Der siebenbürgisch-sächsische Schriftsteller Joachim Wittstock, dem der jüngst erschienene und von Maria Sass, Stefan Sienerth und Olivia Spiridon herausgegebene Sammelband mit dem Titel „Rumäniendeutsche Seinszusammenhänge und weitläufigere Bezüge“ zu seinem achtzigsten Geburtstag am 28. August vergangenen Jahres gewidmet ist, dürfte sich über dieses Buch besonders freuen. Nicht nur vermeidet der Untertitel des Werkes die Bezeichnung „Festschrift“ und trägt somit der Bescheidenheit als hervorstechendem Charakterzug des Jubilars in besonderem Maße Rechnung. Sondern er betrachtet den so Geehrten außerdem als exemplarische Gestalt der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur Rumäniens wie als „emblematische Figur der vielgestaltigen rumäniendeutschen Literaturszene“ (S. 11). Dächte Joachim Wittstock wie Thomas Mann, mit dem er gewiss die Repräsentativität, keinesfalls jedoch die Eitelkeit teilt, könnte er in Anlehnung an dessen berühmten Satz aus dem Jahr 1938 mit Fug und Recht jederzeit von sich sagen: Wo ich bin, ist Siebenbürgen.
Dementsprechend weist der Untertitel der Festschrift „Literarische Kommunikation in der deutschsprachigen Literatur Rumäniens – das Fallbeispiel Joachim Wittstock“ auf die vielfältigen Bezüge, in die das literarische Werk dieses siebenbürgisch-sächsischen Autors deutscher Sprache eingewoben und mit denen es verflochten ist. So versammelt der erste Teil der Joachim Wittstock gewidmeten Festschrift persönlich gehaltene Porträts und Erinnerungen von rumänischen, deutschen und rumäniendeutschen Freunden und Weggefährten. Nora Iuga, die Grande Dame der rumänischen Gegenwartsliteratur, gibt ihm in ihrer Hommage den huldigenden Rat „Bleib so, wie Du bist“ (S. 15)! Der deutsche Lyriker und Prosaist Wulf Kirsten erinnert in seinen „Transsilvanischen Reminiszenzen“ (S. 21) an frühere Begegnungen mit Joachim Wittstock. Der aus dem Banat stammende Walter Engel feiert ihn als „‚poeta doctus’ mit feinem Taktgefühl“ (S. 27). Der in Itzehoe lebende Literaturwissenschaftler Alexander Ritter erinnert sich in seinem Beitrag an einen Rumänienbesuch im Juni 1989 und an die Fahrt zu einem Restaurant außerhalb von Hermannstadt/Sibiu: „Joachim Wittstock besitzt einen Trabant, grau. Wir mühen uns zu dritt in das kleine Auto. Der Gast darf neben dem Fahrer Platz nehmen. Beine nach oben gezogen, Knie fast unter dem Kinn. Stefan Sienerth auf der Rückbank, sitzt quer, um die Beine unterzubringen“ (S. 60).
Drei weitere rumäniendeutsche Autoren runden diesen ersten und persönlich gehaltenen Teil der Festschrift für Joachim Wittstock ab. Horst Samson schildert seine Gefühle der Bewunderung und Ehrfurcht gegenüber dem fünfzehn Jahre älteren Schriftstellerkollegen, den er gar mit Johann Joachim Winckelmann vergleicht und den er mit folgendem pointiert abgewandelten Winckelmann-Zitat treffend charakterisiert: „Edle Vielfalt, stille Größe!“ (S. 72). Hellmut Seiler fasst seine ungezählten Begegnungen mit Joachim Wittstock in folgende Worte: „Ich habe ihn nie Stimmungen oder gar Launen unterworfen erlebt, häufig seltsam heiter, gelöst – dann umspielte ein feines, fallweise wie entschuldigendes Lächeln seine Mundwinkel, aber nie losgelöst von der Umgebung“ (S. 89). Und Carmen Elisabeth Puchianu wendet sich in ihrem Beitrag dem Menschen wie dem Schriftsteller Joachim Wittstock zu und kommt zu dem lektürepropädeutischen Fazit: „Joa-chim Wittstocks Texte sind mit offenen Sinnen zu lesen. In ihnen ist ein Finder von großen Geschichten am Werk, der sich gerne als Erzähler diskret im Hintergrund hält, sich zurücknimmt, so gut es geht, so gut er es für geboten hält. Und doch ist er stets im Werk präsent, ein siebenbürgisch gearteter Alfred Hitchcock“ (S. 99).
