Eginald Schlattner, Jahrgang 1933, betreibt international Karriere, und das seit bereits 20 Jahren. Seine Roman-Trilogie „Der geköpfte Hahn“ (1998), „Rote Handschuhe“ (2000) und „Das Klavier im Nebel“ (2005), sowohl ins Rumänische übertragen als auch in weitere Fremdsprachen weltweiten Gebrauchs übersetzt, erzeugte in Literatur- und Leserkreisen ein bis dahin ungeahnt hohes Lesefieber und ungetrübte Anerkennung eines zahlreichen Publikums. Jedoch musste und muss sich Schlattner gleichwohl auch spitze Anfeindungen teils illustrer Mitspieler in der europaweit präsenten deutschsprachigen Autorenszene siebenbürgisch-sächsischer Färbung gefallen lassen. Am Rande sei an dieser Stelle das Fallbeispiel des angespannten Verhältnisses erwähnt, das die Autoren Eginald Schlattner und Hans Bergel zueinander hegen (Frieder Schuller in „Treppauf treppab“ in der ADZ am 17. Mai 2016). Die Bücher von Eginald Schlattner sind ein Kapitel für sich und tragen weder den einheitlichen Stempel autobiografischer Schriftwerke, noch das klassisch gemusterte Gewand einer Romanreihe in ihrer literarischen Identität. Ansprechend und fesselnd wirken Schlattners Romane auf den Leser, eine Erfahrung, die viele Personen gerne bestätigen. Und da Eginald Schlattner, evangelischer Pfarrer, geistlicher Gefängnisseelsorger und im Fachgebiet Hydrologie ausgebildeter Ingenieur, kurz vor Ausgang des 20. Jahrhunderts mit seiner literarischen Begabung und der persönlichen Rückschau auf die eigene, durchwachsene Biografie nicht mehr hinter dem Berg halten wollte, taten sich nicht wenige Leser bald als Neider, bald als hartnäckige Kritiker Schlattners öffentlich in den Vordergrund.
Eine immense Fülle an Details über die Episode der kommunistischen Zeitgeschichte ist in Schlattners Romanen zu erfahren. Womit Romancier Eginald Schlattner jedoch die ganze Zeit seiner literarischen Karriere der letzten 20 Jahre hindurch geschickt hausgehalten hat, sind authentische Informationen über sein tiefstes Inneres. Permanent fuhr er auf der Schiene, dass gute Freunde ihn ohnehin nichts mehr zu fragen brauchen, er sich ihnen also ganz und gar nicht absichtlich als Rätsel entgegenstellen mag. Und jene, die ihn gerne näher kennenlernen wollten, müssen eben damit fertig werden, dass „Der geköpfte Hahn“, die „Roten Handschuhe“ und „Das Klavier im Nebel“ zwar unzählige Informationen enthalten, das authentische Bild des Autors aber von ihm selbst bewusst verschlüsselt vermittelt wird und im Buchpreis nicht mit inbegriffen ist. Dadurch erwachte der ätzende Vorwurf Einzelner zum Leben, Schlattner habe das eine oder andere Geheimnis über sich selbst zu verbergen. Mitten in dem literarischen Dickicht der geistig-historischen Entschlüsselung des schriftstellerischen Gesamtwerks Eginald Schlattners ist der Name Michaela Nowotnick zu nennen, die 2016 mit der wissenschaftlichen Arbeit unter dem Titel „Die Unentrinnbarkeit der Biographie. Der Roman ,Rote Handschuhe´ von Eginald Schlattner als Fallstudie zur rumäniendeutschen Literatur“ an der Humboldt-Universität Berlin den Doktortitel erlangte. Dr. Michaela Nowotnick hatte in jüngerer Vergangenheit mehrmalige Versuche unzweideutiger Orientierung in Schlattners Lebenslauf unternommen, doch blieb ihr die Aufdeckung letzter Wahrheiten meist unzugänglich (die ADZ berichtete mehrfach).
Aus diesem Grund erscheint es nahezu erlösend, dass Eginald Schlattner vor nicht langer Zeit Universitätsdozent Radu Carp (Bukarest) ein einfühlsames Interview gewährte, dessen Inhalt in bestimmt zahlreichen Fragepunkten Klarheit schafft, mit allzu großer Vorsicht gehandhabte Geheimnisse lüftet, und die Vernetzung zwischen Schlattners eigener Biographie und derjenigen gesamt Rumäniens von letzten Maskenschichten absichtlicher Verschlüsselung befreit. „Gott will mich hier“, so lautet das Credo Eginald Schlattners. Radu Carp führte mit Schlattner ein Gespräch in rumänischer Sprache, das beiden Interviewpartnern nach wie vor viel bedeutet. Kürzlich ist im Bukarester Verlag Editura Lumea Credinței besagtes Interview unter der Überschrift „Dumnezeu m˛ vrea aici“ erschienen. Ein kleines Büchlein, das auf 150 Seiten authentische Zitate und Statements eines 85 Jahre alten Mannes wiedergibt, der sich zeitlebens um die Größe des eigenen Herzens und der Herzen der Mitmenschen bemüht hat.
