Bei den 64. Internationalen Filmfestspielen von Cannes im Mai dieses Jahres wurde der Film „Loverboy“ des rumänischen Regisseurs Cătălin Mitulescu in der Reihe „Un Certain Regard“ gezeigt, in die vor allem Beiträge von international noch wenig bekannten Filmemachern aufgenommen werden. Der Film fand dort große Beachtung, zumal sein rumänischer Regisseur bereits als Drehbuchautor an dem Erfolgsfilm „Eu când vreau să fluier, fluier“ (Wenn ich pfeifen will, pfeife ich) mitgearbeitet hatte.
Die beiden Protagonisten jenes Gefängnisdramas von Florin [erban sind nun auch die beiden Hauptfiguren des Films „Loverboy“ von Cătălin Mitulescu: George Piştereanu verkörpert Luca, einen smarten und attraktiven Gigolo aus Hârşova an der Donau, in den sich die junge und lebenshungrige Veli, verkörpert von Ada Condeescu, rückhaltlos verliebt. Schauplatz ist die Landschaft der Dobrudscha zwischen der Donau und dem Schwarzen Meer, die Städte Konstanza/Constanţa und Hârşova sowie die umliegenden Dörfer. Zeit der Handlung ist ein heißer Sommer, der gleichermaßen ausgebrannte Leere und glühende Verheißung symbolisiert.
Der Film beginnt jedoch nicht mit der Liebesgeschichte zwischen Luca und Veli, sondern mit der Schilderung des sozialen Netzes, in das Lucas Existenz eingesponnen ist. Er kümmert sich um seinen pflegebedürftigen Großvater, grandios gespielt von Ion Besoiu, unterstützt von einer älteren Pflegerin, ebenso bravourös verkörpert von Coca Bloos. Die Mutter tritt im Film nicht in Erscheinung, der Vater fährt zur See, wenn man einer hingeworfenen Bemerkung Lucas Glauben schenken will. Direkt gegenüber einer abgelegenen kleinen Gaststätte, die von Frau Savu (Clara Vodă) betrieben wird, hat Luca in einer unscheinbaren Hütte sein Domizil aufgeschlagen, wo er Motorräder repariert, seine dubiosen Freunde empfängt und, in einem alten Autositz lässig an eine Bretterwand gelehnt, auf neue Abenteuer wartet.
Zunächst wird er aber erst einmal von der Polizei zu einer Gegenüberstellung abgeholt: Eine in Italien zur Prostitution gezwungene junge Frau beschuldigt ihn, sie in die Hände von Frauenhändlern getrieben zu haben, deren gepeinigtes Opfer sie dann wurde. Als die Ex-Freundin ihren ehemaligen Lover aber hinter dem Einwegspiegel erblickt und seine blutende Lippe bemerkt, wobei sich Luca die Verletzung vorher aus Berechnung selber zugefügt hat, bekommt sie Mitleid mit ihm und verneint gegenüber der Polizei, ihn jemals gekannt zu haben. Zweimal noch sieht Luca seine Ex-Freundin wieder: das erste Mal in einem Hotelzimmer, wo sie ihn zu küssen versucht, er sie aber nur kalt dazu auffordert, das Vergangene ruhen zu lassen; und das zweite Mal im Leichenschauhaus, wo er bestreitet, die Tote zu kennen, die, inzwischen zu einem Sicherheitsrisiko geworden, von dem Frauenhändlerring ein für allemal beseitigt wurde.
Auf diese tragische Exposition folgt dann eine leichte, fast spielerische Durchführung. Junge Mädchen geraten in die Fänge Lucas und seiner Freunde, die mit schnellen Autos holprige Straßen in der sengend heißen Dobrudscha entlang brausen und für die Geld offenbar keine Rolle spielt. Man fährt ans Meer, lässt sich in Strandcafés Cocktails servieren, badet gemeinsam, schläft miteinander, verliebt sich vielleicht, und genießt unbeschwert die Leichtigkeit des Seins. Für diejenigen jungen Frauen, die danach zu ihren Eltern zurückkehren, geht ein schöner Traum zu Ende, für die anderen beginnt ein Alptraum, der den Teufelskreis von Verliebtsein, Hingabe an den Zuhälter, Selbstaufopferung durch Prostitution und Versklavung durch Frauenhändlerringe in Gänze schmerzhaft ausschreitet.
In diesen Kreis der Gefährdung tritt nun die junge Veli ein, die im blasierten Verhalten des abgebrühten Luca zunächst eine Veränderung oder gar eine Wandlung zu bewirken scheint: Sie hilft Lucas Großvater, sie arbeitet als Bedienung bei Frau Savu, sie hat Ideen für eine gemeinsame Existenz und bricht um deretwillen sogar mit der eigenen Familie. Luca seinerseits scheint zunächst davor zurückzuscheuen, Veli seinen dubiosen Freunden auszuliefern. Einmal provoziert er sogar absichtlich einen Unfall mit seinem Motorrad, als wolle er sich selber vernichten, um Veli aus dem Sog seiner eigenen verbrecherischen Aktivitäten herauszuhalten. Aber der Sturz endet glimpflich und Veli erklärt sich kurz darauf von sich aus bereit, für Luca anschaffen zu gehen, um seine angeblichen Schulden bei seinen Freunden zu begleichen.
Nun ist Lucas Arbeit bei Veli getan, wie sie vormals schon bei seiner mittlerweile toten Ex-Freundin getan war: Veli ist jetzt in den Händen der Frauenhändler und geht unter deren Bewachung in einem Motel der Prostitution nach. Luca besucht sie nun auch nicht mehr persönlich, sondern lässt sich nur noch im Foyer des Motels ein Kuvert mit Geld für seine erfolgreiche Vermittlungstätigkeit aushändigen. Der Kreislauf des Verbrechens beginnt jetzt von Neuem, und als Luca in der Schlusssequenz des Films auf seinem Motorrad eine verkehrsreiche Straße entlangfährt, ist er wieder der Köder, mit dessen Hilfe ahnungslose junge Frauen angelockt und ins Verderben gezogen werden.
Der Film „Loverboy“ lebt in erster Linie von seinen beiden Protagonisten, wobei sich hier eine gewisse Asymmetrie auftut, die den Film wiederum belastet. Ada Condeescu nimmt man die Rolle der Veli, ihren Lebenshunger und ihren jugendlichen Überschwang, voll und ganz ab, und man versteht, dass es Luca schwer fällt, sie unter professionellen Gesichtspunkten als einen Fall wie jeden anderen zu betrachten und mit ihr sozusagen zur Routine überzugehen. Das unterkühlte, bewusst emotionslos gehaltene Spiel George Piştereanus andererseits macht es dagegen schwer verständlich, warum Veli sich derart an den von ihm verkörperten Luca verlieren kann und warum sie sich ihm schließlich in dieser Weise aufopfert und an ihn weggibt. Gerade die Liebesszenen zwischen Veli und Luca, und im Vergleich dazu jene zwischen Veli und ihren Freiern, sprechen da eine andere Sprache.
Bei aller Asymmetrie in der Personenführung und bei aller Konstruiertheit in der Handlung rührt der Film „Loverboy“ dennoch an ein nicht zu unterschätzendes soziales Problem. In vielen europäischen Ländern gibt es inzwischen Vereine, die es sich unter dem Motto „Stop Loverboys“ zum Ziel gesetzt haben, leichtgläubige, arglose und vertrauensselige junge Frauen vor dem traumatisierenden Schicksal jener Filmfigur zu bewahren.