Im Theodor-Pallady-Saal der Rumänischen Akademiebibliothek (Eingang vom Bukarester Bulevardul Dacia her im ersten Gebäude rechts) sind noch bis zum 28. Mai dieses Jahres über hundert ausgewählte Stiche und Radierungen aus dem 16. und 17. Jahrhundert zu bewundern, die aus eigenen Beständen der Rumänischen Akademie sowie aus den Sammlungen des Nationalen Kunstmuseums stammen und eine Künstlerpersönlichkeit zwischen Manierismus und Barock in den Mittelpunkt stellen: Jacques Callot, der 1592 in Nancy geboren wurde und dort auch 1635 starb.
Schon zu Lebzeiten wurde Jacques Callot für seine ausgefeilte Technik, seine meisterliche Beherrschung von Perspektive und Lichtführung sowie für seine praktischen Erfindungen und künstlerischen Innovationen im Bereich der Radierung bewundert. Callots Zeitgenosse Rembrandt sammelte seine Werke, und auch Künstler späterer Generationen, wie etwa Francisco de Goya, betrachteten ihn als Vorbild. Sogar in der deutschen Literaturgeschichte ist Callots Kunst von Bedeutung. Der romantische Schriftsteller E.T.A. Hoffmann, der auch als Komponist und Zeichner hervortrat, gab einem seiner Werke den Titel „Fantasiestücke in Callots Manier“, und Hoffmanns Erzählung „Prinzessin Brambilla“ trägt den Untertitel „Ein Capriccio nach Jakob Callot“ und basiert auf acht Kupferstichen aus Callots Bilderfolge „Balli di Sfessania“.
Jacques Callot, der nur 43 Jahre alt wurde, hatte schon in frühester Kindheit von einem Künstlerdasein in Rom geträumt. Bereits als Zwölfjähriger soll er von zu Hause ausgerissen sein und es bis nach Florenz geschafft haben. Sicher ist, dass er als Vierzehnjähriger eine Lehre als Goldschmied in seiner Heimatstadt Nancy begann, dann aber doch bald nach Rom reiste, um sich dort als Kupferstecher ausbilden zu lassen. Gleichwohl wurde Florenz der Mittelpunkt seines Künstlerdaseins in Italien, wo er sich ab 1612 aufhielt und bald schon in den Diensten von Cosimo II. de’ Medici eine künstlerisch fruchtbare Tätigkeit entfaltete, die bis zum Tode seines Förderers und Gönners im Jahr 1621 dauern sollte. Der zweite Mittelpunkt seines Künstlerlebens wurde dann seine Heimatstadt Nancy, in die er 1621 zurückkehrte. Dort konnte er sich, unterstützt von verschiedenen lothringischen Herzögen, am Hof etablieren und bis zu seinem Tode sein bisher geschaffenes Oeuvre bereichern und vollenden.
Die Bukarester Ausstellung im Theodor-Pallady-Saal der Rumänischen Akademiebibliothek rückt zwar das Schaffen Jacques Callots ins Zentrum, stellt aber zugleich sowohl seinen Vorgängern als auch vor allem seinen Nachfolgern und Nacheiferern in der Kunst des Kupferstichs bzw. der Radierung viel Ausstellungsraum zur Verfügung. So kann man dort etwa fünf Kupferstiche von Hans Burgkmair d.Ä. genießen, die jeweils drei Fahnen tragende Reiter zeigen, welche diverse Grafschaften und Herzogtümer symbolisieren. Auf einem der Kupferstiche sind das die Grafschaften Toggenburg und Andechs sowie das Herzogtum Friaul. Und von Lucas Cranach d.Ä. kann man ein Blatt aus dem Jahr 1509 bewundern, das ein Lanzenturnier wiedergibt. Leider fehlt Dürer vollständig, doch sind stattdessen weitere Vorläufer Callots in der Kunst der Radierung zu betrachten, seien es nun flämische, holländische, italienische oder französische Meister der Zeichnung und des Kupferstichs.
Einen breiten Raum nehmen dann selbstverständlich die Exponate aus dem Oeuvre Callots ein, wobei seine Radierungen aus nicht ganz erfindlichen Gründen über den ganzen Ausstellungssaal verteilt sind. Man sieht an den vier Wänden Drucke aus seinem Zyklus „Capricci“, ferner die berühmte Radierung „Der Galgenbaum“ aus der Serie „Die großen Schrecken des Krieges“ und aus derselben Serie den „Überfall auf eine Postkutsche“ und die „Entdeckung der Übeltäter“, des Weiteren 20 Drucke aus der Folge „Varie figure gobbi“ (Verschiedene bucklige Gestalten), 24 Blätter aus den „Balli di Sfessania“, welche Volkstänze zeigen, die von Commedia-dell’arte-Darstellern ausgeführt werden und die von der Kraft des Eros wie des Humors handeln.