Am Dienstag, dem 17. Juli, wurde der Interview-Band „’Dumnezeu mă vrea aici.´ Radu Carp în Dialog cu Eginald Schlattner“ von Autor und Mitherausgeber Radu Carp im Erasmus-Büchercafé Hermannstadt/Sibiu vorgestellt. Bis auf den letzten Stehplatz gefüllt war an besagtem Nachmittag das Erasmus-Büchercafé, hat doch die öffentliche Neugierde an neuen Erkenntnissen über Eginald Schlattners literarische und persönliche Identität bislang nicht abgenommen. Enttäuscht wurden die Zuhörenden im Erasmus-Büchercafé keinesfalls.
Einleitend zu der Buchvorstellung gab Germanistin Andreea Dumitru-Iacob, Deutschlehrerin am Bru-kenthalgymnasium Hermannstadt, einen Abriss sämtlich bekannter Fakten der vielseitigen Biographie des Gefängnispfarrers, Theologen und Schriftstellers Eginald Schlattner.
Im Anschluss an die nüchterne Präsentation durch Andreea Dumitru-Iacob nahm die Buchvorstellung ihren mit Spannung erwarteten Fortgang mittels der Darlegungen in der Rede des Autors Radu Carp, der im Frühjahr 2017 aus Zufallsgründen rein persönlicher Art in der von Dr. med. Petru Oprean geleiteten Reha-Klinik Schäßburg/Sighișoara mit Eginald Schlattner zusammentraf. Nach reifer Überlegung und dem traurigen Ableben seiner Frau Susanna Dorothea Schlattner, geborene Ohnweiler, hatte sich Eginald Schlattner zu jenem Gespräch, das Radu Carp gerne mit ihm führen wollte, durchgerungen und Fragestellungen biographischer Tiefe grünes Licht gegeben. Der Inhalt des Interview-Bandes gibt tatsächlich den Zugang in zahlreiche, bislang verschlossene Korridore der Gedankenwelt Eginald Schlattners frei. Hochlöblich die grundsätzliche Lebenseinstellung des pensionierten und evangelisch ordinierten Pfarrers der Evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien (EKR), der auf deutliche Trennung von Sprache und Konfession voneinander besteht. Die Siebenbürger Sachsen? Vom Aussterben bedroht, natürlich. In absehbarer Zeit wird es sich mit der deutschsprachigen Minderheit Siebenbürgens ausgelebt haben. Aber die Evangelische Kirche, die wird weiterleben, doch, Ja! Eine derartige Betrachtung zum kollektiven Horizont erweitern zu können, das wünscht Schlattner der EKR. Es sollte nicht mehr angehen dürfen, glauben zu wollen, dass man nicht nur seine eigene Seele, sondern auch die eigene Sprache und somit die Sprache vieler anderer mit ins Grab nehmen könne. Sollte die deutsche Sprache in ferner Zukunft rumänienweit nur noch als Fremdsprache gesprochen werden, verdiene es die EKR nicht, sich alleine deswegen selber aufzugeben. Beim Lesen des Büchleins stellt sich fast Seite um Seite der Eindruck ein, dass Eginald Schlattners Visionen im Bereich der Ökumene schwer übertroffen werden können. Obwohl er für orthodoxe Formen viel Verständnis aufbringt, spricht Schlattner im Interview deutlich die restriktiv nationalistische Zivilhaltung der geistlichen Führungsetage der Orthodoxen Kirche Rumäniens an.
Während der Buchvorstellung im Erasmus-Büchercafé kam auch jener fruchtbare Zusammenhang zur Sprache, dass der Interview-Band „Dumnezeu mă vrea aici“ von Autor Radu Carp vielen Lesern aus den Landesteilen außerhalb des Karpatenbogens helfen könnte, persönliches Zivilverständnis neu zu überdenken, wodurch ein vermeintliches Kulturdefizit zwischen Siebenbürgen und dem Banat auf der einen Seite, und Moldau, bzw. Oltenien auf der anderen Seite, zumindest teilweise aufgeholt werden könnte. Nicht zuletzt kann der neue Interview-Band junge Leser, die mit den Romanen Schlattners noch nicht vertraut sind, überzeugen, sich in die Lektüre des „Geköpften Hahnes“, der „Roten Handschuhe“ und des „Klaviers im Nebel“ zu vertiefen, da durch den neuen Band „Dumnezeu mă vrea aici“ ein entsprechender Leitfaden vorliegt, der Lesern allen Alters eine nicht zu unterschätzende Hilfestellung auf der Spurensuche im Labyrinth der Roman-Trilogie Eginald Schlattners leisten kann.