Deutsche Jahrbücher gab es in der Bukowina seit 1812, „treue Freunde“, vielseitige Ratgeber und gute Unterhalter der Leserschaft. Kalender wurden in den Familien oft über viele Jahre aufbewahrt, zählten häufig zu den wenigen Büchern im Haus, waren daher immer greifbar und wurden oft benutzt. Der erste Buchkalender wurde von dem aus dem siebenbürgischen Bistritz/Bistri]a stammenden verdienstvollen Druckereigründer Peter Eckhardt in Czernowitz/Cernăuţi herausgegeben.
Heute sind nicht alle Kalender der langlebigen Reihen erhalten, selbst viele aus neuerer Zeit sind nicht greifbar, wie beispielsweise der letzte deutsche (katholische) vor der Umsiedlung (gedruckt für das Jahr 1940) oder der vor genau 100 Jahren erschienene „Deutsche Kalender für die Bukowina“ (Bild).
Auf diese Ausgabe von vor einem Jahrhundert ist besonders hinzuweisen, weil damit eine neue deutsche Kalender-Reihe nach der Unterbrechung von 1914 bzw. 1916 durch den Ersten Weltkrieg begann. Er ist zugleich ein aufschlussreiches Zeitzeugnis der politischen und nationalen Neuorientierung der Buchenlanddeutschen im neuen Staat Großrumänien.
Erschienen ist dieser Buchkalender auf Initiative des 1897 gegründeten „Vereins der christlichen Deutschen in der Bukowina“, ab 1930 erscheint dann der Bukowiner „Deutsche Kulturverein“ als Herausgeber. In den ersten Jahren hatte Prof. Dr. Franz Lang die Redaktion inne. Im Unterschied zum später (1934) edierten katholischen deutschsprachigen Almanach war der „Deutsche Kalender“ über die gesamte Zeit des Erscheinens, bis 1938 einschließlich, ein weitgehend konservativ deutsch-nationaler.
Der Anfangsjahrgang erschien noch ohne Bildillustrationen bis auf zwei Fotos auf dem linken Deckelinnenblatt, die an das wichtige Bukowiner Vereinigungs-Ereignis vom 11. November 1919 in Czernowitz erinnerten. Dem üblichen Kalendarium-Teil mit den Monatsblättern, den Bauernregeln, der voraussehbaren Witterung, den Feier- und Namenstagen der christlichen Bewohner der Bukowiner folgt eine separate Seite mit dem „Kalender der Juden“. In diesem Abschnitt ist auf jedem Monatsblatt Raum für Notizen und Aufzeichnungen.
Ab Seite 20 werden für uns heute bzw. für die Forschung wichtige Vereinsdaten veröffentlicht: der Vorstand des Vereins der christlichen Deutschen, Obmann war 1920 Prof. Dr. Adolf Butz, aufgegliedert auf die Vorstandsmitglieder in Czernowitz sowie in 30 weiteren Orten der Bukowina, die Namen der Geschäftsführung sowie die Liste der Vertrauensmänner. Ähnlich folgen die Angaben zum Verband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften und der ihm angeschlossenen Spar- und Darlehenskassen-Vereine. Vorgestellt wird nachfolgend die Leitung des „Katholischen-deutschen Waisenhauses für die Bukowina“.
Für die neue Entwicklung des deutschen Vereins- und gesellschaftlichen Lebens der Bukowina-Deutschen im neuen Königreich sind wichtig: die abgedruckten Namen und Daten über den „Vorstand des deutschen Volksrates für die Bukowina“, dem höchsten gewählten Vertreter-Gremium dieser Gemeinschaft bis zur Gleichschaltung durch die Deutsche Volksgruppe in Rumänien. Obmann war Prof. Dr. Alois Lebouton (1918 Sprecher des Volksrates, 1919-1920 dessen Obmann) aus Czernowitz, später gewählter Abgeordneter im Bukarester Parlament (Kammer und Senat). Ohne besondere bzw. genannte Ämter gehörten dem Vorstand Vertreter aus 23 Ortschaften an, Czernowitz und Vorstädte wurden von 32 Personen vertreten, Radautz/Rădăuţi von vier. Frauen waren im Volksrat 1920 noch nicht vertreten.
Weiter aktiv war der 1906 gegründete deutsche Lehrerverein mit Sitz in Radautz. Einzige Frau in der Vereinsleitung war die Radautzer Oberlehrerin Adolfine Glaser. Vorgestellt werden weiter die Leitungen des deutschen Schüler- und des Lehrlingsheims in Czernowitz, des „Evangelisch-deutschen Waisenhauses“ sowie des deutschen Sport- und Turnvereins „Jahn“.