Daneben gibt es Einzelblätter zu religiösen Themen wie etwa zu Israels Zug durchs Schilfmeer mit dem seinen Stab schwingenden Mose und den sich links und rechts türmenden Wellenbergen oder zum Martyrium des heiligen Stephanus oder zur Versuchung des heiligen Antonius, wobei letzteres Blatt eine Kopie nach Callot aus der Hand von Pierre Picault ist. Von Callot stammen dann noch diverse Belagerungsszenen, der Baum des heiligen Franziskus, weitere Heiligendarstellungen, eine Kreuzigungsszene, ein imaginärer Sklavenmarkt vor der Kulisse von Paris, Landschaftsdarstellungen, Drucke aus dem Zyklus „Leben des Ferdinando I. de’ Medici“ (Seeschlacht, Truppenzug über einen Berg), eine Theaterszene aus dem Drama „Il Solimano“ von Prospero Bonarelli della Rovere und nicht zuletzt ein Bild vom Katafalk des Kaisers Matthias, der in der Anfangszeit des Dreißigjährigen Krieges gestorben war.
Zwei Exponate der Ausstellung beziehen sich ganz konkret auf die Persönlichkeit des Künstlers Jacques Callot: die Radierung „Epitaph für Jacques Callot“ des französischen Kupferstechers Abraham Bosse aus Callots Todesjahr sowie ein Porträt Callots von Jacques Lubin, das nach dem Stich von Callots Zeitgenossen Anthonis van Dyck angefertigt wurde.
Zu den größten Nacheiferern Callots gehörte der toskanische Kupferstecher Stefano della Bella (1610-1664), der selbst ein umfangreiches Werk von über tausend Zeichnungen und Radierungen hinterlassen hat. In der Bukarester Ausstellung sind Reiterbilder und Kampfszenen von ihm zu bewundern, zahlreiche Porträts (Polen, Ungarn sowie im persischen Stil frisierte Männerköpfe), ein Bilderrätsel, eine Ansicht von seiner Heimatstadt Florenz, eine Pariser Ansicht von Pont-Neuf, Blätter aus den Serien „Ansichten vom Park Pratolino“ und „Ansichten vom Hafen Livorno“, Landschaften, Kriegsbilder (Kanonen, Schützengräben, Lager, Waffentransporte) sowie zwei Radierungen aus dem Zyklus „Le nozze degli dei“ (Die Hochzeit der Götter) mit einer Höllendarstellung und einer Komposition, die den Titel „Wald der Diana“ trägt. Besondere Beachtung verdienen die handkolorierten Radierungen seines Kartenspiels mit Ländermotiven, wo man unter anderen mit Deutschland oder Brasilien, Arabien oder Sumatra auftrumpfen kann. Auch Stefano della Bellas Werke sind über den gesamten Ausstellungssaal verteilt, sodass man immer wieder auf Radierungen von ihm stößt.
Darüber hinaus ist noch vieles Schöne in der Bukares-ter Ausstellung zu entdecken, zu der neben den Bildern an den Wänden auch noch drei Vitrinen mit diversen Exponaten (darunter Bücher, Federn und Stichel) zählen sowie einige Radierungen, die an Stellwänden hängen, welche zwei tragende Säulen mitten im Ausstellungssaal einfassen. Dort entdeckt man eine großartige kleine Radierung von Rembrandt mit dem Titel „Bettler mit Holzbein“, ferner ein Porträt des toskanischen Großherzogs Cosimo I. de’ Medici von Niccolò della Casa sowie diverse Radierungen von Jean Le Pautre, darunter eine Darstellung der Krönungs- und Salbungszeremonie von Ludwig XIV. in der Kathedrale von Reims, von jenem berühmten „Sonnenkönig“, der auch von François Chaveau mit einer Radierung verherrlicht wird, die ebenfalls in der Bukarester Ausstellung zu sehen ist.
Israel Silvestre (diverse Militärparaden), Sébastien Le Clerc („Apotheose der Isis“), Pierre Brébiette (3 Friese mit Pan, Bacchus und Tritonen), Jacques Bellange (Kreuztragung), Antonio Tempesta („Alexander der Große bei der Belagerung der indischen Stadt Nysa“) und Francesco Villamena („Allegorie der Archäologie“) sind die Namen weiterer und längst nicht aller Maler und Kupferstecher, die mit ihren hier nur zum Teil genannten Werken in der Bukarester Ausstellung vertreten sind. Ob man von „Jacques Callot und seinem Kreis“ sprechen kann, wie die Kuratorin Cătălina Macovei dies durch die genannte Titelformulierung nahelegt, bleibt dahingestellt. Jedenfalls wird man beim Besuch dieser Ausstellung mit freiem Eintritt viel Schönes und Bedeutendes sehen und genießen können.