Unmittelbar nach dem Fall Ceauşescus fühlte sich der Staatssicherheitsdienst der DDR bemüßigt, eine Presseerklärung abzugeben. „Weder das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) noch das aufgelöste Amt für Nationale Sicherheit haben jemals Beziehungen zum rumänischen Geheimdienst Securitate unterhalten. Sie haben mit diesem Organ niemals zusammengearbeitet.“ Keine Zusammenarbeit behauptete das MfS 1989, aber das hatte so ungefähr den Wahrheitsgehalt von dem berühmten Spruch: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Denn auf über 500 Seiten belegt der Autor Georg Herbstritt in seiner nun hier vorgelegten Publikation „Entzweite Freunde – Rumänien, die Securitate und die DDR-Staatssicherheit 1950 bis 1989“, dass dieser Satz nicht zutrifft. Bereits 2005 konnte unter dem Titel „Stasi şi Securitatea (Stasi und Securitate), zusammen mit Stejărel Olaru, eine Untersuchung veröffentlicht werden, in der das Material aus den MfS-Akten bezüglich der Verbindung von Securitate und Stasi ausgewertet wurde. Mit der Öffnung der rumänischen CNSAS-Archive ab 2006 – des rumänischen Pendants zur ehemaligen Gauck-Behörde – wurde es möglich, nun auch vermehrt die Akten aus den rumänischen Archiven hinzuzuziehen. Wenn auch einschränkend immer wieder betont werden muss, dass die Verlässlichkeit der Akten bezüglich Vollständigkeit und Wahrheitsgehalt kritisch zu bewerten ist. In seiner Einleitung hebt nun der Autor der hier vorliegenden deutschen Ausgabe, Georg Herbstritt, hervor, dass er diese Arbeit durchaus als deutsch-rumänisches Gemeinschaftsprojekt ansehen möchte.
Die umfangreichen Analysen und Quellenauswertungen unterteilen das Auf und Ab der Beziehungen von Securitate und Stasi in drei Phasen, denen auch die Kapiteleinteilung Rechnung trägt. Dabei vollziehen sich die Beziehungen der beiden Geheimdienste durchaus nicht nur analog zu den diplomatischen Beziehungen auf der offiziellen politischen Ebene.
Nach einer intensiven ideologisch erwartbaren Kooperationsphase, während der die „Bruderorgane“ bis in die 50er und frühen 60er Jahre gerade auch als Reaktion auf den Ungarnaufstand von 1956 gemeinschaftlich agieren, vollzieht sich eine Abkühlungsphase noch unter Gheorghe Gheorghiu-Dej ab 1964 und mehr noch unter seinem Nachfolger Nicolae Ceauşescu im Schlepptau der russisch-chinesischen Spannungen und parallel zum Prager Frühling. Die Autonomiebestrebungen Rumäniens, innenpolitisch auch als poststalinistische „Tauwetterperiode“ bekannt, führten zeitweilig zu einem fast völligen Abbruch der Zusammenarbeit auf der Geheimdienstebene. Trotz einiger eher einseitiger Bemühungen, bleibt das gegenseitige Misstrauen, das sich auch in „feindlicher Bespitzelung“ ausdrückte, bestehen. Diese als dritte Phase bezeichnete Gegnerschaft, in der das MfS das rumänische Territorium mit „feindlichen Agenten“ von seiner Botschaft in Bukarest aus infiltrierte, hielt im Wesentlichen auch an, als beide Seiten sich wegen der gemeinsamen Ablehnung der sowjetischen Entwicklung unter Michail Gorbatschow annäherten. Die hier veröffentlichten Quellen beleuchten nun genau das angespannte Verhältnis der Geheimdienste zueinander anlässlich eines „Überraschungsbesuchs des Spionagechefs Nicolae Doicaru in Ostberlin 1971, wo das nur mühsam kaschierte gegenseitige Misstrauen und die angespannte Lage klar ersichtlich werden. Auch eine ernüchternd ausfallende „Bestandsaufnahme“ der gemeinsamen Aktivitäten von Seiten der Securitate von 1973, nachdem sich die Beziehungen dem Nullpunkt näherten, schildert die Entfremdung aus rumänischer Sicht.
Um das Verhältnis der beiden Dienste zueinan-der in die richtige Relation zu setzen, widmen sich einige Kapitel auch dem Verhältnis zu den Diensten anderer sozialistischer Bruderländer. Gerade im Vergleich zu den Diensten Bulgariens, Ungarns, Tschechiens oder Polens, wird das Ausmaß von Isolation der rumänischen Dienste, aber auch der Grad von Eigenständigkeit aller bei der Verfolgung ihrer nationalen Interessen deutlicher. So entscheidend die Rolle des sowjetischen KGB und die unterschiedliche Loyalität der ostdeutschen und rumänischen Stellen zu ihm auch ist, kann sie in diesem Zusammenhang nur partiell wegen der unzureichenden Aktenlage beleuchtet werden. Von besonderem Interesse für den Leser sind aber sicher die im Rahmen dieser Einteilung geschilderten konkreten Fälle von Menschenraub und Bespitzelung und aus welchen Milieus der MfS Mitarbeiter rekrutieren konnte. In der Anfangsphase, in der die Grenzen noch durchlässiger waren, gerieten vor allem die Emigrantenzirkel Westberlins in das Visier der Dienste. Entführungen, Anwerbung einstiger SS-Mitglieder unter den Rumäniendeutschen von Seiten der Securitate oder auch das gezielte Aufspüren von ehemaligen Mitgliedern der „eisernen Garde“ durch das MfS, zwecks Rekrutierung zur Ausspitzelung der Auslandsrumänen, werden hier anhand von Einzelschicksalen geschildert.
