Auf Initiative des Prorektors für internationale Beziehungen und studentische Angelegenheiten der Universität Bukarest, Dozent Dr. Sorin Costreie, fanden und finden im laufenden Wintersemester an der Fremdsprachenfakultät der Universität Bukarest Kulturwochen statt, in denen die zahlreichen beteiligten Philologen die von ihnen nicht nur sprachlich erlebten und erforschten Kulturen präsentierten und präsentieren. In der ersten Dezemberwoche kam die Reihe an die deutsche Kultur, die mit einem fünftägigen anspruchsvollen Veranstaltungsprogramm gebührend gefeiert und einem interessierten Publikum nahe gebracht wurde.
Feierlich eröffnet wurde die Woche der deutschen Kultur im Stoicescu-Saal der Rechtsfakultät im Beisein des genannten Prorektors, ferner des Dekans der Fremdsprachenfakultät, Prof. Dr. Liviu Franga, sowie des Deutschen Botschafters in Bukarest, Seiner Exzellenz Cord Meier-Klodt. Während die beiden rumänischen Ehrengäste in ihren Ansprachen ihre Verbundenheit mit der deutschen Kultur bekräftigten, brachte der deutsche Ehrengast umgekehrt seine Verbundenheit mit der rumänischen Kultur zum Ausdruck, indem er die kulturelle Einheit Rumäniens in ihrer Vielfalt hervorhob und dieses an das Motto der EU „In Vielfalt geeint“ angelehnte Diktum gar als Wahlspruch für die Zentenarfeier des modernen rumänischen Nationalstaates im kommenden Jahr vorschlug.
Darauf folgten zwei wissenschaftliche Plenarvorträge von Literaturwissenschaftlern des Germanistischen Seminars der Universität Bukarest. Prof. Dr. Ioana Crăciun-Fischer sprach über Reformation und Revolution im protestantischen Denken, wobei sie die zwei Seelen in der lutherischen Brust in der Freiheit eines Christenmenschen einerseits und im obrigkeitsstaatlichen Gehorsam andererseits verortete. Verinnerlichung und Unterwerfung seien die beiden Seiten ein und derselben lutherischen Medaille. Prof. Dr. Gabriel H. Decuble vertiefte diesen Gedanken, indem er lutherisches Erbe in der deutschen Theologie und Philosophie (Schleiermacher), aber auch in der deutschen Soziologie (Tönnies, Simmel, Weber) namhaft machte, insbesondere im Hinblick auf das Verständnis von Gemeinschaft und Gesellschaft.
Zwei Vernissagen setzten die deutsche Kulturwoche fort. Die Bukarester DAAD-Lektorin Sabine Pleşu führte in eine studentische Ausstellung ein, die ein Licht auf die jüngst vergangene und aktuelle Stadt-, Familien-, Freizeit- und Lebenskultur der rumänischen Gegenwart warf, während der Bukarester Übersetzungswissenschaftler Dozent Dr. Mihai Draganovici eine studentische Posterausstellung unter dem Motto „Typisch deutsch!“ präsentierte und anschließend als Überraschungsfilm eine deutsche Schulkomödie mit verstecktem Bildungsbezug vorführte.
Eine Konferenz über „Digitale Geisteswissenschaften“ eröffnete den zweiten Tag der deutschen Kulturwoche. Wissenschaftler von der Universität Hamburg, mit der die Universität Bukarest bereits seit vier Jahrzehnten partnerschaftlich verbunden ist, sprachen über verschiedene Aspekte dieses neuen Wissenschaftszweiges, dem ab dem kommenden Jahr sogar ein eigener Masterstudiengang an der Universität Bukarest gewidmet sein wird. Die Verbindung von Informationstechnologie und Philologie, von Computertechnik und Textwissenschaft gehört zu den großen geisteswissenschaftlichen Herausforderungen der Zukunft, wobei, wie Prof. Dr. Walther von Hahn (Hamburg) betonte, nicht jeder Forscher, der einen Computer zu bedienen weiß, das Recht habe, sich bereits als digitalen Geisteswissenschaftler zu bezeichnen. Vielmehr bedürfe es dazu der Aufgeschlossenheit gegenüber den technischen Möglichkeiten computergestützter Textanalyse und eines umfassenden Wissens um deren Einsatz in den Bereichen der Indexierung, Annotierung und analytischen Verarbeitung von Texten, wie Dr. Cristina Vertan (Hamburg) in ihrem Vortrag deutlich machte. Aber auch Bukarester Wissenschaftler, darunter Altrektor Prof. Dr. Ioan Pânzaru, Prof. Dr. Gabriel H. Decuble, Dozent Dr. Ruxandra Cosma und Lektor Dr. Anca Dinu, hoben die Wichtigkeit dieser zukunftsweisenden Forschungsdisziplin der „Digitalen Geisteswissenschaften“ hervor.
