Groß ist sie, die Donaumonarchie, das Habsburger Reich. In Wien an der Blauen Donau hat das Oberhaupt seinen Thron. 1918 wird dieser Thron umgestürzt, und die Monarchie schrumpft erbärmlich. Die Landschaften werden aufgeteilt und unterschiedliche Sprachen rücken nachbarlich zusammen. Die deutsche Sprache wird rarer, die polnische und andere Landessprachen werden zum Teil neu gelernt, Jiddisch wird weiter parliert und zieht von dort mit hinaus in die weite Welt.
Galizien ist eine schöne Region hinter den Ostkarpaten und gehört bis 1918 zu dem genannten Thron. Ein ungeheures Gemisch von Kulturen und Religionen lebte in der Region Ost-europas, die die Einwanderer vor unendlich langer Zeit mitbrachten. Städte und Stetl unweit von Lemberg bewohnten sehr viele Menschen mit mosaischem Glauben in ungeheurer Armut. Einige Begabte werden bekannt und kommen zu dichterischem Weltruhm. Be-reits vor 150 Jahren wollen jüdische und auch andere Bewohner dieser Gegend die Armut hinter sich lassen und fahren per Schiff nach Übersee oder ziehen in den Westen Europas.
Auch diese Juden am östlichen Rand des Habsburger Reichs werden in der Nazizeit nicht verschont. Auch sie werden verfolgt und erniedrigt, drangsaliert und ermordet.
Doch wir gehen zurück, zurück ins Jahr 1914 in die Wiener Leopoldstadt bis zur Rembrandtstraße 35, wo Schumacher Fischler und seine Familie dringend einen neuen Zimmerherrn suchen. Ein Student aus Galizien taucht auf und wird bei Fischlers in das preiswerte Kabinett ziehen. Die Lebensverhältnisse in der Leopoldstadt sind einfach, im Stiegenhaus ist der Wasserhahn. Die meisten Ostjuden, die nach Wien kommen, werden in der Leopoldstadt ein Quartier suchen, nahe vom Nordbahnhof, wo sie ankommen, fast einem Ghetto gleich. „Armut und Dreck bringen sie in die Stadt und sie riechen nach Zwiebeln“, wird hinter vorgehaltener Hand in Wien getuschelt. Einer mit Hut und Monokel wird es sein, der unbekannte Roth aus Brody bei Lemberg, kein Rothschild.
Der ideenreiche Fabulierer Koneffke zieht Jahrzehnte später in das Haus Nr. 35 in die Rembrandtstraße in den 2. Bezirk in die Nähe vom Augarten. Fiktional erfindet er, was ihm in seinem dichterischen Kopf so einfällt und seine Feder tatsächlich aufs Papier schafft. Jan Koneffke begegnet dem Ankömmling gedanklich im Stiegenhaus, trifft ihn im Prater mit Fanny, der Tochter des Schumachers Fischler und inte-ressiert sich für die Lebensgewohnheiten des aus Galizien stammenden jungen Mannes, der später ein weltberühmter Schriftsteller wird. Eher konservativ wird er beschrieben, gibt Handkuss und macht Verbeugung. Ein wenig altmodisch gar fällt er in der Metropole Wien auf. Vom östlichsten Rand des Habsburger Reichs in die umtriebige weltberühmte Donaustadt Wien wirkt er sogar ein wenig aus der Zeit gefallen. Anfangs wird dem jungen Mann mit Hut und Monokel ein wenig schwindelig in der großen Stadt. In Brody ist alles klein und kurz, der endlose Himmel ist das Konzerthaus.
Die Beziehungsgeschichte mit der selbstbewussten und intelligenten Franziska, die man Fanny nennt, besteht aus Eitelkeit und Eifersucht. Sie eine Katholikin, er ein Jude. Gespräche über Frauen fallen bei ihm recht negativ aus. Als ihr Verlobter gibt sich Joseph aus und lässt das ausgestellte schöne Foto von ihr im Schaufenster des Fotografen entfernen. Krethi und Plethi sollen sie nicht anstarren oder bestaunen, ein komischer Kauz ist er.
Wer die wunderbaren Romane und Geschichten, Artikel und Briefe von Jo-seph Roth mit Begeisterung gelesen hat, sollte sich diese interessant und abwechslungsreich geschriebene fiktive Biographie „Im Schatten zweier Sommer“ nicht entgehen lassen.
Der oft vom Alkohol berauschte heimatlose Schriftsteller Joseph Roth schwankt in die judenfeindliche Zeit der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts, ein anderer Blick auf den berühmte Schriftsteller, der nie in ein anderes Land fliehen wollte, um sein Leben vor der Nazibande zu retten. Die Landkarte Europas ist aufgeschlagen. Von Galizien über Wien und Berlin gelangen die dichterischen Texte an die Seine nach Paris. Heimatlos fühlt sich Joseph Roth sein Leben lang. Koneffke wagt einen Sprung ins Vergangene dieses galizischen Dichters und bietet uns Lesern noch dazu einen herrlichen Wienspaziergang.
