Sein Curriculum Vitae hat es in sich: Gabriel Bebeşelea (Jahrgang 1987) wusste schon vor Beginn seines Erststudiums an der Gheorghe-Dima-Musikakademie Klausenburg/Cluj-Napoca, wohin er möchte: nicht nur vor das Orchester, sondern ganz weit nach oben. In weniger als zehn Jahren ist er durchgestartet. Zu seinen Lehrmeistern zählen Petre Sbârcea, Horia Andreescu, Mark Stringer, Bernard Haitink und der kürzlich verstorbene Kurt Masur. Und die Liste endet damit noch nicht, denn 2011 war er Stipendiat des Königlichen Concertgebouw-Orchesters Amsterdam. Dort erlebte er Proben und Konzerte unter der Leitung von Herbert Blomstedt, David Zinman, Mariss Jansons, Philippe Herreweghe, u. a. Zählt man alle Namen und Stationen seiner Ausbildung zusammen, dann hat Gabriel Bebeşelea in Klausenburg, Bukarest, Amsterdam und Wien Informationen aus erster Dirigentenhand erhalten. Aber nicht erst diese haben ihn zum klasse Dirigenten gemacht, denn das nötige „Mastermind“ brauchte er sich nicht durch langes Training zu erarbeiten. Er besaß es schon von Anfang an.
Anders ist es nicht zu erklären, dass er 2010, als gerade mal 22-jähriger Studierender, zum Kapellmeister der Oper in Jassy/Iaşi ernannt wurde. Seit der Spielzeit 2014/2015 ist er Chefdirigent der Hermannstädter Staatsphilharmonie und seit Herbst 2015 auch Erster Kapellmeister der Rumänischen Oper Klausenburg. Selbstverständlich, dass er vielbeschäftigt und gern gesehener Gastdirigent auch des Bukarester Radio-Orchesters und der „Transilvania“-Philharmonie Klausenburg ist.
Noch erstaunlicher als sein voller Terminkalender sind, wie bereits beschrieben, seine mentalen Fähigkeiten. Er arbeitet ausgesprochen methodisch, erscheint immer auf den Punkt genau vorbereitet zur Probe und findet es selbstverständlich, selbst größte und schwierigste Partituren auswendig zu dirigieren.
So geschehen auch am vergangenen Freitag, dem 29. Januar 2016, als Sinfonieorchester und Frauenchor der Klausenburger „Transilvania“-Philharmonie unter seiner Leitung Gustav Holsts „Planeten“-Suite aufführten. Holst selbst bestand darauf, dass seine während des Ersten Weltkrieges entstandenen „Planeten“ sich nicht an römischer Mythologie orientieren. Und doch entsteht beim Hören des eröffnenden „Allegro – Mars, the Bringer of War“ unweigerlich das Bild aller Kriegsbilder, der Schauplatz des Rom der Antike. Rom konnte sein stolzes Imperium nur dank seiner Feldzüge zum Weltreich erweitern. Wahre Musik und Tonkunst setzt aber nicht hier ein, sondern besteht auf ihrer Position abseits aller Politik und lässt sich auch nicht für deren Zwecke beanspruchen. Der skandierende Rhythmus im 5/4-Takt, die blechlastige Instrumentierung und das zahlreiche Schlagzeug verleiten gerne dazu, diese Musik zerstörerisch wirken zu lassen. Die Blechbläser des Klausenburger Orchesters ließen sich nicht zweimal bitten, sie gaben ihm Saures. Eine Spielart, die sich als Falle herausstellt und gerne übersehen wird. Auch der große Hannibal kämpfte sich über die Alpen nach Süden und stand vor Rom, das er ohne weiteres hätte angreifen können, „Hannibal ante portas“, und tat es dennoch nicht. Keine Zerstörung also. Gleiches gilt für die Galionsfigur Spartakus, der eine Sklavenarmee um sich sammelte, Rom das Fürchten lehrte, auch er hätte es angreifen können. Wiederum entging die Ewige Stadt der Zerstörung durch Krieg. Ein kleines Rätsel, wie die baulichen Reste mehr als zwei Jahrtausende Geschichte überdauert haben. Ästhetisch steht es Holsts „Planeten“ schlecht, wenn das Blech allzu martialisch auftrumpft. Im Klang sollte immer noch ein Stückchen Ehrfurcht mitschwingen.
