Die rumänische Streichquartettformation „Voces“, die vor fünf Jahren ihr vierzigjähriges Bestehen feiern konnte, hat in ihrem Jubiläumsjahr 2013 mit einem konzertanten Gang durch das reiche Quartettschaffen desjenigen Komponisten begonnen, der als Begründer der kammermusikalischen Gattung des Streichquartetts gelten kann und selbst 83 Werke in dieser Gattung geschaffen hat: Joseph Haydn.
Der konzertante Haydn-Zyklus des „Voces“-Quartetts, der am 20. November 2013 mit Quartetten aus Haydns Opus 1 und 2 begonnen hatte und am 14. November 2017 mit einer Auswahl aus den sogenannten Tost-Quartetten Opus 64 weitergeführt wurde, erlebte am 4. Dezember dieses Jahres eine weitere Fortsetzung mit drei Quartetten Joseph Haydns, die allesamt zu seinen „berühmten Streichquartetten“ gerechnet werden.
Auf dem Programm des leider nur spärlich besuchten Konzertabends im Großen Saal des Rumänischen Rundfunks stand zunächst das Streichquartett Opus 54 Nummer 1, das, wie die übrigen Quartette aus Opus 54 sowie auch sämtliche Quartette aus Opus 55, ebenfalls zu den Tost-Quartetten gezählt wird, obwohl es nicht, wie alle Quartette aus Opus 64, explizit Johann Tost gewidmet ist, dem Zweiten Konzertmeister des Orchesters der Familie Esterházy, bei der Haydn jahrzehntelang als Erster Kapellmeister in deren Hauptresidenzen Wien, Eisenstadt und Esterháza wirkte.
Die anderen beiden Streichquartette, die im Rahmen dieses Konzertes im Bukarester „Mihail Jora“-Saal zur Aufführung gelangten, entstammten Haydns Opus 76, den nach dem ungarischen Grafen Joseph Erdödy von Monyorókerék benannten Erdödy-Quartetten, zu denen auch das berühmte „Kaiser-Quartett“ (Nummer 3) zählt, das allerdings an diesem Abend nicht zu hören war. Gespielt wurden dagegen aus Opus 76 die Nummern 2 und 5, und zwar, wie bei den früheren Haydn-Abenden des „Voces“-Quartetts, in einem Durchgang und ohne Unterbrechung durch eine Pause.
Das „Voces-Quartett“, bestehend aus Bujor Prelipcean (1. Violine), Vlad Hrubaru (2. Violine), Constantin Stanciu (Bratsche) und Dan Prelipcean (Cello), eröffnete sein Abendkonzert auf der Bühne des Großen Radiosaales in Bukarest vor der Kulisse eines einsam vor sich hin blinkenden Weihnachtsbaumes mit dem Haydnschen Quartett Opus 54 Nummer 1 in G-Dur. Von den vier Sätzen dieses Werkes bestach vor allem der zweite langsame Satz Allegretto, der den Zuhörern Momente ätherischer Entrücktheit bescherte, vor allem beim Hörgenuss der Pianissimo-Stellen, in denen sich die vier Streichinstrumente auf subtilste Weise zurücknahmen und gleichsam ins Nichts zurücktraten. Einen lebendigen Kontrast dazu bildete der Kopfsatz Allegro con brio mit seinen robusten trommelartigen Bass-Passagen, ferner der temperamentvolle Finalsatz Presto mit seinem munteren tänzerischen Charakter und natürlich auch der scherzoartige dritte Satz, bei dem, im Trio des Menuetts, das Cello mit einem beeindruckenden chromatischen Solo zu hören war.
Das Quartettensemble „Voces“ setzte dann sein Konzert mit dem sogenannten „Quinten-Quartett“ des zur Zeit seiner Entstehung bereits 65 Jahre alten österreichischen Komponisten fort: mit dem Quartett Opus 76 Nummer 2 in d-Moll, das wegen seiner insgesamt 74 Quintintervalle im ersten Satz diesen Beinamen erhielt. Trotz des kompositorischen Insistierens auf dem Tonintervall einer absteigenden Quinte wirkt dieser Allegro-Kopfsatz keineswegs monoton, sondern sprüht vor kompositorischen Überraschungen, die vom „Voces“-Quartett musikalisch einfallsreich umgesetzt wurden. Im lyrischen Andante des zweiten Satzes, das allerdings nach der Bezeichnung des Komponisten „o piů tosto allegretto“ zu spielen ist, begeisterte die serenadenhafte Pizzicato-Begleitung zur schlichten und sanglichen Liedmelodie der ersten Violine, und im dritten Satz, dem sogenannten „Hexen-Menuett“, beeindruckten die Oktavpassagen der beiden Geigen einerseits und der Bratsche und des Cellos andererseits. Der Finalsatz Vivace assai riss die Zuhörer mit seinen ungarischen Volksmelodien mit, und der erste Geiger genoss die hohen Flageolett-Töne vor den beiden Fermaten in den Eingangspassagen des Schlusssatzes sichtlich.
Das Haydn-Quartett Opus 76 Nummer 5 schließlich, in dem manche Musikwissenschaftler thematische Bezüge zu Haydns gleichzeitig entstandenem Oratorium „Die Schöpfung“ erkennen, wurde, wie auch schon die beiden zuvor gehörten Quartette, vom Quartettensemble „Voces“ in perfektem Zusammenspiel und in subtiler Abstimmung der vier Streicherparts dargeboten. Das 6/8-Thema im Stile einer Siciliana, die hohen Passagen der ersten Violine, die rasende Durchführung des Grundmotivs durch alle vier Stimmen und die virtuose Stretta am Ende des Allegretto-Kopfsatzes begeisterten die Zuhörer ebenso wie das harmonische Spiel mit den verschiedenen Tonarten im zweiten langsamen Satz Largo cantabile e mesto. Auch der Menuett-Satz Allegro ma non troppo und der Presto-Finalsatz ließen die Konzertbesucher die Haydnsche Kammermusik enthusiastisch mitfühlen und genießen.
Auch bei dieser Folge des Haydn-Zyklus konnten die Zuhörer im Großen Saal des Rumänischen Rundfunks die stupenden Fähigkeiten des „Voces“-Quartetts aus nächster Nähe miterleben und die Fähigkeit des Quartettensembles, musikalische Strukturen sichtbar zu machen und das kompositorische Konstrukt der Haydnschen Kreationen höchst luzide zu durchleuchten, vollauf genießen. Der zwar von nur wenigen anwesenden Zuhörern erzeugte aber dennoch lang anhaltende Schlussbeifall belohnte das „Voces“-Quartett für seine edlen Darbietungen der drei berühmten Haydn-Quartette und ließ den Wunsch aufkeimen, bei der nächsten Folge seines Haydn-Zyklus möchten doch mehr Bukarester sich von der großen Kunst dieses rumänischen Kammermusikensembles in Bann schlagen lassen.