„Realitatea“ (Realität), heißt der Bildband, welchen die deutsche Fotokünstlerin Andrea Diefenbach mit Aufnahmen aus der Republik Moldau erstellt hat. 80 Abbildungen beinhaltet er, wovon um die 20 Ausdrucke ab vergangenem Dienstag, den 14. März, im Pavillon 32 des Goethe-Instituts ausgestellt werden. Bis Freitag, den 7. April, kann man die Ausstellung an Donnerstagen und Freitagen von 16 bis 20 Uhr und Samstags von 11 bis 17 Uhr bestaunen. Dabei ist der Name Programm: die Realität und das normale Leben der Moldauer stehen im Vordergrund.
Doch kann eine Fotografin tatsächlich die Realität darstellen? „Nein, deswegen mag ich den Namen auch so. Er ist doppeldeutig: es zeigt die Realität der Menschen, aber insgesamt auch meine Realität.“ Also die Perspektive der deutschen Künstlerin über die moldauische Wirklichkeit.
Diefenbach beschäftigt sich schon länger mit Ost-europa. Begonnen hat alles mit einer Fotoreihe 2006 über HIV in Odessa, namens „AIDS in Odessa“. Ein paar Jahre später, 2008, begann sie an einem Fotoband namens „Land ohne Eltern“ zu arbeiten, welcher 2012 erschien. Dabei geht es um Arbeitsmigranten aus der Moldau, welche größtenteils in Italien, zum Teil illegal, arbeiteten. Dokumentarisch begleitete sie sowohl die zurückgelassenen Kinder als auch die Eltern, welche für ein bessere Zukunft ihrer Sprösslinge kämpften.
Von da an hieß es in ihrem Berufsleben: einmal Osteuropa, immer Osteuropa. Weil sie bereits dort gearbeitete hatte, wurde sie von deutschen Magazinen immer wieder in die Region geschickt, so lange, bis sie selbst freiwillig ein, oder zwei Mal im Jahr in die ehemalige Sowjetrepublik reiste. „Mich ließ das Land einfach nicht los“, sagte die Künstlerin. Mit ihrem Sohn und einem Übersetzer packte sie Jahr für Jahr ihr Auto und trat die lange Reise von Deutschland gen Osten an.
2013 begann sie mit dem Projekt „Realitatea“, welches zunächst den simplen Arbeitstitel „Moldau“ hatte. Denn anders als bei „Land ohne Eltern“, oder „AIDS in Odessa“ ging es ihr nicht um ein direktes dokumentarisches Bild eines Themas, sondern einfach um die Realität auf dem Land außerhalb der Hauptstadt Chi{in˛u, welche sie mit ihren eigenen Augen sieht. „Wenn ich das richtige Gefühl hatte, hab ich ein Foto geschossen“, erklärt die erfahrene Fotografin, welche mittlerweile Dozentin an der Hochschule der Künste in Bremen ist. Dies kann komplett unterschiedlich aussehen: manchmal ist es ein Tisch, wo bereits das Brot bereitliegt, die Suppe aber noch gekocht wird, ein Waldbrand, der gerade beginnt, oder eine Familie, die vor ihrem Wohnblock steht. Im Vordergrund stehen oft starke Farben. Zum Beispiel sieht man zwei Eltern in einem farblosen grün-braunen Raum auf ihre Kinder warten, mit rot, blau und gelben Ballons in der Hand. Auf einem anderen Bild steht ein kleines Holzgestell auf der Straße, an dem knallrote Kirschen hängen.
Dabei sind die Bilder ihrer Aussage nach nie arrangiert, jedoch fragt sie die abgebildeten Personen immer um Erlaubnis. „Ich frage dann, ob es in Ordnung ist und ob sie einfach schnell das weitermachen können, was sie gerade tun.“ Ist die Erlaubnis erteilt, schießt sie so schnell sie kann ein gutes Bild, bevor der Moment verfliegt.
Manche Situationen passieren auch „On the road“, also direkt auf der Straße, wie sie erklärt. In den sieben Jahren, in welchen sie die kleine Nation bereist hat, hat sie versucht, möglichst einmal alle Straßen abzufahren. „Trotzdem habe ich mich immer etwas an die beiden Flussbetten gehalten“. Mit ihrem geschulten Blick beobachtete sie dann stets die Umgebung und falls sie etwas sieht, stellte sie sich die Frage: „Soll ich jetzt zurückfahren? Lohnt sich das - und ist der Moment dann nicht schon vorbei?“
So entstanden viele Schnappschüsse: eine Frau, welche mit einer Leiter an ihrem Bungalow arbeitet, oder ein Spielplatz am Fluss, welcher alt und verlassen aussieht. „Es ist auch sowas wie ein Zeitkapsel, weil all das Alte irgendwann verschwinden wird“, erklärte der Direktor des Goethe-Instituts Dr. Joachim Umlauf bei der Eröffnung der Ausstellung am Dienstagabend.
Doch neben all diesen oft privaten und alltäglichen Momenten spielt auch die Politik in „Realitatea“ eine Rolle. Während die Bilder meist ruhig wirken, als wären sie und die ganze Welt im Stillstand, finden sich auf der Ausstellung und im Buch auch immer wieder Zeitungsartikel. Betrugsskandale, Milliardenraub, eine neue Regierungskrise - das sind die Schlagzeilen, die bis zur Wahl der Präsidentin Maia Sandu führen. Diese sieht die Künstlerin als massiven Fortschritt für das Land, womit sie sich auch klar politisch positionieren möchte. Deshalb endet damit auch das Buch, „auch wenn wir natürlich alle wissen, was dann noch im letzten Jahr passiert ist“, schiebt Diefenbach nach und spielt auf den Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine sowie die komplizierte politische Situation in der Republik Moldau an.
Doch neben diesem poltischen Aspekt geht es auch um ihre Realität. Deswegen sind nicht nur die Zeitungsartikel abgebildet, sondern auf jedem dieser Artikel sind verschiedene Blumenarten zu sehen. „Mein Sohn hat immer Blumen auf unseren Trips gesammelt und dann haben wir sie zum Aufheben zwischen die Zeitungsartikel gelegt.“ Genau dies möchte sie damit reproduzieren.
2020, also sieben Jahre später, erklärte sie ihr Buch für beendet. Unter der ISBN 978-3-96070-085-2 findet man es mittlerweile im Handel oder auf ihrer Website: andreadiefenbach.com für 45 Euro (grob 225 Lei). Umlauf und Diefenbach möchten in den kommenden Wochen die Ausstellung aus Bukarest auch nach Chi{in˛u ins dortige Goethe-Institut bringen.