Beim diesjährigen Internationalen Filmfestival Transilvania (TIFF) in Klausenburg/Cluj-Napoca erhielt der Film „Monștri“ (Monster) von Marius Olteanu, der auch das Drehbuch zu diesem seinem ersten Spielfilm schrieb, den Preis der „Tage des Rumänischen Films“ für das beste Regiedebüt. Im Mittelpunkt des zweistündigen Opus stehen Dana (Judith State) und Arthur (Cristian Popa) Damian, ein kinderloses und seit über zehn Jahren verheiratetes junges Paar, dessen Ehe endzeitliche Züge angenommen hat.
Suchte man ein Motto für diesen Film, so böten sich die Schlussverse aus T. S. Eliots Gedicht „The Hollow Men“ (Die hohlen Männer) an, welche lauten: „This is the way the world ends / Not with a bang but a whimper“ (Auf diese Weise endet die Welt / Nicht mit einem Knall, sondern mit Gewimmer). Bereits das „Dana“ überschriebene erste Kapitel des Films macht dies deutlich. Man sieht die soeben von einer Zugreise nach Bukarest zurückgekehrte junge Frau in einer Toilette des Nordbahnhofs, wo sie sich das Gesicht wäscht und dabei haltlos in ihre Hände schluchzt, bis sie allmählich wieder Fassung gewinnt, ihre Tränen trocknet und sich mit ihrem Gepäck zum Taxistand aufmacht.
Im Taxi beginnt dann eine Odyssee durch das nächtliche Bukarest, als wollte Dana die Heimkehr in die eheliche Wohnung im Bukarester Stadtteil Drumul Taberei auf ewig hinauszögern. Dort angekommen bleibt sie nämlich im Taxi sitzen, fährt dann in demselben Taxi zusammen mit einem benachbarten Ehepaar in eine Klinik, unterhält sich danach mit dem Taxifahrer lange auf dem nächtlich leeren Parkplatz vor einem Supermarkt, bis sie sich schließlich doch zu ihrer Wohnung bringen lässt, die allerdings nichts Wohnliches mehr hat, weil sie bald verkauft werden soll. Die Inneneinrichtung ist bereits Umzugsgut, und ein bereits abgehängtes Bild, das sie vom Boden aufhebt und kurz betrachtet, spricht Bände.
Es handelt sich um eine Reproduktion von Caspar David Friedrichs Ölgemälde „Der Mönch am Meer“, das stellvertretend für Dana, die in ihrem Schweigen versinkt, den Seelenzustand der verzweifelten Ehefrau veranschaulicht. In seinen „Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft“ hat Heinrich von Kleist jenem Seelenzustand sprachlich Ausdruck verliehen: „Nichts kann trauriger und unbehaglicher sein, als diese Stellung in der Welt: der einzige Lebensfunke im weiten Reiche des Todes, der einsame Mittelpunkt im einsamen Kreis.“ In jenem Seelenzustand, in dem „man alles zum Leben vermisst“, starrt man auf dieses Bild wie auf einen Spiegel seiner selbst, „als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären.“
Unterstützt wird diese radikale Einsamkeit, die Unsicherheit und die Angst der Protagonistin auch durch das filmische Format, denn das Dana gewidmete Kapitel ist nicht im üblichen Breitbildformat gedreht, sondern quadratisch, als handle es sich um eine Diashow mit bewegten Bildern. Auch das zweite Arthur gewidmete Kapitel, das „Andrei“ überschrieben ist, erscheint im Format 1:1, und erst beim dritten und letzten Kapitel mit dem Titel „Monștri“, in dem die beiden Ehepartner erstmals gemeinsam zu sehen sind, öffnet sich die Kinoleinwand zu ihrer vollen Breite.
Dass die beiden Ehepartner, wenn sie nicht gemeinsam auftreten, mit einem halbierten Leinwandformat auskommen müssen, ist natürlich symbolisch zu deuten. Im „Dana“-Kapitel wird man Zeuge eines Telefongesprächs zwischen Dana und ihrem Ehepartner, das im „Andrei“-Kapitel wiederholt wird, diesmal aber aus der Perspektive Arthurs. Die Ironie dabei ist, dass sich Arthur in dieser Filmsequenz in Sichtweite Danas befindet, in seinem Auto auf dem Parkplatz vor ihrer Wohnung, und Dana sogar dabei beobachtet, wie sie vor dem Taxi auf die hochschwangere Nachbarin wartet, um mit ihr gemeinsam zur Geburtsklinik zu fahren.
