Spektakuläre und oft unbekannte Geschichten im kommunistischen und postkommunistischen Rumänien, aber auch Alltagsaspekte, die das Gefühl einer ganzen Ära widerspiegeln, werden in Alexandru Solomons international preisgekrönten Dokumentarfilmen mit Intelligenz, Scharfsinn und viel Ironie behandelt: In „Marele jaf comunist” (2004) thematisiert er anhand einer dramatischen Bankraubgeschichte die Ideologie und den Antisemitismus der 1950er Jahre, in „Război pe calea undelor” (2007) die Angriffe auf den Radiosender „Freies Europa” in München (indem er auch da nicht weniger spektakuläre Funde machte) und in „Kapitalism – Reţeta noastră secretă“ (2010) die Erfolgsgeschichten der ersten ‘self-made’-Millionäre Rumäniens.
Seine mittellangen und kurzen Dokustreifen behandeln die unterschiedlichsten Themen, von Paul Celans Leben („Duo pentru Paoloncel şi Petronom” - 1994) bis zu dem Bukarester Chaosverkehr („Apocalipsa după şoferi” - 2008) und das Leben seiner Straßenhunde („Viaţă de câine” - 1998) und bleiben dabei immer sehr menschlich und differenziert. Da liegt seine Verbindung zu dem internationalen Menschenrechtsfestival One World Romania eigentlich auf der Hand: Seit drei Jahren ist er Leiter des Festes, das Dokumentarfilme zu den brenzligsten Themen weltweit zeigt. Über das Filmfestival, die damit verbundenen Herausforderungen sowie seine eigenen Filme sprach der Regisseur Alexandru Solomon mit Ioana Moldovan.
Herr Solomon, das Festival One World ist eigentlich eine tschechische Initiative (von Vaclav Havel 1999 ins Leben gerufen und mittlerweile mit Ableger weltweit – Anm. der Red.). Die erste rumänische Ausgabe fand 2008 statt. Wie unabhängig sind Sie in Bezug auf Prag, sowohl kuratorisch als auch organisatorisch?
Wir sind komplett unabhängig. Das Festival in Bukarest wurde von der damaligen Leiterin des Tschechischen Kulturzentrums in Bukarest, Monika Stepanova, ins Leben gerufen und seit drei-vier Jahren gibt es eine Bukarester Stiftung (Asociaţia One World Romania - Anm. der Red.), die sich mit der Organisation des Festes befasst. Folglich sind wir organisatorisch, finanziell und vor allem kuratorisch selbstständig. Gut, es sind schon Filme, die sowohl in Bukarest als auch in Prag laufen, aber das kommt daher, dass wir dieselben Filme mögen und dieselben Interessen haben.
Sind Sie von Anfang an Teil des Teams gewesen?
Nein, ich bin im zweiten oder dritten Jahr dazugekommen, durch Monika eigentlich, die mich gebeten hatte, bei der Filmauswahl mitzumachen. Monikas Entsendezeit in Bukarest ist kurz danach zu Ende gegangen, sodass die Stiftung mehr übernommen hat von ihren Aufgaben und ich geblieben bin.
Es sind einige Jahre seit der ersten Ausgabe vergangen. Haben Sie mit der Zeit eine Veränderung in der Wahrnehmung des Publikums bemerkt, in dessen Umgang mit den Themen, in den Diskussionen nach der Projektion, oder allgemein in dessen Haltung?
Ja, eine Veränderung sieht man auf jeden Fall. Erstens quantitativ: Es kommen einfach viel mehr Leute ins Kino. Qualitativ aber auch; der Mut, den Mund aufzutun, ist tatsächlich größer geworden. Die kinematografische, soziale und politische Alphabetisierung ist schon gestiegen.
Apropos Diskussionen: Was ich sehr schätze an One World ist die Auswahl von Experten in den von den Dokus thematisierten Bereichen, die die jeweiligen Filmgespräche leiten. Die Debatten sind dann präzise und man kann weniger um den heißen Brei reden, wie leider oft bei Filmfestivals. Ist das eine Initiative von One World Bukarest, oder typisch für alle One World-Festivals? Und wie schwierig ist die Auswahl dieser Moderatoren, vor allem wenn das Thema oder das besprochene Land nicht so bekannt sind?
Ja, das war unsere Idee. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, wie das die anderen Festivals machen, ob das auch bei ihnen gängig ist. Es ist schon reizend zu denken, dass man das Rad selber erfunden hat, aber... Das stimmt, es ist nicht leicht, sie zu finden, aber das wir kein kompetitives Festival sind (bei One World Romania gibt es keinen Wettbewerb; es werden auch keine Preise verliehen – Anm. der Red.), ist es sehr wichtig für uns, seriöse Diskussionen zu haben. Wir wollen auch immer die Filme in einen Kontext und in eine Diskussion platzieren.