Daran schloss sich noch am selben Tage die Projektion des avantgardistischen, für seinen Schnitt, vor allem aber für seine Musik berühmten Filmes von Walther Ruttmann „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ aus dem Jahre 1927 an, der von Prof. Dr. Ioana Crăciun-Fischer in einem kurzen Einführungsvortrag präsentiert wurde und über den das interessierte studentische Publikum anschließend intensiv diskutierte.
Der dritte Tag der deutschen Kulturwoche war dann zunächst dem wissenschaftlichen Ertrag einer Übersetzungswerkstatt gewidmet, die von Prof. Dr. Mariana Lăzărescu koordiniert wurde. Hauptfachstudierende der Germanistik im zweiten Studienjahr lasen Originaltexte sowie ihre davon angefertigten Übersetzungen aus dem Oeuvre der österreichischen Schriftstellerin Katharina Winkler, die mit ihrem Debütroman „Blauschmuck“ im vergangenen Jahr Furore gemacht hatte.
Die Projektion des Dokumentarfilms „Paşaport de Germania“ (Pass für Deutschland), der von dem Regisseur Răzvan Georgescu im Jahre 2014 gedreht wurde, beschloss dann den dritten Tag der deutschen Kulturwoche. Zunächst führte Dozent Dr. Anda Cosma in die Thematik des Filmes ein, der den tristen Handel des Ceauşescu-Regimes mit ausreisewilligen Angehörigen der deutschen Minderheit in Rumänien zum Gegenstand hat. Dieser von der Sozialistischen Republik Rumänien mehr oder weniger erzwungene Freikauf der Rumäniendeutschen durch die Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1967 bis 1989 sei eine politische Gegebenheit, der in einer deutschen Kulturwoche in Rumänien ein gebührender Platz einzuräumen sei. Danach sprach der Mitproduzent des Films, Alexandru Solomon, ein bekannter rumänischer Regisseur und Drehbuchautor. Nach der Betrachtung des sehenswerten Filmes leitete Alexandru Solomon auch die anschließende, durchaus kontrovers geführte Diskussion, wobei der Begriff der Heimat ins Zentrum der Auseinandersetzung geriet. Haben die freigekauften ausgewanderten Siebenbürger Sachsen oder Banater Schwaben im ersehnten oder erträumten Heimatland Deutschland tatsächlich ihr Glück gefunden oder haben sie dort nur die Sehnsucht nach ihrer verlorenen rumänischen Heimat neu oder wieder entdeckt?
So wie die deutsche Kulturwoche mit einem deutlichen Bezug zum fünfhundertjährigen Reformationsjubiläum begonnen hatte, so neigte sie sich am vierten Veranstaltungstag unter diesem Signum auch dem Ende zu, und zwar mit der Projektion eines Luther-Filmes, den Prof. Dr. Ioana Crăciun-Fischer ausgewählt hatte und in den sie auch mit einem substantiellen Vortrag einführte. Der abendfüllende Spielfilm mit Joseph Fiennes in der Titelrolle sowie mit Sir Peter Ustinov und Bruno Ganz in wichtigen Nebenrollen aus dem Jahre 2003 wurde vom anwesenden Publikum begeistert aufgenommen und anschließend engagiert besprochen.
Und last but not least gewährte die letzte Veranstaltung der deutschen Kulturwoche, eine Weihnachtsfeier, nicht nur einen Einblick in deutsche und österreichische Weihnachtsbräuche, sondern ermöglichte zudem einen Rückblick auf Martin Luther, der bekanntlich zwar den hl. Nikolaus durch das Christkind ersetzt hat, aber dennoch, wie eine Wittenberger Rechnung des Jahres 1535 aus dem Hause Luther beweist, dem Brauch des Schenkens am Nikolaustag durchaus nicht abgeneigt war.