Es war Roger Ebert, Amerikas Marcel Reich-Ranicki des Films, der einmal gesagt hat: „Allen Filmkritikern stellt man mindestens einmal in ihrer Karriere zwei Fragen, um die keiner herumkommen mag: ‚Wie viele Filme schaut man sich als Kritiker in der Woche an?’ und ‚Welches ist der beste Film aller Zeiten?’.
Wenn man sich nach dem britischen Filmmagazin „Sight & Sound“ und dessen alle zehn Jahre zusammengestellter Top-10-Liste richtet, dann ist es ohne Frage Orson Welles’ Drama „Citizen Kane“. Seit der Einführung der Rangliste 1952 hat es der zweite Langfilm von Welles fünf Mal auf Platz Eins geschafft. Dafür wurden jedes Mal die wichtigsten, international anerkannten Filmkritiker befragt. Aber auch die jüngere Favoritenliste der Regisseure, die erstmals 1992 gemacht wurde, ermittelt „Citizen Kane“ als unanfechtbaren Sieger, obwohl es in der Kunst, die ja so subjektiv und so überraschend sein kann, es nie wirklich den sogenannten „Besten“ in irgendeiner Kategorie geben kann.
Doch das 1941 erschienene Meisterwerk des damals 25-jährigen Autors, Regisseurs und Schauspielers – und da scheinen sich alle einig zu sein – verdient die Bezeichnung „Meisterwerk“, besonders auf einer filmtechnischen Ebene, weil der Film für die damalige Zeit nicht nur bahnbrechend war, sondern auch dieser weit voraus.
Es sind die aufwendigen Kameraperspektiven, der Einsatz spezieller Kameraobjektive um eine möglichst große Schärfentiefe zu erzeugen sowie der revolutionären Anwendung von Ton. Welles, der davor besonders durch seine Arbeit fürs Radio Berühmtheit erlangte – allen voran seine Hörspielproduktion „Krieg der Welten“, die so echt klang, dass Menschen es für eine Nachrichtenmeldung hielten und tatsächlich glaubten, Außerirdische würden eine Invasion planen – ließ die Darsteller durcheinanderreden und sich gegenseitig unterbrechen.
Aber auch als Autor war Welles innovativ: Er verzichtete auf Chronologie, beginnt den Film mit dem Tod des Protagonisten, Charles Foster Kane, danach verläuft die Geschichte entlang zweier Stränge: Zum einen versucht der Journalist Jerry Thompson das Geheimnis des Wortes „Rosebud“ zu entschlüsseln, welches Kane kurz vor seinem Dahinscheiden noch ausspricht, zum anderen wird uns in Rückblenden, das Leben des Zeitungsmagnaten Charles Foster Kane vorgestellt. Wir dürfen den aus armen Verhältnissen stammenden Millionär auf seinen wichtigsten Lebensstationen begleiten.
Der Film wird aber nicht nur für seine film- und erzähltechnischen Errungenschaften gefeiert, sondern wurde auch später als Argument von Vertretern der Auteur-Theorie gebracht. Die sich besonders in Frankreich entwickelte Filmtheorie geht von dem Grundsatz aus, dass der Regisseur oder Filmemacher als geistiger Urheber und zentraler Gestalter des Kunstwerks stehen sollte. Orson Welles erhielt für „Citizen Kane“ uneingeschränkte, kreative Freiheit. Er führte nicht nur Regie, er schrieb auch das Drehbuch und spielte die Hauptrolle in dem Film.
Die Tatsache, dass kein Filmstudio oder Produzent in seine Arbeit hineingepfuscht hat, sehen viele Auteur-Theoretiker als den Grund, weshalb der Film so revolutionär war. Diese These wird im Falle von Orson Welles durch seine späteren Erfahrungen mit den Filmstudios nur bekräftigt. Einen weiteren Meilenstein wie „Citizen Kane“ brachte Welles nicht mehr zustande, eben weil oft die Endfassungen seiner Filme von Produzenten bearbeitet wurden.
Es ist inzwischen eine Geschichte so alt wie Hollywood selbst und darum auch kaum verwunderlich, weshalb auch viele namhafte Regisseure „Citizen Kane“ zum besten Film aller Zeiten deklarieren. Denn die meisten kennen die Hürden nur zu gut, die sie überwinden müssen, um ihre Vision entstehen zu lassen.