Ingeborg Bachmann und Paul Celan, zwei bedeutende Persönlichkeiten des deutschsprachigen Literaturschaffens, begegnen einander symbolisch in zwei dokumentarischen Ausstellungen, die ihren literarischen Werdegang und ihren Lebensweg sowie ihre emotionale Begegnung anhand eines bewegenden Briefwechsels und literarischer Seiten von unvergleichlicher Kraft und Sensibilität darstellen.
Die Ausstellung „Schreiben gegen den Krieg – Ingeborg Bachmann 1926-1973“ wird erstmals im Nationalen Museum für Rumänische Literatur in Bukarest (Calea Grivi]ei 64) gezeigt. Diese wurde dank der Kooperation zwischen dem Literaturmuseum und dem Österreichischen Kulturforum in Bukarest, der sein 25. Bestehen feiert, mit Unterstützung des österreichischen Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten ins Leben gerufen und aus diesem Anlass bringen die beiden Institutionen auch eine ihrer erfolgreichsten Kooperationen, die Ausstellung „Paul Celan – unter den Wörtern“, an den selben Ort zurück, die den Kontext ihrer jeweiligen Schriften und ihre seelische Verbindung beleuchtet. Beide sind nur noch bis zum 6. Juli zu sehen.
Schreiben gegen den Krieg
Die Ausstellung „Schreiben gegen den Krieg – Ingeborg Bachmann 1926-1973“ wird von Helga Pöcheim kuratiert und basiert auf einem wissenschaftlichen Konzept von Hans Höller, mit Grafiken von Erika Thümmel. Die Übersetzung der rumänischen Version stammt von Monica-Maria Aldea. Die Ausstellung wird mit Unterstützung des Humanitas Fiction Verlags und der Übersetzerinnen Ana Mure{an und Ramona Trufin präsentiert.
Ingeborg Bachmann wurde 1926 in Klagenfurt, der Hauptstadt des österreichischen Bundeslandes Kärnten, in einer Lehrerfamilie geboren. Ihr erbitterter Widerstand gegen die rechtsextremen politischen Überzeugungen ihres Vaters ist eine Konstante in ihrem Werk.
Nach dem Studium der Philosophie, Psychologie, Germanistik und Rechtswissenschaften in Innsbruck, Graz und Wien promoviert sie mit einer Arbeit über die kritische Rezeption Heideggers. 1948 lernte sie den rumänienstämmigen Dichter Paul Celan kennen, mit dem sie eine Liebes- und Freundschaftsbeziehung entwickelte, die ihr Leben und Werk entscheidend prägen sollte. Mit ihm führte sie einen dynamischen Briefverkehr über viele Jahre hinaus.
Sie lebte zwischen Österreich, Deutschland und Italien und wechselte allmählich von der Lyrik zur Prosa. Eine weitere Begegnung, die ihr literarisches Schaffen stark prägen sollte, war die mit dem bekannten Romancier und Dramatiker Max Frisch (1911-1991). Sie starb Oktober 1973 bei einem tragischen Unfall, einem Brand in ihrer Wohnung in Rom.
Ingeborg Bachmann erhielt den Bremer Literaturpreis (1957), den Georg-Büchner-Preis für Literatur (1964) und den Großen Österreichischen Staatspreis (1968). Seit 1977 wird zu ihrem Gedenken in ihrer Heimatstadt Klagenfurt der „Ingeborg-Bachmann-Literaturpreis“ verliehen.
Die österreichische Schriftstellerin und Dichterin setzt sich in ihrem Werk mit der Rolle der Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft, den Folgen von Krieg und Frieden und dem individuellen menschlichen Leid aus-einander. „Ich will, dass der Krieg ein Ende nimmt“– dieser Satz aus Ingeborg Bachmanns Roman „Malina“ könnte als Motto über ihrem gesamten Werk stehen. Ihre Gedichte, Hörspiele, Erzählungen, Romane und ihre literaturtheoretischen Studien stellen ein großes, in viele Gattungen und Formen gegliedertes „Schreiben gegen den Krieg“ dar, so wie die Sammlung wichtiger Texte von Bachmann – mit tiefen Bezügen und zeitgenössischen Bedeutungen – heißt, welche Namensgeber der Ausstellung ist. Auf Plakaten steht ihr Werk im Vordergrund, die ‚Politik’ der Texte genauso wie das direkte politische Engagement. Im Hintergrund, mit Großaufnahmen visualisiert, liegt der geschichtliche Horizont der Kriegsschauplätze, gegen die sich das Werk zu behaupten hat.
Bachmann hat es gewagt, sich selbst den zerstörerischen Kriegserfahrungen auszusetzen, damit sie diese als Zeugin erlebt. Dem ständigen Kriegszustand, so wie sie den geopolitischen Kontext ihrer Zeit empfand, hat sie die mühsame Anpassung der Sprache gegenübergestellt, um die Friedensversicherung lebendig zu halten. Bis zu ihrer letzten Erzählung „Drei Wege zum See“ bleiben der Krieg und der Frieden für die Schriftstellerin Fragen von Sprache und Bildern.