Im Gegensatz zur Securitate war das MfS jedoch nicht besonders an den Aktivitäten der rumäniendeutschen Verbände in Westdeutschland interessiert. Allerdings gab es Ausnahmen, vor allem im Zusammenhang mit den ausgewanderten Schriftstellern der „Banater Aktionsgruppe“, die durch ihre Kontakte auch zu Dissidenten in Ostdeutschland von beiden Diensten observiert und drangsaliert wurden, wenn auch nicht gemeinsam. Gerade die Intellektuellen aus Temeswar und Klausenburg gerieten früh unter den Radar des MfS, das ihre Aktivitäten bereits auf rumänischem Boden aufmerksam verfolgte. Das Gefühl der Unsicherheit, das wohl nach den hier vorliegenden Analysen viele nach Westdeutschland ausgewanderte Rumänen und Rumäniendeutsche völlig zurecht entwickelten, lässt sich vor allem auf die hier geschilderten Entführungen in den 50er Jahren, aber auch gezielte Anschläge, die die Securitate auf westdeutschem Boden verübte, zurückführen. Dabei schreckten beide Geheimdienste offenbar auch nicht davor zurück, für ihre Zwecke Topterroristen, wie den berüchtigten „Carlos“, in ihren Ländern zumindest zeitweilig eine logistische Basis zur Verfügung zu stellen, wenn sie ihnen nicht ganz direkt Aufträge erteilten.
Weitere Felder, die für das MfS in Rumänien von besonderem Interesse waren, kreisten im Wesentlichen um die Vereitlung von Fluchtplänen der eigenen Staatsbürger – dies betraf Studenten oder auch Touristen, die verdächtigt wurden, ihre Flucht in den Westen über Rumänien zu planen. Allerdings beschränkten sich seine Aktivitäten auf das Beobachten, da es mit den abkühlenden Beziehungen zur Securitate eher von dieser ebenfalls bespitzelt, denn unterstützt wurde. Dabei wurden grundsätzlich DDR-Bürger von der Securitate bei ihren Fluchtversuchen verhaftet, in einigen Fällen sogar auf der Flucht erschossen Allerdings zeigt eine statistische Aufstellung , dass es nahezu der Hälfte gelang, auf diesem Weg in den Westen zu gelangen. Aus Sicht der Stasi machte das die rumänischen Dienste zu einem Unsicherheitsfaktor. Rumänien war jedoch auch selbst von den steigenden Fluchttendenzen seiner Bürger betroffen, die es ebenso rigoros zu unterbinden suchte wie die Staatssicherheit der DDR. Als eigenartig in diesem Zusammenhang wird vom Autor vermerkt, dass die Auswanderung von Rumäniendeutschen nach Westdeutschland, der Ausverkauf unter dem Deckmantel der Familienzusammenführung, von dem der rumänische Staat finanziell ja in hohem Maße profitierte, von Seiten des MfS nahezu keinerlei Beachtung erlangte.
Ab den 80er Jahren, mit der zunehmend wirtschaftlich prekären Lage in Rumänien, sah die Stasi es als notwendig an, die allgemeine politische Lage mehr in den Fokus zu rücken. Daher war man interessiert, unter den rumäniendeutschen Funktionären Zuträger zu rekrutieren, so aus den Chefredaktionen der „Karpatenrundschau“ oder des „Neuen Weges“, die wertvolle Hintergrundinformationen und eine genaue Einschätzung der Lage liefern sollten. Aber auch kirchlich orientierte Kreise in Siebenbürgen, wobei man auf den relativ kleinen Pool der Rumäniendeutschen, die sich in der DDR niedergelassen hatten, zurückgriff, wurden von dem MfS unterwandert. Insbesondere Widerstandsbewegungen, die in dem bekannten Arbeiteraufstand in Kronstadt 1987 ihren vorläufigen Höhepunkt fanden, beunruhigten die ostdeutsche Staatssicherheit, fürchtete man doch zurecht die politische Ansteckungsgefahr und versuchte, diese durch Verbote beispielsweise von rumänischen Zeitschriften einzudämmen. Ein Versuch, der ebenso hilflos war wie das Bemühen, beim Fortschreiten der Entwicklungen sich von den Praktiken der Securitate zu distanzieren, wie nicht zuletzt dieses Buch eindrücklich belegt.
Georg Herbstritt: „Entzweite Freunde – Rumänien, die Securitate und die DDR-Staatssicherheit 1950 bis 1989“, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. 2016