Der Leseteil beginnt mit einem Aufruf an die „Deutschen“, Mitglieder im Verein der christlichen Deutschen zu werden als dem „völkischen Mutterverein“ im Buchenland, dem Kulturförderer der Gemeinschaft und Kämpfer für den Erhalt der deutschen Sprache. Geworben wird ebenso um Spenden für die Schüler- und Waisenhäuser.
Der König sprach deutsch
Als wichtiger, richtungsweisender politischer Leitartikel neuer Art kann der erste Beitrag bezeichnet werden: „Das Königspaar in der Bukowina.“ (Seiten 25 und 26). Er ist nicht gezeichnet und behandelt knapp die wichtigsten Stationen des ersten Besuches des Regenten-paares ab 16. Mai 1920 im „neuerworbenen“ Land der Buchen, das nun zum Königreich Großrumänien gehörte: Fürstenstadt Suczawa/Suceava, Kloster Putna, mit Festtafel im Klosterhof, zu der auch Vertreter der „Minderheitenvölker“ eingeladen waren, Kloster Suczewitza/Sucevi]a, Stadt Radautz sowie tags darauf Czernowitz mit Gottesdienst in der orthodoxen Kathedrale, Truppenschau, Besuch der Universität, des Erzbischofs in der Residenz, wo das Paar übernachtete. Zu den besuchten „bedeutenden“ Institutionen der Stadt zählte auch das „Deutsche Haus“ in der Herrengasse.
Für die Vertreter der Deutschen wurde dieses Ereignis zu einem wichtigen Politikum, zu einer Loyalitätserklärung zum neuen Staat und zum Herrscherhaus. Beim Empfang standen Schüler Spalier, im festlich geschmückten Prachtsaal des Hauses hatten der Frauen- und der Männergesangsverein mitgewirkt und die akademischen Burschenschaften Aufstellung genommen. Die kurze, aber politische Begrüßungsrede hielt der Parlamentsabgeordnete Dr. Alfred Kohlruß. Er machte darin nicht nur eine Treu-Erklärung, sondern bezog sich auf die Deutschen in allen Provinzen des Landes und ihre Rolle als „gewichtiger Faktor“ zur „Festigung und Hebung des neuen Vaterlandes“. Damit machte er den Übergang auf die erklärte Hoffnung, dass diesen „jene Rechte und Freiheiten belassen und gewährt“ werden, die für den Erhalt und die Entwicklung des „Volkstumes“ unentbehrlich sind. „Alles, was wir als Deutsche schaffen, gehört dem Vaterlande, dessen treue Bürger wir sind.“
„Frei in deutscher Sprache erwiderte der Monarch: ’Die Deutschen können überzeugt sein, daß sie vor dem Gesetze die gleichen Rechte wie jeder Bürger des Staates genießen werden. Ich bin überzeugt, daß die Deutschen mit ihrem bewährten Fleiße und ihrer sprichwörtlichen Treue dem neuen Staate und mir eine treue Stütze und verläßliche Mitarbeiter zum Wohle des neuen Vaterlandes sein werden. Ihre ethischen Eigenschaften und ihre hohe Kultur werden sie frei pflegen können. Wie sie dem alten Staate treu gedient haben, so werden sie auch treue Bürger des neuen Staates sein. Als solche können sie meines Schutzes sicher sein.’“
Der Kommentar des Redakteurs sei hier auch wiedergegeben, weil dieser Kalender eine Rarität ist und die Texte nicht ausgewertet sind: „Königsworte sollen heilig sein. Mit den reinsten Gefühlen vertraut ihnen die deutsche Bevölkerung. Möge die Verwirklichung dieser Grundsätze und Verheißungen reichen Segen über das deutsche Volk in Großrumänien bringen!“
Vom Abgeordneten der Bukarester Parlamentskammer Kohlruß stammt der folgende Beitrag mit dem Titel „Die nationalen Minderheiten in Großrumänien“. Der Leserschaft werden neuen Themen dargelegt, die von den Herausgebern unter den neuen Gegebenheiten nötig befunden wurden. Der Jurist erklärt, wie es nach der Friedenskonferenz mit der Bevölkerung in den neuen Nationalstaaten steht, in allen gibt es starke ethnische Minderheiten, auch nach den Grenzziehungen infolge des „furchtbarsten aller Kriege, den die Geschichte den Weltkrieg nennt“. Interessant und zutreffend sind die Einschätzungen zu den Minderheitenschutz-Rechten aus den Friedensverträgen und zur Rolle der Völker-Liga.
