Zwei Drittel des vergangenen und die ersten beiden Jahrzehnte unseres Jahrhunderts hat er erlebt, der am 12. Februar 1930 in Dresden geborene und seit den 1960er Jahren in Berlin und dann im Land Brandenburg lebende Bildhauer Wieland Förster, der zugleich ein bedeutender Zeichner und sensibler Schriftsteller ist. Als Zwanzigjähriger wollte er Figuren schaffen, die von der Würde des Menschen Zeugnis geben. Da lag eine fast vierjährige Haft im NKWD-Sonderlager Bautzen hinter ihm, das dann schwer erkämpfte Studium an der Dresdner Kunstakademie noch vor ihm. Er sei Bildhauer geworden, weil er „an ganz bestimmten Grundverletzungen litt, mit denen ich sehr schwer fertig geworden bin…Es war der Versuch aufzuarbeiten, was an Erschütterungen von der Zeit her in mich eingedrungen ist“. Das Thema Leid und Liebe, der Widerspruch von Leben und Tod, von Aggression und Erleiden hat in seinem Werk ihre Form gefunden. Förster übertrug Biografisches in die bildhauerische Metapher und hob damit das Persönliche ins Allgemeingültige, das Empfinden des Einzelnen in die Erfahrung vieler.
Überall, in Berlin, Potsdam, Frankfurt/Oder, Dresden, Hamburg, auf der Insel Rügen und anderswo erheben sich seine Mahn- und Erinnerungsmale, Darstellungen von Schmerz, Leid und Vergänglichkeit, aber auch von Hoffnung und Dauer. Försters Porträtplastiken, Figurationen, Torsi, Akte haben sich tief in unser Bewusstsein eingeprägt. Der Torso als Fragment trägt prozessualen Charakter, er bleibt als Form offen, und sperrt sich nicht gegen Verbindungen, Verschmelzungen, Verknotungen, Überlagerungen. Der Körper wird zur flammenden, zuckenden, auffahrenden Form, zur lodernden Landschaft, und diese wiederum zu organischem Leben mit allen Zeugungsmerkmalen erweckt. Aus der Leibesmitte können physiognomische Energien aufbrechen, der menschliche Leib, vitalisiert, artikuliert sich durch und durch zu einem Erregungsträger. Erregung ist für Förster Bewegung, Drehung, Krümmung, Zusammenballung und Streckung, Wendung, Taumel und Ineinanderstürzen aufgerissener, torsierter Leiber.
Seine persönliche Traumatisierung hat Wieland Förster durch die ihm eigene, immer wieder andere plastische Aussage zu überwinden versucht, sodass sich nicht nur Themenentfaltung, sondern auch Formabläufe auf neue und aufregende Weise verfolgen lassen. „Namenlos – Ohne Gesicht“ (1993-94) stellt einen erschöpften, sich am Mauerwerk stützenden Mann mit gesenktem Kopf dar, dessen geschundener Körper mit Vegetationsmerkmalen versehen ist und dem das zellenartig-kubische Mauerwerk sowohl Eingeschlossensein vermittelt als auch Stütze und Halt gibt, sodass Beharrung und Widerstehen möglich sind. Den sich aufbäumenden, geschundenen Körper eines Gepeinigten zeigt „Das Opfer“ (1994), in Verzweiflung auf das Ich zurückweisend. Indem Förster den Bewegungsspielraum seines Torsos so weit wie möglich beschneidet, ihn zum Stand-Bild einengt, revoltiert bei ihm die Gebärde gegen die beharrenden, lotrechten Formabsprachen, gegen die Mitte des Leibes, gegen das sicher Umgrenzte. Der Künstler bekennt: „Ich zeichne immer auf des Messers Schneide: Gelingen – Versagen“.
Erneut hat sich Förster dann dem weiblichen Akt, dem Daphne-Thema in kleineren und mittleren Formaten zugewandt. Sie sind von großer handschriftlicher Frische und Erotik, von einer Freiheit gegenüber dem Körper, auf der Basis der „Großen Neeberger Figur“ (1971-74) in sich steigernden Asymmetrien, einer rindenähnlichen Epidermis, ganz dem Wachstum, dem Schöpferischen verpflichtet. Die geradezu von Intensität vibrierende „Große Daphne“ (1996) wurde Zeichen der Steigerung und Erfüllung des Wunsches nach Einheit von Mensch und Natur, wie sie nach 1967 durch das Erlebnis des Tänzerischen der Ölbäume geweckt wurde, die den menschlichen Körper assoziieren. Zu einer fast arkadischen Gelassenheit gelangte er in der durch das Feuer gegangenen „Nike ‘89“ (1998), der er, aufsteigend von der Erdenschwere und doch ein Torso mit gebrochenen Flügeln, atmenden Rhythmus und tänzerische Beschwingtheit verlieh. Dieser Hoffnung auf Überleben, auf Überdauern steht dann wieder der durch die Überdrehung des Leibes an den Füßen wie aufgehängte, gehäutete „Marsyas – Jahrhundertbilanz“ (1999) gegenüber. Gerade zu den mythischen Gestalten, in denen das Erlebnis von Sturz und Scheitern, Abbruch und jäher schmerzhafter Wendung aufbewahrt ist, stehen die Figuren Försters in einer besonderen Beziehung.
2007 musste Förster krankheitsbedingt die bildhauerische Arbeit aufgeben, seine schriftstellerische Tätigkeit trat in den Vordergrund. Schon 2000 waren seine Reisetagebücher veröffentlicht worden, 2018 erschienen Auszüge aus seinen Tagebüchern von 1958 bis 1974 – und die Kindheits- und Jugendjahre resümierte er in seinen Autobiografien „Seerosenteich“ (2012) und seine grausame Gefangenschaft in einem sowjetischen NKWD-Lager 1946 in „Tamaschito“ (2018). Der aus der Erzählperspektive eines Jugendlichen vermittelten Wirklichkeitsfülle dieses Romans – der Ich-Erzähler Thom berichtet aus seiner Gefängnissituation, die Welt da draußen bleibt ausgeschlossen – werden die Themen Försters unterlegt, die auch den Bildhauer immer wieder bewegt haben: Schuld und Vergebung, Freiheit und Entscheidungszwang, Macht und Ohnmacht, Ausgeliefertsein und Widerstehen. So entstand ein an Intensität kaum zu überbietendes Geschehens- und Reflexionskontinuum, das der Lektüre einige emotionale Kraft abverlangt.
Das Lebenswerk Wieland Försters wird uns weiter begleiten als mahnende Herausforderung wie ungebrochene Zuversicht, als noch immer offene Frage nach der Würde und Selbstbestimmung des Menschen.