volkes“, gespielt für das „hiesige Deutschtum“ und die „deutschen Volksgenossen“. Auch Werke Richard Wagners wurden an diesem Abend vorgetragen: das Preislied Walters aus „Die Meistersinger“ und Siegmunds Liebeslied aus der „Walküre“. Solist war Dr. Peter Schütz, dessen Kunst die größte Anerkennung der Konzertbesucher gefunden hat.
„In weit geöffnete Herzen strömt vollendete Musik deutscher Tondichtergiganten, um zum Anlass eines Tages höchster Bedeutung für das gesamte deutsche Volk auch dem Deutschtum von Temeschburg einen würdigen Festrahmen zu schaffen.“ Mit diesem Satz beginnt die Besprechung eines Konzertes anlässlich des Geburtstags des Führers in der „Südostdeutschen Tageszeitung“ im April 1941. Adolf Hitlers Lieblingskomponist Richard Wagner durfte darin nicht fehlen und so interpretierte das Temeswarer Deutsche Symphonieorchester u. a. das Vorspiel zur Oper „Die Meistersinger“. Der Veranstalter dieses Konzertes war die Musikkammer der Deutschen Volksgruppe in Rumänien. Wie auch bei anderen ähnlichen Konzerten, trat ein „Kamerad“ auf die Bühne – diesmal war es Pg. (Parteigenosse) Hans Jung – und hielt eine Ansprache „… über die schicksalhafte Sendung Adolf Hitlers für das deutsche Volk“, gefolgt von einzelnen Musikwerken.
Je mehr Deutschlands Schicksal durch den Russlandfeldzug besiegelt wurde, desto wichtiger war die Kriegspropaganda zu Hause durch Festkonzerte, Ansprachen und Würdigungen deutscher Meisterwerke des großen deutschen Volkes, vor allem jene Richard Wagners. So wurde das Außerordentliche Festkonzert des Deutschen Symphonieorchesters Temeschburg vom 23. Mai 1943 wieder mit dem Vorspiel zu Wagners „Meistersinger“ eröffnet, geleitet von Richard Oschanitzky. Die Konzertkritik in der „Südostdeutschen Tageszeitung“ vom 26. Mai 1943 stammte diesmal von keinem anderen als Prof. Zeno Vancea, einem der bedeutendsten Komponisten Rumäniens. Sein Text ist sachlich verfasst und kompetent geschrieben und er berichtet sogar von „…einem nicht ganz homogenen Orchester“, das vor einem Publikum aufgetreten ist, das „… nicht immer die zureichende musikalische Erfahrung besitzt, um Werk und Aufführung nach Gebühr zu würdigen.“ Kein Wort von Deutschtümelei in dieser Kritik – was vermutlich der Grund war, dass kaum mehr einer seiner Artikel in dieser deutschen Zeitung erscheinen wird. In anderen Berichten wird auf die mangelnde Besetzung des Orchesters hingewiesen, da viele Musiker einrücken mussten.
Die Schwierigkeiten bei der Aufführung von Wagners Werken unter solchen Umständen waren vorauszusehen. Neben den euphorischen Konzertbesprechungen und den Würdigungen der größten Meisterwerke des deutschen Volkes findet man in den Zeitungen ganze Spalten mit den Namen der Gefallenen. Immer öfter musste das Deutsche Symphonieorchester die Heldenehrungen musikalisch umrahmen, zwischen den Werken Mozarts und Wagners wurden Worte Adolf Hitlers und Teile aus Kriegsbriefen vorgelesen. Doch wenige Wochen vor dem 23. August 1944, als die Sowjetarmee in Rumänien einmarschiert ist, konnten größere Musikwerke nicht mehr aufgeführt werden. Wagner verschwand vollständig aus den Programmen und seine Werke wurden mit lustigen, leichten, volkstümlichen und unterhaltsamen Musikstücken ersetzt, um das Volk in dieser schweren Zeit aufzumuntern. Damit hatte die Musik Richard Wagners für längere Zeit ausgedient.
Wagner unter dem Bildnis Stalins
Nach dem Krieg mussten viele deutsche Musiker Rumäniens vor den neuen Machthabern Rechenschaft ablegen für die Mitwirkung an solchen Kulturveranstaltungen. Viele kamen in rumänische Gefängnisse, wurden in die Sowjetunion oder in den Bărăgan deportiert. Auch der Konzertmeister der Temeswarer Oper, Josef Brandeisz (1896-1978), gehörte dazu.
Bedingt durch die neue wirtschaftliche und politische Lage, konnte man nur mehr selten Wagneropern auf der Temeswarer Opernbühne erleben. Doch mehrmals erklangen dessen Werke im Konzertsaal der Temeswarer Philharmonie „Banatul“. Dieses sinfonische Orchester wurde durch ein Dekret des damaligen Königs Michael vom 17. April 1947 neu gegründet. Das festliche Eröffnungskonzert, dirigiert von George Pavel, bestand aus einem Werk des rumänischen Komponisten Sabin Drăgoi, den Acht Liedern des russischen Komponisten A. K. Liadov und aus dem Vorspiel zu Wagners „Meistersinger“. Der Rezensent dieses Konzertes bemerkt, dass dadurch eine Kontinuität im Temeswarer Musikleben geschaffen werden sollte: Wagners „Meistersinger“-Vorspiel erklang diesmal nicht mehr unter den Hakenkreuzfahnen zum Geburtstag des Führers, sondern unter dem Bildnis Stalins. Und im Orchester saßen die gleichen Instrumentalisten, die schon im Rahmen des Deutschen Symphonieorchesters des Kraft-durch-Freude-Werkes aufgetreten waren, ausgenommen einige deutsche Musiker, die sich noch in Kriegsgefangenschaft oder in russischer Deportation befanden.
In den nächsten Jahren wurden die Aufführungen von Wagner-Werken im Banat immer seltener: An der Temeswarer Oper wurde 1961 „Der fliegende Holländer“ aufgeführt und 1969 „Lohengrin“.
Ebenfalls selten standen Werke Richard Wagners in den Programmheften der Arader Philharmonie nach 1947. Lediglich die Vorspiele zu den Opern „Der fliegende Holländer“, „Lohengrin“ und „Die Meistersinger“ wurden präsentiert und noch seltener Arien aus „Tristan und Isolde“ und dem „Ring des Nibelungen“. Heute sind die Gründe in den immer kleiner werdenden Sinfonieorchestern Temeswars und Arads zu finden, die ohne Verstärkung Wagners Werke nicht mehr aufführen können. Doch zu hören war die gesamte Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ im Rahmen des Internationalen Enescu-Festivals 2013 in konzertanter Form in Bukarest – weit weg von der Banater Musiklandschaft. Interpreten waren das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Leitung von Marek Janowski und hochkarätige Solisten aus aller Welt.