Die Deutschen in Rumänien betreffend verweist der Autor zusätzlich auf die Zusagen in den Beschlüssen der „großen Nationalversammlung von Karlsburg (Alba Iulia)“. Kohlruß nennt zahlreiche rumänische Spitzenpolitiker der Zeit, die sogar über die Zusagen der Friedensverträge hinausgehen wollen. Trotzdem äußert er Bedenken: alle Versprechungen bilden keine Gewähr „für alle Zukunft“, wenn sie nicht in „gesetzlicher Form eine bindende und bleibende Kraft haben“ und in die neue Landesverfassung aufgenommen werden. Damit sollte er Recht behalten.
Obmann Prof. Dr. Butz schrieb für das Jahrbuch einen größeren „Abriß der rumänischen Geschichte“, die den Lesern weniger bekannt war. Prof. Dr. Alois Lebouton, der zweite buchenlanddeutsche Parlamentsabgeordnete, verfasste einen Bericht zum deutschen Vereinsleben in der Region und ging dabei vom guten Stand vor Kriegsausbruch aus. Lebouton leitete in den letzten Jahren des „blutigen Völkerkrieges“ den vom Bukowiner Regierungsrat Anton Keschmann in Wien gegründeten Bukowiner Fürsorge-Hilfsverein, sonstige Vereinstätigkeiten waren nicht möglich. Im Frühjahr 1918 gründeten die drei erfahrenen Politiker und Bukowiner Abgeordneten Keschmann, Kohlruß und Lebouton den „Deutschen Volksrat für die Bukowina“ nach dem „bewährten Muster der in allen damaligen Kronländern bestehenden Volksräte“. Er sollte eine politische Funktion als höchste „Stelle im Lande“ für alle deutschen Körperschaften haben. Schon im Oktober und November des Gründungsjahres brachte er die politische Vertretung der Gemeinschaft in der Bukowina entscheidend ein und wurde „allseits anerkannt“. Seine legitime Repräsentanz erhielt er jedoch erst 1919 durch allgemeine Wahlen. Diese Vorstandschaft trat dann dem neuen „Verband der Deutschen in Großrumänien“ mit dem Hauptsitz in Hermannstadt bei. Dieser „große Bund“ war auf Anregung des Bukowiner Volksrates zu Pfingsten 1919 gegründet worden. Der erste und anfangs einzige Buchenländer Kammer-Abgeordnete Kohlruß wurde vom Verband zum Vizepräsidenten der Deutschen Volkspartei in Großrumänien gewählt.
Von den lokalen Erfolgen sind erwähnt: das evangelische und das deutsch-katholischen Waisenhaus, die Gründung des deutschen „Czernowitzer Frauensingvereins“ (1920) und die Reihe volkstümlicher Vortragskurse. Die einzige Zeitung, die allgemein die deutschen Interessen vertrat, war damals die Wochenschrift „Deutsche Volkszeitung“, mit dem Untertitel „Organ des Deutschen Volksrates für die Bukowina“ (Czernowitz 1918-1923, bis zum Erscheinen eines eigenen „Tagblattes“ 1924).
In dieser Umbruchszeit standen die Schule und die Pflege der Muttersprache im Mittelpunkt der Vereinsbestrebungen. Prof. Dr. Franz Lang schrieb zu dem Thema den Beitrag für den Kalender. Dabei stellt er als Lehrer den allgemein guten Stand des Schul- und Bildungswesens im ehemaligen Kronland kurz dar, weist auf den nun „schweren Kampf um die Erhaltung der unentbehrlichsten deutschen Schulen“ hin („Bukarest will nicht.“) und argumentiert gegen eine „unterschiedlose Völkervermengung“, die dann im kommunistischen Rumänien als Staatsstrategie virulent wurde.
Der „literarische“ Lektüre-Teil ist in dieser Ausgabe knapp gehalten – es herrschte noch Papiermangel. Er umfasste kurze Erzählungen und Gedichte, eines von dem Siebenbürger Friedrich Albrich („Meine Kirche“) und eines in Bukowina-Zipser Mundart („Heabest“/Herbst) von Lehrer Josef Hargesheimer. „Ratgeber“-Beiträge für verschiedene Bereiche durften in einem guten Kalender nicht fehlen.