(Teil 1)
Besonders fasziniert war Eminescu vom Wiener Theater- und Musikleben. In der Zeit, als Eminescu in Wien weilte, setzte am Hofburgtheater mit Franz Dingelstedt als Direktor – er löste Heinrich Laube in dieser Funktion ab – dahingehend eine Wende ein, dass der neue Theaterdirektor die großen Klassiker der Weltliteratur ins Repertoire aufgenommen hatte, wurden doch bisher vornehmlich deutsche Autoren – Lessing, Goethe, Schiller, Iffland, Kotzebue – wenige Shakespeare-Stücke und einige Komödien von Molière gespielt.
Begeistert von Theater und Komödien
Obwohl außer dem Burgtheater und der Hofoper namhafte Bühnen Wiens – wie z. B. das Carltheater, das Theater in der Josefstadt, das Theater an der Wien u. a. – die Zuschauer angezogen hatten, bevorzugte Eminescu das Burgtheater und die Hofoper. Er gehörte zu den Stehplatzbesuchern und wohnte unter anderem den Aufführungen von „Heinrich IV.“, „König Lear“, „Antonius und Kleopatra“ bei. Die realistischen Inszenierungen der Shakespeare-Stücke konnten den jungen Dichter besonders begeistern. Für Shakespeares König Lear hatte Eminescu einst nur unter besonderen Anstrengungen im winterlichen Wien eine Eintrittskarte ergattern können. Und König Lear schien es ihm angetan zu haben, denn in seinem Gedicht „Împărat și proletar“ (Kaiser und Proletarier) lässt ihn Eminescu in Erscheinung treten:
Trecea cu barbă albă – pe fruntea-ntunecată,
Cununa cea de paie îi atîrna uscată –
Moșneagul rege Lear.
Weißbärtig – auf düstrer Stirne – im Vorüberschreiten
herabhing ihm die trockne Krone aus Stroh
dem greisen König Lear.
Es war ein gewagtes Unterfangen, mit Eminescu Komödien-Aufführungen beizuwohnen, denn er lachte auffallend laut, und dieses Lachen artete mitunter in ein aufsehenerregendes Grölen aus. Diesbezüglich schrieb Eminescus Freund und Weggefährte während seiner Wiener Studienzeit, der Schriftsteller Ioan Slavici, in seinen Erinnerungen („Amintiri“):
El rîdea mult și cu lacrimi și zgomotos; îi era deci greu să asiste la comedii, căci rîsetele îi erau adeseori oarecum scandaloase.
Er lachte viel, laut und mit Tränen; es war also schwer für ihn, Lustspielen beizuwohnen, weil sein Lachen häufig skandalös wirkte.
Der Adonis und die Diva
Hervorragende Burgmimen prägten in jenen Jahren die Wiener Theaterwelt, wie etwa der unvergessliche Hamlet Josef Wagner, der Bösewicht Josef Lewinsky, die alle überragende Tragödin Charlotte Wolter, der Komikerpapst Karl Meixner, die „göttliche“ Auguste (Wilbrandt-)Baudius, die angeblich mit den schönsten blauen Augen Wiens ihre Reize auszustrahlen und ihre Verehrer zu fesseln wusste, sowie Friederike Bognar, der die Wiener nachsagten, dass sie nicht „mit Worten“, sondern „mit Tränen“ gesprochen hätte.
Eminescu wird ein Naheverhältnis zu Auguste Baudius und zu Friederike Bognar nachgesagt, ja nach-beneidet.
Vasile Gherasim hält fest, dass Eminescu wegen seines adonishaften Aussehens überall bewundert wurde. Warum sollte er also auch nicht begehrt worden sein – und das gerade von dieser oder jener Diva, denn „Eminescu era băiat frumos și vorbea o limbă nemțească interesantă“(der Dichter war hübsch und sprach ein sonderbares Deutsch). (Gherasim, Vasile: „Eminescu la Viena”)
Der Dichter selbst sprach nie über derlei Angelegenheiten…
Die lichten Seiten des Lebens
Nach Vasile Gherasim erhielt Eminescu von Zeit zu Zeit die Visitenkarte Friederike Bognars, auf der, in einer Ecke, der Empfangstermin in der Wohnung der Schauspielerin auf der Landstraße, im 3. Wiener Gemeindebezirk vermerkt war. Samoil Isopescu bemerkt in diesem Zusammenhang, dass der Dichter sich für solche Einladungen entsprechende Kleidungsstücke ausborgen musste, nicht weil er keine rechten Kleider besessen hätte, sondern weil man eben für solche Besuche einer eleganten Kleidung bedurfte.
