Die Rumänische Revolution von 1989 ist als historisches Ereignis auch über ein Vierteljahrhundert danach immer noch heftig umstritten. War sie eine Volkserhebung, ein Staatsstreich, eine Verschwörung der Nomenklatura zum Sturz Ceauşescus, ein Komplott des rumänischen Geheimdienstes Securitate, ein von ausländischen Mächten provozierter Umsturz, ein geschickt inszeniertes Medienspektakel? War es eine verworrene, vorgetäuschte, gestohlene, konfiszierte, inszenierte Revolution oder war es am Ende überhaupt keine?
Die Sprachwissenschaftlerin Clara Herdeanu, Tochter rumänischer Eltern, „die aus dem sozialistischen Rumänien flohen, um ihren Kindern ein Leben in Freiheit zu ermöglichen“ (S. V), befasst sich in ihrer im vorigen Jahr abgeschlossenen Heidelberger Dissertation über den Revolutions-Diskurs in deutschsprachigen Zeitungen Rumäniens weniger mit der historischen Realität und den damit zusammenhängenden Sachfragen, wie zum Beispiel der Frage nach den „Terroristen“ im Dezember 1989 (Wer waren sie? Woher kamen sie? Wie viele waren es? Wohin verschwanden sie?). Vielmehr wendet sie sich in erster Linie der medialen Verarbeitung der Rumänischen Revolution in der deutschsprachigen Presse Rumäniens zu, wobei am Rande auch rumänische und bundesdeutsche Zeitungen in ihre linguistische Mediendiskursanalyse mit einbezogen werden.
Im Einzelnen setzt sich das von Clara Herdeanu zusammengestellte und untersuchte Textkorpus aus zahlreichen Ausgaben der folgenden beiden rumänischen Druckerzeugnisse deutscher Sprache zusammen: der nationalen Tageszeitung „Neuer Weg“ (NW) / ab 1993 der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“ (ADZ), die in ihrem Gründungsjahr mit der „Banater Zeitung“ und drei Jahre später mit der „Karpatenrundschau“ zusammengelegt wurde; sowie der regionalen, siebenbürgisch-sächsischen Wochenzeitung „Die Woche“, die seit der Rumänischen Revolution wieder ihren ursprünglichen Namen „Hermannstädter Zeitung“ trägt. Von den untersuchten rumänischen Zeitungen wären die nationalen Tageszeitungen „Scînteia“ / „Scînteia Poporului“ / „Adevărul“ sowie „România Liberă“ zu erwähnen, von den untersuchten bundesdeutschen die überregionale Tageszeitung „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) sowie die Wochenzeitung „Die Zeit“. Alle erwähnten Zeitungen werden von Clara Herdeanu als monophone Organe betrachtet, eine polyphone Differenzierung nach Autoren, Journalisten oder Redakteuren wird von ihr nicht vorgenommen.
Historisch-chronologisch gliedert Clara Herdeanu den rumänischen Revolutions-Diskurs in drei aufeinanderfolgende Phasen: in den von den Daten 1. November 1989 und 21. Dezember 1989 begrenzten prä-revolutionären kommunistischen Diskurs mit der für ihn charakteristischen ‚limba de lemn’ (‚langue de bois’, ‚hölzerne Sprache’); in den von den Daten 23. Dezember 1989 und 20. Mai 1990 (erste freie demokratische Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Rumänien) gerahmten eigentlichen Revolutions-Diskurs; und in den post-revolutionären Diskurs, den Clara Herdeanu aus deutschsprachigen Zeitungstexten der Dezembermonate des ersten, fünften, zehnten und zwanzigsten Jahrestages der Rumänischen Revolution zu ermitteln sucht.