Wir fangen an, nach ihnen zu suchen, sobald das Programm steht, also ein bis anderthalb Monate vor Festivalbeginn. In diesem Bereich arbeiten wir sehr eng mit der Konrad-Adenauer-Stiftung zusammen (die Stiftung ist mit dem Rechtsstaatsprogramm Südosteuropa Hauptpartner des Festivals - Anm. der Red.), sie suchen ebenfalls Leute und machen Empfehlungen.
Wenn wir schon bei schwierigen Ländern sind: Kann die Projektion des Filmes eines in seinem Heimatland bestraften Regisseurs ihm zum Teil schaden? Ich beziehe mich auf den iranischen Filmemacher Jafar Panahi, der seit 2010 in einen Prozess involviert ist, in dem er aufgrund von angeblich antiislamischer Propaganda zu sechs Jahren Gefängnis und zwanzig Jahren Drehverbot verurteilt wurde. „This Is Not a Film“, der bei One World gezeigt wurde, bezieht sich ironisch auf seine Strafe und wurde während seines Hausarrestes gedreht, als er auf das Urteil wartete.
Eigentlich nicht. Sobald der Film raus ist und gezeigt wird, kann eine Extraprojektion auch nicht mehr schaden. Als er zum ersten Mal 2011 in Cannes gezeigt wurde (der Film, auf einem USB-Stick gespeichert, wurde in einem Kuchen versteckt und so nach Frankreich geschmuggelt – Anm. der Red.), war sicher eine Sache, aber mittlerweile nicht mehr. An sich hat Panahi Drehverbot und er dreht ja auch nicht, der Film wird ‘nur’ vertrieben.
Arbeiten Sie mit anderen Festivals zusammen? Ich weiß, dass eine Kooperation mit dem Hermannstädter Astra Filmfest besteht, aber wie steht es mit anderen Städten?
Wir haben eine on Tour-Ausgabe, mit der wir in verschiedene Städte reisen. Zusammen arbeiten tun wir mit Neumarkt/Târgu-Mureş (das Festival heißt ALTER-NATIVE) und mit DOC EST in Jassy/Iaşi. Wir haben bemerkt, dass es immer besser ist, sich den da existierenden Projekten anzuschließen, als ganz neu hinzugehen.
Und mit ausländischen Menschenrechtsprojekten?
Im Ausland nicht wirklich. Wir haben es bis nach Chişinău geschafft, wo es das internationale Dokumentarfilmfest Cronograf gibt, und wir planen eine Zusammenarbeit mit dem Menschrechtsdokumentarfest Verzio in Budapest. Zur Zeit bleiben wir dabei.
Waren Sie auch in den anderen Ländern beim Festival? Und wenn ja, wie schätzen Sie das Publikum ein; gibt es deutliche Unterschiede zwischen Gruppen, vor allem wenn man innerhalb des osteuropäischen Raums bleibt?
Nein, ich habe es noch nicht dahin geschafft, aber der Grad an sozialer und filmischer Bildung wird immer dünner, je weiter man in den Osten geht. Der Appetit nach Kino ist auch immer kleiner. Der Gedanke, ins Kino zu gehen und eine Karte zu zahlen für Filme, die auch noch zum größten Teil traurig sind, ist eher unüblich da. Und an traurigen Filmen zeigen wir ja eine ganze Menge...
Wie steht es denn mit den Städten und Regionen innerhalb Rumäniens? Vor allem verglichen mit Bukarest?
Es ist nicht leicht in der Provinz, auch wenn wir da an sich keine Konkurrenz haben, komischerweise. Aber tragisch ist es auch nicht. Obwohl es besser laufen könnte. Es ist halt ein langwieriges Unternehmen, bis das Publikum sich an einen gewöhnt. Vor allem ein Publikum, dem man sonst nur lokale Pikanterien serviert, wie das so oft die Medien machen. Es ist schwer, so einem Publikum über die Probleme der Menschen im Iran und dem Sudan zu erzählen, weil es dazu nicht viel weiß, vor allem wenn die rumänischen Medien gar nicht erst versuchen, dazu zu informieren. Sogar in Bukarest kommt jedes Jahr die Frage, ob das unsere erste Ausgabe sei.
Das überrascht mich schon; vielleicht müssen noch einige Jahre vergehen, bis man Euch gut kennt? Vielleicht bis zur zehnten Ausgabe?
Naja, Alter ist keine Garantie, man kann mit der Zeit auch verblöden. Festivals können durchaus schlechter werden mit der Zeit. Es ist nicht unbedingt wie mit altem Wein.
Neben Ihre Festivaltätigkeit sind Sie vor allem als Regisseur von Dokumentarfilmen tätig und dahin würde ich mich jetzt wenden, auch im Bezug auf die Wahrnehmung Ihrer Filme und die Beziehung zwischen Fakten und Fiktion. Vor Kurzem, nämlich am 23. August, lief in Bukarest zur ‘Feier’ des Tages Ihr Film von 2004, „Marele jaf comunist“, also nach acht Jahren seit seiner Premiere. Meinen Sie, die Zuschauer sind in dieser Zeit kritischer geworden mit der Medienwahrnehmung, vor allem wenn der Glaube, Dokumentarfilme seien die ‘Realität’, noch so gängig ist? Wenn man vor allem die Gespräche um diesen Film in Betracht zieht?