Die Ausstellung bereitet auch einige Überraschungen: erstmals publizierte Texte wie ihr Kriegstagebuch aus dem Jahr 1945, bisher unveröffentlichte Fotos und originale Tonaufnahmen von Ingeborg Bachmann aus dem Privatnachlass. Dabei kann auch ihr letztes Film-Porträt aus „Ingeborg Bachmann in Rom“ von Gerda Haller, aufgenommen im Juni 1973, betrachtet werden.
Unter den Wörtern
Die in zehn Sprachen übersetzte Ausstellung „Paul Celan – unter den Wörtern“ ist eine der erfolgreichsten literarischen Wanderausstellungen in Europa. Sie wurde vom Österreichi-schen Kulturforum initiiert und in Zusammenarbeit mit dem Museum für Rumänische Literatur und der Universität Bukarest unter Koordination von Ioan Cristescu realisiert. Die Texte unterzeichnet Prof. Dr. Hora]iu Gabriel Decuble und für die Grafik verantwortet Petru [o{a. Die Ausstellung vereint Dokumente aus den Archiven des Literaturmuseums (Sammlung des Schriftstellers Alfred Margul-Sperber) und aus dem persönlichen Archiv des Schriftstellers und Übersetzers Petre Solomon, welches von dessen Sohn, dem Filmemacher Alexandru Solomon, zur Verfügung gestellt wurde, und versucht, das kurze Leben des Dichters, Übersetzers und Essayisten Paul Celan zu erfassen, indem sie die wichtigsten Momente seines Lebens in den historischen Kontext stellt.
Paul Antschel, bekannt unter dem Schriftsteller- namen Paul Celan, wurde 1920 in einer deutschsprachigen kleinbürgerlichen jüdischen Familie in Czernowitz, in der Bukowina, geboren. Er begann sein Medizinstudium in Tours, Frankreich, und musste es wegen des Kriegsausbruchs 1939 unterbrechen. 1941 wurde er in Zwangsarbeitslagern bei Buz²u eingesetzt. Die Nachricht des Todes seiner noch vor ihm in Lagern in Transnistrien und der Ukraine deportierten Eltern löste in ihm als Überlebender Schuldgefühle aus, die im Laufe der Zeit noch akuter wurden und sein Werk prägen sollten. 1945 suchte Celan Zuflucht in Bukarest, wo er bis Dezember 1947 lebte, als er nach Wien floh. Hier hatte er eine kurze Idylle mit der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann, die sich allmählich von einer unmöglichen Liebe in eine feste Freundschaft verwandelte. Sieben Monate später ließ er sich endgültig in Paris nieder, wo er 1952 die bildende Künstlerin Gisèle de Lestrage heiratete. Er studierte an der Sorbonne und wurde 1959 Dozent für Deutsch an der École Normale Supérieure.
Als deutschsprachiger Dichter veröffentlichte Celan eine Reihe von Gedichtbänden, die ihn zu einem der bedeutendsten Dichter des 20. Jahrhunderts machten. Seine Lyrik reicht von Natur- und Liebesgedichten in seiner Jugend, über symbolistische Gedichte im Erwachsenenalter bis hin zu hermetischen Gedichten in seinem späteren Schaffen. In den letzteren Phasen befasst er sich zwanghaft mit dem Thema des Todes. Ein wiederkehrendes Motiv in Celans Lyrik ist die Figur der Mutter. Außerdem übersetzte er Werke von Paul Valéry, Henri Michaux, René Char, Osip Mandelstam, Emil Cioran u.a.
Paul Celan wurde 1958 mit dem Literaturpreis der Stadt Bremen und 1960 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Krank, ging er 1970 in den Freitod.
Die Geträumten
Die Doppelausstellung wurde von der Sondervorführung des Films „Die Geträumten“ (2016) von Ruth Beckermann im Elvire-Popesco-Kino abgerundet. Der Film kreist zwischen einem Dokumentarfilm und einer Performance.
Die Protagonisten – wenn auch körperlich abwesend – sind die Dichter Ingeborg Ingeborg Bachmann und Paul Celan, die sich 1948 im Wien der Nachkriegszeit mit 22 beziehungsweise 27 Jahren kennengelernt haben. Ihre kurzlebige dramatische, ekstatische und zugleich furchtbar traurige Liebesbeziehung entwickelt sich zur Freundschaft. Der lebhafte Briefverkehr zwischen den beiden, der auch nach ihrer Trennung bis Celans Tod weitergeführt wird, ist der Ausgangspunkt des Films. Für Ingeborg ist Paul die Liebe ihres Lebens. In einem Moment der Ungewissheit über ihre gemeinsame Zukunft fragt sich Bachmann: „Sind wir nur die Träumer?, nur eine Illusion?“
Zwei junge Schauspieler, Anja Plaschg und Laurence Rupp, treffen sich in einem Studio, um die Briefe von Ingeborg und Paul zu dramatisieren und aufzunehmen. Sie werden schnell von dem Aufruhr der Gefühle in diesem Spiel von Nähe und Distanz, von Faszination und Angst erfasst. Auch außerhalb des Studios genießt jeder die Gesellschaft des anderen. Der Film öffnet jene Räume, in denen klare Linien, Grenzen, Gewissheiten verblassen, bis sie verschwinden.