Vieles lässt sich über Wien berichten. Für viele rumänische Touristen ist die österreichische Hauptstadt das vorweihnachtliche Wochenendziel schlechthin und in einer größeren Runde schämt man sich beinahe dafür, niemals einen Wiener Christkindlmarkt besucht zu haben. Als Europäer muss man den Drehort der einstigen Fernsehserie „Kommissar Rex“ einfach erleben, und sei es auch nur für ein paar Stunden während eines Zwischenstopps auf einer längeren Reise. Im Heurigen kehrten auch der Polizeihund und die Kommissare Moser und Stockinger ein und brachten vor gut 15 Jahren schnauzbärtige Kriminelle original wienerisch hinter schwedische Gardinen.
Was in Rumänien nicht funktioniert, klappt in Wien auf Anhieb. Ex-Präsident Traian Băsescu ließ sich 2006 in der Hauptstadt Österreichs von seinem Bandscheibenvorfall chirurgisch befreien. Im selben Jahr wurde der Meniskus des damaligen Premierministers Călin Popescu-Tăriceanu in Paris behandelt. Unfein und überhaupt nicht wienerisch, dass der derzeitige Senatsvorsitzende den EU-Spitzenpolitikern in der Berichterstattung grantig an die Gurgel springt, wenn letztere ihn auf den stotternden rumänischen Sozialstaat aufmerksam machen: untersteht euch bittschön, das tolle Rumänien zu kritisieren. Das Wiener „Gschäfterl“ verirrt sich gelegentlich auch nach Bukarest und wird dort gerne überstrapaziert.
Mehr als nur ein Lied von genau diesem Wien abseits aller prunkvollen Grandhotels und der Ringstraße kann die junge Zweierformation „Wiener Blond“ singen. Die eineinhalb Stunden lange Unterhaltungsshow der Marke Verena Doublier und Sebastian Radon lockte am Sonntagabend, dem 4. März, das Publikum im Radu-Stanca-Theater Hermannstadt/Sibiu aus der Reserve. Eine gehörige Dosis Selbstironie steckt in den Beatbox-Chansons der beiden jungen Musiker, die außer Mikrofon und Loopstation nur noch Gitarre, Ukulele, eine kleine Flasche Wasser und ihre Sing- und Sprechstimmen benötigten, um unmittelbar mit den Zuschauern zu kommunizieren. „Bricht der Dritte Weltkrieg aus, doch bist in Wien, na dann hast Glück g´habt!“, brachte Sebastian Radon ganz locker und unbeschwert heraus. Und sollte selbst die Stadt Schuberts nicht verschont bleiben, dann sind Ukulele, Gitarre und Musik trotzdem nirgendwo sonst auf der Welt besser untergebracht als in dem geistigen Bunker der k&k-Monarchie.
Welches Wien ist das echte Wien? Jenes der Touristen oder doch das Wien der Wiener, die in charmanter Hassliebe an ihrer Stadt hängen und den Wein mit Sodawasser verdünnen? „Der Wein allein ist für die Wiener zu bissig,/drum zähmen wir den Rebsaft gern mit Mineral/Nimmst Limonad als Ingredienz, na dann verpiss dich/Wir wolln´s net siaß, wir wolln´s geschmacklos, öd und schal.“ Soviel zu der großstädtischen Lethargie des durchschnittlichen Wieners.
Denn auch der durchschnittliche Wiener geht einem gewöhnlichen Tagwerk nach und nickt am Küchenstuhl ungerne, dafür aber gerne gemütlich in der Badewanne ein: „Du musst ein Vollbad nehmen/bei Verspannungsproblemen/Schrumpeln dir deine Finger/wird dein Stress gleich geringer/Sei ned immer so hoibad/nimm doch einfach ein Vollbad/Du wirst sehen, dein Seelendreck/schwimmt sogleich im Abfluss weg“ – dieser Refrain hat es in sich. Ebenso auch der abendliche Berg von Geschirr, der frech des Hausmannes Blicke auf sich zieht, nur dass der junge Wiener sich nicht so einfach unterkriegen lässt: „Um Zeit zu sparen, entspannt zu sein,/ließ ich genüsslich mir ein Schaumbad ein/Glich aus mein Abwaschdefizit/und nahm die Teller einfach mit/“. Na denn Prost, gute Nacht, und auf dass keine Essensreste den Badewannenabfluss verstopfen.
Wenn es in der traditionell überfüllten U6 zwischen Floridsdorf und Siebenhirten wienerisch nach Schnaps und Kraut duftet, ist folgendes Zitat wohl nicht übertrieben: „Nach diesem Höllenritt ist jede Schönheit halb so schoarf. Doch leider braucht sie jeder/ob Lilly oder Peter/Die Linie verschlimmert/unser Stimmungsbarometer“. Ein Lied, das den Titel „Ruck a bissl“ redlich verdient. Da Verena Doublier zum Mitmachen aufforderte, ließen es sich ein paar Herren im Zuschauerraum nicht nehmen, lauthals mitzugrölen. Sebastian Radon überzeugte die Damen im Nu, mit der Antwort „Es ist hier so eng! Ich fühl mich bedrängt – Hilfe!“ singend gegenzuhalten.
Nichts geht in Wien ohne einen abendlichen Besuch im Heurigen. Das „Wiener Blond“ empfiehlt hierzu den 16. Stadtbezirk als Ausgehviertel: „Rot ist die Liebe/Rot ist der Wein/Rot ist die Erd auf dera Stroßn und des konn ka Zufoi sein/Blau samma söba – und des meistens ohne Ziel und Sinn/Jo schee is a Lebm do, in Ottakring“.
Dass man sich in der österreichischen Hauptstadt nicht festlegen mag und liebend gerne auf ein klares Ja oder Nein verzichtet, stößt selbst den waschechten Wienern sauer auf. Also ist nach wie vor nicht das glänzende Wien der rumänischen und osteuropäischen Touristen und Politiker, sondern das Wien der Wiener die echte Messlatte. „Wien nur du allein/darfst zu mir so goschert und grantig sein/Weil du bist jedem guten Ratschlag stets erhaben/Deine Arroganz ist nüchtern selten zu ertragen“.
Die Arroganz ist auch in Bukarest zuhause, aber der durchschnittliche Rumäne neigt dazu, kampflos stiften zu gehen. Beispielsweise nach Wien. Der durchschnittliche Wiener hingegen geht nicht stiften und liebt sein Wien heiß, mit allem Schönen und auch Unschönen, das in der Stadt nicht weniger zuhause ist. „Es gehört die latente Depression/in dieser Stadt zum guten Ton/so wie da Sandstein zum Stephansdom“. Selbst eine kurze Stippvisite nach St. Pölten ist ihm ein Gebirge: „Jo, in St. Pöltn lossat ma des göltn oba ned in Wean“. Das berühmte Wiener Gemisch aus Lässigkeit und Korrektheit gefiel in Hermannstadt besonders gut.
Der Auftritt der Formation „Wiener Blond“ wurde vom gastgebenden Theater gemeinsam mit dem Österreichischen Kulturforum Bukarest und der Rumänisch-Österreichischen Gesellschaft veranstaltet. Verena Doublier und Sebastian Radon standen wenige Augenblicke nach der letzten Zugabe im Foyer zum Gespräch bereit und verkauften Exemplare ihrer beiden CD´s „Zwa“ und „Der letzte Kaiser“. Auf der Homepage www.hoanzl.at findet man ihn tatsächlich, den letzten Kaiser: „Oh Wien, der letzte Kaiser bist Du!“.