Ein bisschen Klang, Raunen und Stille

Die Theater-Highlights des 31. Internationalen Theaterfestivals von Hermannstadt

„Aphrodite und die Befreiung der Welt. Ein griechisches Musik-Vaudeville“ | Foto: Diana Racs

„In der Einsamkeit der Baumwollfelder“ mit John Malkovich und Ingeborga Dapkunaite | Foto: Sebastian Marcovici

„Das Erwachen“, eine Produktion des „Emilia Romagna Teatro“ | Foto: Sebastian Marcovici

„Seelenraunen“ mit Isabelle Adjani | Foto: Lucas Trotouin

Einem Ausnahmezustand der besonderen Art war Hermannstadt/Sibiu auch in diesem Jahr wieder ausgesetzt: Das internationale Theaterfestival stand unter dem Motto „Freundschaft“/„Prietenie“/ „Friendship“, stellte vom 21. bis 30. Juni das Stadtleben auf den Kopf und ließ die Herzen von Theaterverliebten höher schlagen.

Besondere Gäste bei diesem Festival waren die französische Schauspielerin Isabelle Adjani („Nosferatu“, „La gifle“, „Subway“), der italienische Autor und Schauspieler Pippo Delbono („I am Love“, „Love Flesh“, „Vangelo“), der amerikanische Schauspieler und Filmproduzent John Malkovich („Gefährliche Liebschaften“, „Being John Malkovich“, „Les Misérables“) und der amerikanische Regisseur und Schauspieler Tim Robbins („Die Verurteilten“, „A Perfect Day“, „Dead Man Walking“). Alle vier Darbietungen der prominenten Gäste wurden stark nachgefragt und waren schon weit vor Beginn des Festivals ausverkauft.

Jefferson Airplane, The Who und der Tod

Den ersten Theater-Höhepunkt gestaltete Pippo Delbono und seine Schauspieltruppe „Teatro Nazionale – Compagnia Pippo Delbono“ mit seinem Stück „Das Erwachen“/„Trezirea“/„Il Risveglio“ der Produktion des „Emilia Romagna Teatro“. Die bis zu den Tränen authentische Schauspieltruppe, der einsam auf der Bühne sitzende Delbono, eine Leinwand, auf der die Präsentation mit Filmmaterial begleitet wurde – all diese Elemente kreierten ein emotionales Feuer, in dessen Klangfarben der Saal schon nach den ersten Minuten gefangen war.

Aus Versatzstücken der eigenen Biografie, Briefen und Gedichten formte Delbono ein Mosaik aus Emotionen, versetzt mit Musik von Jefferson Airplane, The Who – Konzerte der Künstler, die er in seiner Jugend besucht hat. In die Zeitreise mischte sich Musik und ein Text von Maria Tănase. So war die Vorstellung Delbonos auch eine Hommage an die Wegkreuzung von Ost und West.

Der Rückblick und die Vorschau, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit dem Denken an Jugendträume, Endlichkeit, Alter und Gebrechlichkeit verknüpft, enden mit einem Zitat des italienischen Dichters Sandro Penna: „Das Leben ist… die Erinnerung an ein trauriges Erwachen in einem Zug im Morgengrauen …“

Verwegen und tragisch, knallbunt und melancholisch – die Emotionen mischen sich bei Delbono und berühren das existenzielle Dasein eines Jeden. Wer noch nicht erwacht ist, oder eine der vielen Erweckungen des Lebens heraufbeschwören möchte, möge diese Vorstellung besuchen.

Ein bisschen Kitsch vermengt mit Corona-Kritik

Einen weiteren Theater-Höhepunkt bildete das Stück „Aphrodite und die Befreiung der Welt. Ein griechisches Musik-Vaudeville“/„Afrodita și Eliberarea Lumii. Un vodevil musical grecesc“, das mit der Schauspieltruppe „The Actors’ Gang“ zweimal in der Hermannstädter Philharmonie zur Aufführung kam: Ein Chor, der sich regelmäßig zu Proben trifft, erhält Kunde von einer mysteriösen, sich ausbreitenden Krankheit, die die Menschen in die Isolation zwingt. Für einen Chor ist das nicht umsetzbar, die Situation verzwickt, man streitet sich, ob man sich an die Regeln halten sollte oder nicht. Dann trifft man sich online, merkt aber, dass sich die Proben auf diese Weise kompliziert gestalten.