Anders verhält es sich mit dem Ende desselben ersten Satzes. Gabriel Bebeşelea ließ das Orchester die rhythmisch versetzten Schlussakkorde absichtlich gestalten, breit ausspielen – ein Fehler, denn hier wäre Kaltschnäuzigkeit gerade richtig gewesen. Vogel, friss oder stirb! Auf dem Schlachtfeld ging es bekanntlich sehr unbritisch zu. Die römischen Legionen kannten weder mit Karthago, noch mit Spartakus´ Sklavenarmee Erbarmen, und warteten einfach den Schwächeanfall des Gegners ab. Daran gibt es nichts zu beschönigen, man mag umsonst was anderes hineininterpretieren. Insgesamt jedoch feierte Gabriel Bebeşelea mit seiner Interpretation einen Erfolg. Die Inszenierung des hinter der Bühne singenden Frauenchores am Schluss der Suite, mit Verwendung der Flügeltüre als räumliches Decrescendo: ein Geniestreich.
Dass der Abend vor fast ausverkauftem Saal stattfand, lag sicher auch am Beethoven-Violinkonzert, einem wunderschönen Repertoire-Stück. Cristina An-ghelescu bestritt den Solo-Part und startete unglücklich in ihren Auftritt: Schon der erste Spitzenton am Ende der Eingangskadenz im ersten Satz stimmte hörbar schlecht. Schade um den missratenen Anfang, und nicht weniger traurig stimmte einen der zweite Satz, als die Solistin es versäumte, dynamisch ein wenig zurückzuschrauben und im Verborgenen ein stilles, aber ausdrucksvolles „Piangendo“ zu realisieren. Obwohl Beethoven es nicht notiert hat, gehört es doch zum Stil des Werkes. Einen Husarenritt probierte Cristina Anghelescu auch aus dem Rondo zu erzeugen, doch tönt das Posthorn gerne eher gemütlich.
Für die Solo-Violine mag es schwierig werden, das Beethoven-Konzert schlüssig zu gestalten, wenn man es aus seinem Geist und der Epoche der „gründlichen Violinschule“ von Leopold Mozart entfernt. In der Geigenszene Rumäniens, die sich stark an ihrem russischen Vorbild und höchst ungerne am klassischen Stil orientiert, ist diese Gefahr besonders groß.
Einfacher hatte es das Orchester unter dem Dirigat von Gabriel Bebe{elea. Das Tutti „con sordino“ der Streicher im langsamen Satz war ein klanglicher Lichtblick, aber musikalisch leider fast die einzige Überraschung. So steif die Interpretation einer Cristina Anghelescu klang, der Beethoven des Klausenburger Orchesters kam ebenso traditionell daher. Das von der Pauke initiierte, später an das gesamte Orchester weitergegebene rhythmische Motiv hätte sich den beiden melodischen Themen im ersten Satz noch entschiedener gegenüberstellen, hätte viel stärker „brennen“ können. Und wie interessant könnte es klingen, wenn die Solo-Kadenz von Dirigent und Orchester ausnahmsweise mal nicht wie gewohnt vorbereitet, sondern direkt und ganz ohne ritardando angesteuert würde.
Beethoven ist im rumänischen Konzertsaal lange Zeit der aufmüpfige Revolutionär unter den Komponisten gewesen, die Aufführungstradition hat ihn alt werden lassen. Für einen ehrgeizigen, jungen Dirigenten führt der Weg Richtung Sensation jedoch entschieden an der Tradition vorbei. Vielleicht bricht Gabriel Bebeşelea mutig mit ihr und lässt eines Tages wieder einen neuen Beethoven hören. Das verständige Klausenburger Publikum und das junge Orchester der „Transilvania“-Philharmonie würden bestimmt begeistert mitgehen.