Im „Andrei“-Kapitel wird auch eines der Identitätsprobleme Arthurs entfaltet: seine Bisexualität. Bevor er in dem nächtlichen Telefonat mit Dana seine Liebe zu ihr beschwört, hat er anonymen Sex mit Alex (Șerban Pavlu): Er nennt sich dabei Andrei und gibt zunächst vor, Polizist zu sein, dann Banker, was aber beides nicht zutrifft. In der von komischen Momenten nicht freien Begegnung zwischen Andrei und Alex, der in Wirklichkeit auch nicht Alex heißt, in diesem Versteckspiel vor sich selbst und vor anderen wird eine der Wurzeln von Arthurs Lebenskrise freigelegt.
Im „Monștri“-Kapitel schließlich findet das Paar zusammen und verbirgt im sozialen Kontext seine eigenen Probleme hinter einer perfekten Fassade von Höflichkeit und Distanz: vor dem Fahrstuhl im Wohnblock im Gespräch mit dem soeben Vater gewordenen Nachbarn oder gemeinsam mit Freunden bei einem Kindergeburtstag, wo Dana und Arthur umgeben von bunten Luftballons eng umschlungen tanzen, als hingen sie mit diesem Tanz ihrer verlorenen Liebe nach. Nur während des Besuchs bei „mamaie“ (Dorina Lazăr) bekommt die Fassade Risse, weil die alte Dame den beiden Verheirateten Vorwürfe macht, dass sie keine Kinder haben. Arthur wird danach ausfällig, während Dana das einzige Mal im Film einen schlaglichtartigen Einblick in ihre Gedanken und in ihr Innenleben gewährt: Sie will keine Kinder, weil sie ihnen nichts geben kann außer der Angst und Unsicherheit, die sie selbst tagaus tagein empfindet. Es handelt sich dabei um eine der wenigen Szenen, in denen artikuliert und prononciert gesprochen wird. Ansonsten wird im Film in verhuschten Dialogen und in undeutlichen Schwund-sätzen parliert, als wollten die Gesprächspartner ihre Worte noch im Moment des Aussprechens bereits wieder zurücknehmen.
Im Seelenbild der beiden Ehepartner widerspiegelt sich natürlich auch e contrario das soziale Klima der rumänischen Gegenwart. Diese wird im Film als eine traditionelle Gesellschaft gezeichnet, die Familie und Kinder über alles stellt, die althergebrachte Werte hochhält und Diversität ablehnt, die Andersdenkende diskriminiert und ausgrenzt, die ethnische, sexuelle oder andere Abweichungen sanktioniert und auf Vielfalt wenig Rücksicht nimmt. Dies wird im Film exemplarisch an der fast obsessiven Verwendung des Kindesmotivs deutlich: die schwangere Nachbarin, der Kindergeburtstag, die zahlreichen Ermunterungen zum Kinderzeugen, die Beschwörung des Kindes als des einzigen verlässlichen Garanten einer Ehe.
Zu den Kritikpunkten des Films zählt, neben seiner Hingabe an den kruden Alltagsrealismus (wir wissen jetzt, wie Cristian Popa mit einer Elektrozahnbürste seine Zähne putzt!), gewiss auch seine Langsamkeit, seine Trägheit und Zähigkeit, nicht nur in den Dialogen, sondern auch in der Filmhandlung. Sicherlich möchte der Regisseur damit die Agonie des Paares zur Darstellung bringen. Aber muss man auch den Zuschauer deshalb fast zwei Stunden lang in einen ähnlichen Zustand der Agonie versetzen? Außer ihrer Isoliertheit und Seelenstarre erfährt man nämlich recht wenig von den einzelnen Charakteren: Dana ist und bleibt ein verschlossenes Buch, und Arthur chiffriert seine Identität unablässig in allen möglichen Hypostasen. Erst ganz am Ende, auf den Treppen einer Fußgängerbrücke, die symbolisch sinnfällig über Bahngleise führt, kommt es zu einem Dialog zwischen den beiden, der eine psychologische Dimension andeutet, die der gesamte Film zu entfalten versäumte.
Sprechend dagegen ist die einzige ‚Hauptperson’ des Films, die nichts sagen kann und doch alles sagt: die Großstadt Bukarest mit ihrer abweisenden Aggressivität im Umgang der Menschen untereinander, mit ihrem tumultuösen Verkehr, mit ihren lauschigen Plätzen und ihren monströsen Wohnblocks, die von der Kamera Luchian Ciobanus oftmals auch von oben herab grandios in Szene gesetzt werden. Insbesondere das nächtliche Bukarest wird in Marius Olteanus Film in einer Weise zelebriert, die mutatis mutandis mit Dan Gilroys „Nightcrawler“ durchaus konkurrieren kann. Bleibt am Ende nur die Frage: Wer sind eigentlich in diesem Film die Monster? Und mit Jean-Paul Sartre könnte man darauf antworten: Die Monster, das sind die anderen!