Die Mitglieder des Chors verlegen sich auf die Anrufung verschiedener Götter: Auftritte haben unter anderem Bacchus und Amor, die irgendwie keinen Rat wissen, die aztekische Göttin Coatlicue, die den Menschen Arroganz und Unterdrückung vorwirft (ein eher allgemeiner Vorwurf an die westliche Welt und ihre Werte). Dann folgt die biblische Gestalt Onan, schließlich Dionysos und Aphrodite. Alle äußern Unverständnis oder Vorwürfe an die Menschheit. Aphrodite kritisiert die Menschen für ihre Vereinzelung – hier liegt offenbar der Fehler allen Leids. Wenn sich alle nur lieb genug haben, so am Ende der fatale Rückschluss, der gezogen werden kann, gibt es keine Pandemien, keine Isolation mehr. Und keine Einsamkeit. Auch ein Experte tritt auf – als Vertreter der Wissenschaftszunft – und kommt denkbar schlecht weg. Denn: Experten können nichts wissen. Dann trifft sich der Chor – gegen alle Widerstände und Regeln – wieder. Am Ende ist Aphrodite wieder da. Alles wird gut.

Wichtige gesellschaftskritische Gedanken schnitt die Vorstellung durchaus an – bei den meisten war allerdings das Ende des Gedankens nicht erkennbar und der erhobene Zeigefinger, der über der Bühne schwebte, nur allzu sichtbar. Kunst ist gut, um Kritik zu üben – manchmal sollte sie aber die Finger von allzu komplexen Themen lassen. Hier gilt der Leitspruch: Gefährlich wird’s dann, wenn’s allzu allgemein wird. Und wenn Theaterkunst auch das Gremium eines politischen Beratungsausschusses sein könnte, wird’s eben doch peinlich.

Seelengeraune und Introspektion

Ein angenehmes Aufatmen verschaffte dagegen der Abend mit der französischen Schauspielerin Isabelle Adjani, die am Tag darauf ihren 69. Geburtstag in Hermannstadt verbringen sollte. Unter dem Titel „Seelenraunen“/„Les murmures de l’âme“/„Freamătul sufletului“ trat Adjani mit verschiedenen Texten auf.

Zwei rote Sessel, ein Sofa, eine abgedunkelte Bühne, ein Lichtkegel – mehr Bühnenbild brauchte es für die Vorstellung nicht. Die Schauspielerin bot dem Publikum eine einstündige Vorstellung mit Texten von Marguerite Duras, Francoise Sagan, Cynthia Fleury, Camille Laurens, Neige Sinno und Pierre Choderlos de Laclos nach einem Konzept von Valérie Six.

In der Hermannstädter Philharmonie war es aufregend ruhig. Wie bei Pippo Delbono standen die Magie der Worte und das emotionale Erleben im Mittelpunkt. Insbesondere Empfindungen von Frauen, die weibliche Perspektive auf die Existenz, das Schreiben in Einsamkeit, das Erleben von Trennung bekamen hier eine Bühne. Das Raunen der Seele war an diesem Abend besonders wahrnehmbar.

Ein Kampf aus Liebe, Handel, Macht und Sex

Ein besonderes Erlebnis stellte das Stück „In der Einsamkeit der Baumwollfelder“/„În singurătatea câmpurilor de bumbac“ des französischen Autors Bernard-Marie Koltès dar, das in der Kulturfabrik zur Aufführung kam. Der amerikanische Schauspieler John Malkovich und die litauische Schauspielerin Ingeborga Dapkunaite („Soleil Trompeur“, „Sieben Jahre in Tibet“) lieferten sich ein intensives Bühnenduell, das keinen Gewinner zuließ. Verfolgen konnte das Publikum die Handlung auf zwei Ebenen: Der Bühnen- und somit Theaterebene und über die Filmebene oberhalb der Bühne, da die Schauspieler während der Aufführung auch gefilmt wurden.

Im 1987 verfassten Stück treffen ein Verkäufer und ein Kunde aufeinander. Was folgt ist eine hartnäckige Debatte, ein schwelender Machtkampf – was verhandelt wird, bleibt unklar. Die menschliche Interaktion mit allen ihren emotionalen Facetten, wie Anziehung, Machtgier, Dominanz, Freundschaft, Angst und Sehnsucht erhält eine Bühne, der sich der Zuschauer nicht entziehen kann. Die doppelte Ebene aus Theater und Film ist Metapher für die Unentrinnbarkeit menschlichen Daseins. In der Kulturfabrik hätte man während der Vorstellung eine Stecknadel fallen lassen können. Alle Anwesenden hätten sie gehört.