Ein großes Verdienst der Arbeit von Clara Herdeanu besteht darin, zahlreiche Zeitungstexte zum Thema der Rumänischen Revolution aus einem Zeitraum von insgesamt zwanzig Jahren (1989 bis 2009) einem breiten Lesepublikum durch umfangreiche Zitate zugänglich gemacht zu haben. Außerdem hat Clara Herdeanu diese Zeitungstexte sprachlich kommentiert, theoretisch reflektiert, methodisch strukturiert und mit den wissenschaftlichen Mitteln der linguistischen Mediendiskursanalyse einer ausführlichen und umfassenden Untersuchung unterzogen. Naturgemäß tritt dabei das Interesse am Einzeltext (und an einer fokussierenden vertiefenden Einzelinterpretation) zurück hinter das Interesse an einem Aufriss von Kategorien, Strukturen und Konzepten, denen sich die Realien der Revolution (historische Sachverhalte, geschichtliche Akteure etc.) eingliedern und subsumieren lassen.
Aufgrund der voraussetzungsvollen Themenstellung ihrer Dissertation hatte die Verfasserin im Verlauf ihrer Arbeit begrifflich gleich an mehreren Fronten zu kämpfen. Sie musste in ihrem Buch historisch in die Geschichte Rumäniens vom sogenannten Goldenen Zeitalter des Kommunismus bis zur zeitgenössischen Gegenwart einführen; sie musste die Situation der Printmedien in Rumänien darstellen, insbesondere die Situation der deutschsprachigen Printmedien, und im Zusammenhang damit auch die Geschichte der deutschen Minderheit in Rumänien. Sie musste in ihrer Arbeit methodisch die Vorgehensweise der pragma-semiotischen Textarbeit präsentieren und zugleich das linguistisch-mediendiskursanalytische Modell ihres Doktorvaters Ekkehard Felder wissenschaftlich erläutern. Sie musste eine Vielzahl von ausgewählten Texten aus den erwähnten drei Revolutions-Diskurs-Phasen strukturierend ordnen, exegetisch kommentieren und die gewonnenen Ergebnisse auf einer metadiskursiven Ebene anschließend nochmals reflektieren.
Das Ergebnis dieses von der Verfasserin sich selbst auferlegten szientifischen Multitasking äußert sich stilistisch in einer pleonastischen Überladenheit und Überfrachtung des wissenschaftlichen Diskurses, quantitativ in dem exuberanten Umfang des Buches, qualitativ in der redundanten Struktur des Inhaltes, die durch ein amplifizierendes Fazit noch gekrönt wird, und nicht zuletzt in der aus alledem resultierenden Unübersichtlichkeit des voluminösen Opus (das ausführliche siebenseitige Inhaltsverzeichnis am Anfang des Buches wird an seinem Ende nochmals durch ein zehnseitiges, weitaus kleiner gedrucktes und um vieles detaillierter strukturiertes zweites Inhaltsverzeichnis ergänzt!).
Andererseits tragen die vielfach in sich differenzierten grafischen Darstellungsmodi des Bandes, die 15 Tabellen, die 10 Schaubilder, die 31 in den Text inserierten Abbildungen, die diversen Indices und Verzeichnisse (Quellen, Literatur, Subthemenmatrizen etc.) wiederum dazu bei, dass sich der Leser in dem gewaltigen Textlabyrinth dennoch zurechtzufinden vermag und nach anfänglichen Orientierungsschwierigkeiten doch noch zu den Stellen vordringt, denen sein eigentliches Interesse gilt.
Für die deutschsprachige Presselandschaft in Rumänien ist es auf jeden Fall zeitgeschichtlich, politisch und journalistisch ein Erfolg, mit einer derart minutiös ausgearbeiteten wissenschaftlichen Studie beachtet, bedacht und gewürdigt zu werden.
Clara Herdeanu: „Sprache – Macht – Revolution. Die Revolution vom Dezember 1989 in deutschsprachigen Zeitungen Rumäniens. Eine linguistische Mediendiskursanalyse“, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2014, 660 S., ISBN 978-3-8253-6381-9, 66,00 Euro