Einer der meist gelesenen Schriftsteller seiner Zeit ist Joseph Roth, der am 2. September 1894 in Brody, einem Stetl bei Lemberg in Ostgalizien, geboren wurde. Eine hochwertige Weltliteratur hat er hinterlassen. Seine gesamten Familienangehörigen wurden in die Gaskammern verschleppt und getötet. Er, Joseph, starb zuvor an seinen Alkoholexzessen 1939 in Paris in einem Armenkrankenhaus. Ein trauriges Lebensende eines so wichtigen Dichterlebens. Andere jüdische Dichterfreunde verließen Deutschland, verließen Europa und retteten ihr Leben nach Übersee oder anders-wohin, wo die Hitlerschen Naziarme nicht hinlangen konnten. Joseph Roth dachte nie an Flucht, war bodenständig und blieb. Seine bekannten Romane sind in unzählige Sprachen übersetzt worden und werden noch immer in der gesamten Welt gelesen, auch wurden sehr viele Titel vertont und verfilmt. Eine unglaubliche Dichterberühmtheit ist Joseph Roth bis heute. Wir denken gleich an den „Hiob“ oder den „Radetzkymarsch“ und „Die Legende vom heiligen Trinker“ und andere gerne gelesene Romane, die zu Klassikern wurden.
Das Habsburgerreich war sein Zuhause, den Kaiser in Wien verehrte er. Der Tod von Kaiser Franz Jo-seph I. 1916 und der Zusammenbruch dieser Monarchie 1918 machten ihn heimatlos bis an sein Lebensende. Die Universität in Lemberg besuchte er zu Beginn, wird gesagt, später, 1923, wird es die Universität in Wien sein und er zieht, wie vorhin erzählt, für einige Monate in die Rem-brandtstraße 35 zu Familie Fischler. Während des 1. Weltkriegs kommen die Mutter und Tante nach Wien und gemeinsam bewohnen sie eine kleine, dürftige Wohnung in der Wallensteinstraße in der Brigittenau.
Als Heimatloser streunt er durch die europäische Welt, wohnt in einfachen Hotels, der Koffer steht immer neben ihm. Berichte und Geschichten in Zeitschriften werden abgedruckt, auch Gedichte und Prosa, Novellen und Essays. Seine journalistischen Texte erscheinen en masse, sind kaum zu zählen. Scharf beobachtet er Land und Leute und deren Charaktere.
1922 heiraten er und Friederike Reichler in Wien. Berlin wird zur neuen Heimat, seine journalistischen Arbeiten erscheinen in Berliner und Wiener Zeitungen, in der Frankfurter Zeitung, deutschsprachige Zeitungen in Prag und Budapest drucken ebenfalls seine Artikel. Fuß fasste er als Korrespondent in Paris im Jahr 1925. Friedl, seine Frau, hat zunehmend Probleme mit ihrer geistigen Verfassung und wird in Berlin-Westend in eine Nervenheilanstalt eingewiesen, später in die Landes Heil- und Pflegeanstalt für Geistes und Nervenkranke am Steinhof in Wien. Otto Wagner, der Architekt des Jugendstils entwarf das Klinikareal und um die Ecke die dazugehörige Kirche am Steinhof. Die Krankheit von Friedl ist nicht heilbar, Roth kann es nicht begreifen und stürzt in eine Krise. Die Nazis deportieren Friedl im Rahmen der Aktion T4 nach Schloß Hartheim bei Linz, wo sie im Juli 1940 dem Euthanasie-Verbrechen zum Opfer fiel und in der Gaskammer ermordet wurde.
Jan Konneffke, der viel und gern gelesene Romancier hat sich einen interessanten Lesestoff ausgedacht und jeder Interessierte wird ihn mit Begeisterung lesen. Nehmen Sie die Landkarte Europas und reisen sie von Galizien an die Donau nach Wien, gen Norden nach Berlin, die Hauptstadt des damaligen Deutschen Reichs und nach Westen in die seit je her beliebte Metropole Frankreichs, nach Paris.
Das Buch wurde im „Buchhändlerkeller“ in Berlin-Charlottenburg in Alt-Lietzow vorgestellt und Hartmut Mangold unterhielt sich mit dem Schriftsteller Jan Koneffke, der einen Tag zuvor mit einem exzellenten Einführungsvortrag über Rumänien und Bukarest im Literaturhaus Berlin in der Fasanenstraße sehr beeindruckte. Ein Literaturfestival aus Rumänien und der Moldau wurde an dem Abend eröffnet: „Don’t Look Back“.