In der Eminescu-Forschung wird von mannigfacher Seite die Behauptung aufgestellt, dass der Dichter während seiner Studienzeit in Wien das Leben „genossen“ hätte. Nun, wie weit er genüsslich daran Anteil genommen haben mochte, bleibe dahingestellt, denn direkte Quellen, auf die sich diese Behauptungen stützen könnten, stehen uns wohl nicht zur Verfügung; bloß lapidare Hinweise und Vermutungen deuten darauf hin, dass Eminescu wohl auch die lichten Seiten des Lebens – sagen wir vorsichtiger – über sich hatte ergehen lassen, die dunklen und misslichen – die Schattenseiten also – hatten ihn sowieso zur Genüge – und besonders auch in Wien heimgesucht. Auch Călinescu weist auf diese Lebensweise Eminescus in Wien hin und meint, dass seine spätere Erkrankung wohl als Auswuchs dieser Lebensweise zu betrachten sei (Călinescu, George: „Istoria literaturii române“). In den folgenden Versen sollen annehmliche Erinnerungen an jene Zeit geweckt werden:
Cu murmurele ei blînde,
Cu izvorul harum horum
Ne primea în a ei brațe
Alma mater philistrorum…
Cu murmure ca izvorul
Cujus, hujus, harum, horum
Ne primea-n a sale brate
Alma mater philistrorum…
Cu evlavie cumplită
Inghițeam pe regii lybici –
Unde sunt acele vremuri
Te intreb amice Chibici?
Mit dem Murmeln, sanft und zahm,
mit der Quelle harum, horum
in die Arme sie uns nahm
Alma Mater philistrorum…
Mit dem Murmeln einer Quelle
Cujus, hujus, harum, horum
in die Arme sie uns nahm
Alma mater philistrorum.
Ehrfurchtsvoll, mit Frömmigkeit
paukten wir Libyens Geschichte;
wo, Freund Chibici, blieb die Zeit
frag’ ich dich? Sie ist zunichte.
Beseelt vom Theater
In der Wiener Studienzeit des Dichters sollte sich eine überaus fruchtbare literarische und sozial-politische Tätigkeit entwickeln.
Aus Wien lieferte Eminescu der Budapester Zeitschrift Familia (18/30 im Jänner 1870) den Artikel „Teatrul românesc și repertoriul lui“ (Das rumänische Theater und sein Repertoire), der in der Ausgabe Nr. 18 vom 30. Jänner 1870 veröffentlicht wurde. Der Dichter nahm darin Stellung zum Wesen und zum Funktionieren des rumänischen Theaterlebens, wohl beseelt vom Theatergeschehen Wiens. Dabei schöpfte er aber auch aus seiner eigenen Erfahrung früherer Jahre, als er die rumänische Theaterwelt als Souffleur erleben konnte. In seinem Artikel plädierte er für die Schaffung eines rumänischen Theaters in Siebenbürgen und stellte diesbezüglich eine Vortragsreihe zusammen, die unter anderem folgende Einzelvorträge beinhaltete: 1. Der nationale Genius (Geniul național); 2. Im Sinne des Theaters (În favoarea teatrului); 3. Die Aussprache betreffend (Studiu asupra ponunciei); 4. Das rumänische Vaterland (Patria română); 5. Die Volksdichtung (Poezia populară).
Im Visier der Geheimpolizei
In der Zeitschrift „Albina“ veröffentlichte Eminescu in den Nr. 7/19 und im Jänner 9/21 1870 den Beitrag „Eine kritische Schrift“.
Aufgrund der unter dem Pseudonym VARRO in der Zeitschrit „Liberațiunea“ in Pest veröffentlichten kritischen Beiträgen (wie z.B. am 5/7 April 1870:,,Să facem un congres“, am 10/22 April 1870: ,,În unire e tăria“ und am 22.4./05.5.1870: „Echilibrul“ (Veranstalten wir einen Kongress, in der Einheit liegt die Stärke, das Gleichgewicht) geriet der Dichter ins Visier der Geheimpolizei der Doppelmonarchie, ein Zustand, der bis zu seinem Lebensende aufrechterhalten blieb.
(Fortsetzung nächsten Freitag)