Der zweite Teil der Festschrift zum achtzigsten Geburtstag von Joachim Wittstock versammelt literarhistorische Darstellungen und Werkanalysen. Der Flensburger Germanist Matthias Bauer entdeckt an Joachim Wittstocks Prosa den „Reiz der dezenten Magie“ (S. 109), während der Literaturwissenschaftler Jürgen Lehmann die Bodenständigkeit der siebenbürgischen Regionalliteratur im Verbund mit ihrer Weltoffenheit in der Dichtung Joachim Wittstocks als „eines ihrer bedeutendsten Repräsentanten“ (S. 124) wahrnimmt. Die beiden Mitherausgeberinnen der Festschrift, Olivia Spiridon und Maria Sass, sind ebenfalls mit Beiträgen in diesem Sammelband vertreten: erstere mit einem Aufsatz zu Joachim Wittstock als Chronisten des ‘Chaosmos’, letztere mit kulturwissenschaftlichen Überlegungen zu Joachim Wittstocks Erzählung „Karussellpolka“.
Die Hermannstädter Germanistin Sunhild Galter untersucht die titelgebende Erzählung des Prosabandes „Die blaue Kugel“ im Hinblick auf das Konzept der Erinnerungsorte, das auf den französischen Historiker Pierre Nora zurückgeht, während die Temeswarer Literaturwissenschaftlerin Grazziella Predoiu den Wittstockschen Nach-Wende-Roman „Bestätigt und besiegelt“ auf das während des Kommunismus tabuisierte Thema der Russlanddeportation der Siebenbürger Sachsen hin befragt. Die Bukarester Germanistin Ioana Crăciun untersucht das soziale und politische Klima im kommunistischen Rumänien der sechziger Jahre im Kontext des Wittstockschen autobiografischen Romans „Die uns angebotene Welt. Jahre in Klausenburg“, während der Hermannstädter Dichter, Literaturkritiker und Essayist Dumitru Chioaru in seinem von Doris Sava ins Deutsche übertragenen Aufsatz Joachim Wittstocks Märchennovelle „Peter Gottliebs merkwürdige Reise“ mit Adelbert von Chamissos 175 Jahre früher entstandener Erzählung „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ vergleicht.
Der dritte und letzte Teil der Festschrift für Joachim Wittstock kommt mit seinen insgesamt fünf Aufsätzen erneut auf biografische, aber auch auf weiter ausgreifende Zusammenhänge zu sprechen. Der Mitherausgeber Stefan Sienerth leistet einen Beitrag zur Erforschung der Familien- und Jugendgeschichte Joachim Wittstocks, indem er die Dokumentation, die der rumänische Geheimdienst Securitate über den Vater Joachim Wittstocks, den bedeutenden siebenbürgischen Schriftsteller Erwin Wittstock, angelegt hat, einer literarhistorischen Analyse unterzieht. Der aus Hermannstadt gebürtige Peter Motzan sieht in seinen 2018 in Dinkelsbühl gehaltenen Laudationes auf Horst Schuller und Michael Markel Joachim Wittstock als den Dritten im Bunde: als Bruder in „Geist, Gemüt und Vaterlandskunde“ (S. 255). Der erste in jenem Bunde, Horst Schuller, trägt durch Lexikonporträts von mehreren aus Kronstadt/Brașov und Umgebung stammenden Übersetzern zu dieser Festschrift bei. Den Abschluss des lesenswerten und lehrreichen Sammelbandes bilden die Beiträge zweier emeritierter Germanisten aus Österreich und Deutschland. Der Innsbrucker Sigurd Paul Scheichl analysiert drei Aphorismen von Franz Hodjak, und der Münchener Volker Hoffmann widmet sich der Autobiografie Adam Bernds aus dem Jahre 1738 und insbesondere der darin beschriebenen traumatisierenden Erfahrung der „Türkengefahr“ (S. 291), also der Versuche des Osmanischen Reiches, im 16. und 17. Jahrhundert die Kaiserstadt Wien zu erobern, die Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.