Seine Bewegungen wirken präzis und berechnet. Der sich drehende Mann inszeniert ein überzeugendes Märtyrertum, er schlägt mit den Fäusten auf seine nackte Brust, kämpft sich durch, schließt die Augen und streckt die Hände nach oben, schließlich senkt er den Kopf als Zeichen seiner Demut. Erhascht das Publikum gerade einen Blick in seine konfliktreiche Innenwelt?
Umgeben von den Wellen seiner Röcke scheint der Künstler mit schwarzem Turban ein paar Minuten später eine ganz andere Welt betreten zu haben. Das Konzept der Darbietung umfasst rituelle Elemente aus dem Tanz der drehenden Derwische, Angehörige einer muslimischen asketisch-religiösen Ordensgemeinschaft. Es scheint eine spirituelle Erfahrung aus einer fremden Kultur zu sein, bei der das Publikum den Atem anhält. Allmählich zieht der Darsteller seine Röcke aus. Im Solo-Stück kombiniert der 45-jährige Ziya Azazi eigene emotionale und künstlerische Elemente mit dem traditionellen Tanz der Sufi. Sein ununterbrochenes Drehen fasziniert Erwachsene und Kinder im gleichen Maß. Das Ziel ist es, eine Verbindung zu Allah zu finden. Während der Vorführung scheint er eine Art Ekstase erreicht zu haben. Als der Tanz zu Ende geht, dreht er sich unter seinem letzten ausgebreiteten weißen Rock und verschwindet unter ihm. So wie ein Krake bewegt sich der Rock auf der Bühne wie von allein. Das Publikum in dem überfüllten Saal applaudiert begeistert von der laizistischen Einführung in die Tanzkultur der Sufi.
Schon seit mehr als zwei Jahrzehnten widmet sich der in Österreich lebende Ziya Azazi dem Tanzen. Dass er auf der Bühne hier auftritt, ist ein interkulturell ausgedachtes Angebot: Der Künstler stammt aus der Türkei, lebt in Wien und betritt die Bukarester Bühne auf Einladung des Österreichischen Kulturforums in der Nacht der Kulturinstitute im Rumänischen Kulturinstitut.
Die Großveranstaltung fand letzte Woche statt, als die Hauptstadt die kulturelle Vielfalt Europas mit Musik, Theater, Tanz, Filmen, Wettbewerben und Ausstellungen feierte: Insgesamt elf Institute und Kulturzentren haben sich daran beteiligt, darunter das Rumänische Kulturinstitut und das Österreichische Kulturforum, das Goethe-Institut, British Council, sowie das Französische und das Italienische Institut. Eine kleine Runde durch die Innenstadt war also erforderlich, um andere Kulturen zu erkunden.
Nach einem intensiv spirituellen Eintauchen in die Kultur der Sufi im Rumänischen Kulturinstitut führt der Weg ins gegenüberliegende Italienische Kulturinstitut auf der Aleea Alexandru, wo Kinder Klavierkonzerte geben. Eine Stunde später erklingen im Französischen Institut afrikanische Töne der Fanfare Kafi. Auf einer ganz spezifischen Art von Kultur liegt der Schwerpunkt im Goethe-Institut: Die Scheinwerfer werden auf Esskultur gerichtet.
Alle Veranstaltungen hier stehen unter dem Motto „Du bist, was du isst“: Gäste sind eingeladen zu kosten, zu genießen, zu entdecken, zu experimentieren und zu diskutieren – bis um Mitternacht. Gäste halten an Stationen an: An der Rezeption informiert man sich über die Kurse und die Prüfungen des Instituts, ein paar Schritte weiter werden Bretzel und Bier verkauft. In drei weiteren Sälen werden Umfragen zu verschiedenen Themen gemacht – gesunde Ernährung, Vegetarismus und Veganismus und Kreislauf des Plastiks. „Ich war überrascht von dem Interesse des Publikums. Leute sind gekommen, um tatsächlich zu diskutieren und kümmern sich um solche Aspekte, die uns alle beeinflussen“, erklärt Marina Neacşu, Leiterin der Abteilung Kulturprogramme im Goethe-Institut.
In der Bibliothek werden zwei Spiele des Bukarester Theaterlaboratoriums präsentiert: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ (B. Brecht) und „Die Geschichte vom Suppen-Kaspar“ (H. Hoffmann). 15 Minuten lange Schnupperkurse für Deutsch im Auftakt wurden auch angeboten. Anschließend wird um Mitternacht der Film „Soul Kitchen“ (2009, Regie: Fatih Akin) ausgestrahlt.