Die mehrfach preisgekrönte, aus Siebenbürgen stammende Kinder- und Jugendbuchautorin Karin Gündisch bietet erneut eine sowohl unterhaltsame als auch lehrreiche Lektüre für Jung und Alt mit ihrem im Schiller-Verlag erschienenen, 78 Seiten starken Buch. In elf Kapiteln wird mit feiner Beobachtungsgabe, rührendem Einfühlungsvermögen und diskretem Humor über das Leben in der Schule, über wahre Kameradschaft und zarte Liebe, über Eltern-Kinder-Beziehungen erzählt.
Der Ort der Handlung ist eine rumänische Kleinstadt. Der Lesende wird von Anfang an in die rumänische Wirklichkeit vor der Wende eingeführt, wenn es heißt, dass der stellvertretende Direktor, Genosse Traian, keine Nachsicht mit seinen Schülern hatte. Er pflegte einen strengen Kontrollgang durch die Klassen zu machen und zu prüfen, ob alle Mädchen das zur Uniform gehörende weiße Band im Haar trugen, ob die Jungen die erlaubte Haarlänge hatten, führte Buch über alle Streiche der Schüler, demütigte sie und gab ihnen schlechte Noten. Die höchste Strafe für die Jungen war es, sich glatzig scheren zu müssen. In diesem autoritären, unfreundlichen Schulklima wird nicht immer gern gelernt, dafür aber geträumt, geflirtet, oft über die Lehrer oder die Mitschüler gelacht, andere Male im Stillen geweint.
George steht im Mittelpunkt des Geschehens. Sein Vater ist ein rumänischer Buchhalter, seine Mutter ist Griechin, die zwar Rumänisch gelernt hat, die Sprachen aber dennoch manchmal mischt. Er ist ein intelligenter, belesener, gewissenhafter, hilfsbereiter, rücksichtsvoller Schüler, der sich für die Literatur und das Schreiben begeistert und sich in seine Mitschülerin Anitza stark verliebt. Ihre Haare duften nach Wind und Wäsche, er wäre imstande, ihr den Mond vom Himmel zu schenken. Heimlich legt er ihr nachts selbstgepflückte Kirschen ans Fenster, die letztendlich der Bruder isst. Nach vielen Vorfällen kommt es zum ersten Kuss, was Gündisch als erfahrene Autorin mit bezaubernder Natürlichkeit zu erzählen weiß. Die Sympathie der Autorin liegt offensichtlich bei George und bei der schönen, spröden Anitza, die ihn erst ein wenig an der Nase herumführt, aber dann seinem Charme nicht widersteht.
Rivalitäten und Liebesgefühle während des Klassenausfluges werden von Gündisch ebenfalls subtil geschildert. Das Porträt der gnadenlosen polyglotten Museumsführerin ist ein besonders gelungenes. Das Kapitel „Kirschen“ ist eine Gelegenheit, einen bekannten Streich von Ion Creang² nachzuerzählen. Gündisch erweist sich als eine gute Kennerin der rumänischen Literatur, wenn sie Gedichte von George Bacovia zitiert, Bezug auf bedeutende rumänische Schriftsteller wie Mihail Sadoveanu und Ion Pillat nimmt. Auch rumänische Maler wie Nicolae Grigorescu finden Erwähnung in ihrem Text.
Das Kapitel „Glänzende Aussichten“ erinnert an die Technik des Rekrutierens von Jungen für die Militärschule vor 1989. Gündisch erinnert „sine ira et studio“ an die dunklen Seiten der rumänischen Geschichte, an die Zeit der Diktatur.
Der Buchtitel „Vom aufrechten Gang des Menschen“ erklärt sich durch die Frage am Schluss, wenn der Direktor vom Schüler Dinu, einem Mitschüler und Freund Georges, hören will, wodurch der Mensch aufrecht zu gehen lernte. Der eingeschüchterte Schüler, der sonst ein lustiger und unternehmungslustiger Mädchenverehrer ist, wird wie üblich bestraft. Die Antwort auf die Frage: Wie erlernte der Mensch den aufrechten Gang? gibt der Friseur, der in seiner Küche den Schülern die Glatzen schneidet.
Sie ist nicht die vom Direktor erwartete, sondern eine ganz einfache: Der Mensch erlernt den aufrechten Gang, wenn er von seinen Mitmenschen respektiert wird. Wenn alle ihn ständig demütigen, wird er den aufrechten Gang wahrscheinlich nie erlernen und ewig ein Kriecher bleiben. Mit anderen Worten: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die des Schülers auch. George gewinnt den Kampf gegen den tyrannischen Direktor, der ein Diktator im Kleinformat ist und den übertragenen Sinn seiner eigenen Frage gar nicht versteht. Somit erweist sich George am Ende der Geschichte als echter Held, der gegen die Willkür und Tyrannei des Direktors Widerstand zu leisten weiß, alle Mitschüler mit seinem Einfall überrascht und auf seine Seite zieht.
Gündisch erzählt vom aufrechten Gang des Menschen, weil sie an Werte wie Nächstenliebe, Freundschaft, Familie, Bildung, Respekt und Toleranz glaubt und diese in der heutigen Welt nicht untergehen lassen will.