Die Leute sind immer noch leichtgläubig. Es ist schwer zu sagen, aber auf jeden Fall sind sie kritischer als in den 50ern. Hoffentlich (lacht)! In Rumänien gehört man sonst zum anderen Extrem, man glaubt an eine massive Verschwörung. Das Gegenteil der Naivität ist ein irrationales Misstrauen: Alles ist inszeniert und politisch begründet.
Ihre Filme sind reine Detektivarbeit; Sie graben unglaublich spannende Sachen aus der Geschichte Rumäniens raus. Wie lange haben Sie zum Beispiel mit der Recherche für „Război pe calea undelor“ verbracht?
Na bei dem waren es drei bis dreieinhalb Jahre. Aber um ehrlich zu sein, habe ich in der Zeit auch an anderen Projekten gearbeitet. Im Ganzen haben wir an dem Film vier Jahre lang gearbeitet. Das ist aber typisch für das dokumentarische Genre, man verbringt sehr viel Zeit mit dem Thema, mit seinen Subjekten. Es ist nicht wie bei Fiktion, wo man von fertigen Geschichten ausgeht; hier müssen sie aus einer realen Materie entstehen; man braucht viel Zeit und Kenntnis.
Und bei „Kapitalism – Reţeta noastră secretă“? Wie lange haben Sie da zum Beispiel gebraucht, bis die endgültige Liste der interviewten Geschäftsleute stand? Und wie haben diese dann nach der Sichtung der fertigen Doku reagiert? Der Film beschuldigt zwar nicht explizit, aber er ist kritisch und ironisch genug, was schwer zu überschauen ist.
Die Liste war ziemlich lang; manche wollten gar nicht mit uns reden, andere haben das gemacht und sich dagegen entschieden; es gab auch welche, die zugesagt haben und letztlich haben wir beim Schnitt noch einige rausgeschnitten, weil ihre Geschichten zu ähnlich waren. Die finale Liste stand nach ungefähr anderthalb Jahren. Zu den Reaktionen habe ich immer wieder was erzählt: Wir haben sie zur Premiere eingeladen und ein Teil ist tatsächlich gekommen. Außer George Pădure waren sie aber alle ziemlich gverärgert. Dinu Patriciu, zum Beispiel, der hat uns damals im „Adevărul“ kritisiert.
Gab es auch härtere Reaktionen? Mit legalem Vorgehen?
Nein, nein, so weit kam es nicht.
Sie arbeiten auch als Kameramann, sowohl bei Ihren eigenen Filmen als auch bei Spielfilmen. Würde Sie die Regie eines pur fiktionalen Films eigentlich reizen?
Ich haben keinen Plan dazu; ich habe mir nie fest vorgenommen, niemals Fiktion zu drehen. Wenn ein gutes Drehbuch käme, oder eine gute Idee, würde ich mir das durchaus durch den Kopf gehen lassen.
Arbeiten Sie zur Zeit an einem neuen Film?
Ja, ich arbeite an einem Dokumentarfilm; ich versuche gerade, das Ganze in Bewegung zu bringen. Er spielt an einem exotischeren Ort, im Kaukasus, in einem Institut für medizinische Forschung, das in den 1920ern gegründet wurde.
Ist er ebenfalls eine Koproduktion, wie Ihre vorigen Filme?
Ja genau, mit der französischen Produktionsfirma, mit der ich bei „Kapitalism“ auch gearbeitet habe („Neon Rouge Production“- Anm. der Red.). Wir versuchen momentan, Geld einzutreiben. Sonst sind wir (seine Produktionsfirma HiFilm Productions – Anm. der Red.) mit einem Film bei dem diesjährigen Astra Filmfestival in Hermannstadt vertreten. Der Streifen heißt „Aici... adică acolo“ und behandelt die Adoleszenzjahre zweier Mädchen aus der Maramuresch, deren Eltern seit über zehn Jahren in Spanien arbeiten. Die junge Regisseurin Laura Căpăţâna-Juller hat sie drei Jahre lang begleitet; es ist eine sehr persönliche Geschichte.
Lief der Film nicht auch bei One World Romania im März?
Ja, da haben wir aber nur Fragmente gezeigt; die Endfassung war damals noch nicht fertig.
Dann viel Erfolg mit dem Film sowie mit Ihren weiteren Projekten und vielen Dank für das Interview!
Ich danke auch.
Mehr Details zu One World Romania finden Sie auf der offiziellen Seite des Festivals; mehr Infos zu Alexandru Solomons Projekten auf seiner Seite.