Erfolgreich gingen letzte Woche die nun schon zur Tradition gewordenen Konzerte der Reihe „musica suprimata“ für Siebenbürgen zu Ende. Anlässlich des 70. Todestages des in Hermannstadt/Sibiu geborenen Komponisten Norbert von Hannenheim organisierte der deutsch-rumänische Verein „musica suprimata“ neben den üblichen Konzerten am 6. November 2015 in der Musikakadamie „Gheorge Dima“ in Klausenburg/Cluj ein Kolloquium. Dazu wurden namhafte deutsche Musikwissenschaftler und Experten eingeladen, die sich mit dem schicksalhaften Leben und den rätselhaften Werken des gebürtigen Siebenbürgers auf verschiedene Weise auseinandersetzen. Umrahmt wurde das Kolloquium von Konzerten mit der Musik Hannenheims und seiner Zeitgenossen, die in Hermannstadt/Sibiu, Klausenburg/Cluj und Kronstadt/Braşov stattfanden.
Der in Bukarest lebende Neffe von Norbert von Hannenheim, Gerhard von Hannenheim, leitete das Kolloquium mit biografischen Details zur Person seines Onkels ein. Das Leben des 1898 geborenen Komponisten war geprägt von den beiden Weltkriegen: an dem ersten nahm er noch als Soldat teil; in dem zweiten fiel er der Euthanasie zum Opfer.
Seine künstlerische Laufbahn schien zunächst vielversprechend. Bereits mit 18 Jahren wurden Hannenheims Werke im Konzertsaal zur Aufführung gebracht, danach gewann er den Zweiten Preis beim Enescu-Kompositionswettbewerb, noch bevor er 1929 in die Kompositionsklasse des damals berüchtigten Arnold Schönberg nach Berlin ging. Prof. Ludwig Holtmeier von der Musikhochschule Freiburg thematisierte Hannenheim im Kontext des Berliner Schülerkreises Schönbergs, der sich in vielfacher Hinsicht von den Wiener Schülern, deren namhafte Vertreter Alban Berg und Anton Webern sind, unterschied. Durch viele recherchierte Details gelang es Holtmeier, das Klima zu vermitteln, das in dieser Kompositionsklasse vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten geherrscht haben muss.
Norbert von Hannenheim widersprach als einziger „hemmungslos“ dem autoritären Lehrer Schönberg und blieb so vielen Kollegen im Gedächtnis. Trotz der Auszeichnung mit einem Staatsstipendium für Komposition, bei dessen Auswahl Schönberg beteiligt war, lebte Hannenheim nach dem Exil Schönbergs und vieler seiner Anhänger in finanziellen Nöten und zurückgezogen in einer Berliner Dachkammer. Dennoch hinterließ Hannenheim ein beträchtliches Oeuvre, das 200 Werke umfasst.
Über die psychische Krankheit des Komponisten gab der Neffe Gerhard von Hannenheim Aufschluss: Eine Psychose im Jahre 1933 war der Familie bekannt, ebenso wie seine schlechte Verfassung und man erwog, ihn nach Budapest zu seinem Bruder zu bringen. Hannenheim blieb in Berlin und wurde 1944 mit der Diagnose „gemeingefährlich krank – Schizophrenie?“ in eine Psychiatrie eingewiesen. Wenige Wochen nach Kriegsende starb er laut Totenschein an Herzversagen. Die in der Diskussionsrunde entstandene Frage, wie schwer die Krankheit von Hannenheim war und welchen Einfluss seine Kriegserlebnisse und finanziellen Sorgen auf sein Krankheitsbild hatte, muss aufgrund der schwierigen Quellenlage zunächst offen bleiben. Bis vor einigen Jahren war noch nicht einmal geklärt, wann und woran Hannenheim starb.
Die anschließende Betrachtung des musikalischen Schaffens Hannenheims kann die psychische und physische Verfassung beim Komponieren seines Spätwerks nicht ignorieren. Der in Berlin lebende Komponist und Musikwissenschaftler Dr. Gabriel Iranyi erläuterte kompositorische Besonderheiten Hannenheims anhand dreier Kammermusikstücke. Obwohl die Entstehungszeit der Werke oft unbekannt ist, wurde deutlich, dass Hannenheim schon vor Schönberg in Reihen komponiert hat. Nur fußte seine Reihentechnik weniger auf dem Prinzip des Wiederholungsverbots, sondern orientierte sich vor allem an kontrapunktischen Richtlinien. Doch welchen Einfluss brachte Hannenheim zu einer so intensiven Auseinandersetzung mit der Kontrapunktik, die laut Einwurf Holtmeiers Ähnlichkeiten mit der Vokalpolyphonie des 15. und 16. Jahrhunderts besitzt? Hat er diese Musik studiert? Oder war es der Einfluss Enescus, den er persönlich kennenlernen durfte?
Eine Diskussion darüber, inwieweit harmonische Gesichtspunkte überhaupt eine Rolle in den Werken Hannenheims spielen, wurde von dem Rektor des Mozarteums in Salzburg, Prof. Siegfried Mauser, angestoßen. Zusammen mit der Sängerin Amélie Sandmann gab er in einem Gesprächskonzert Einblick in das Liedschaffen Hannenheims, bei dem viele Vertonungen auf Rilke-Gedichten beruhen. Eine Rarität stellt ein in einer Leipziger Bibliothek gefundenes Manuskript der 4. Klaviersonate dar, die der Pianist Moritz Ernst, der das gesamte Klavierwerk Hannenheims auf CD einspielte, zusammen mit Holtmeier in einem offenen Gespräch mit dem Autografen derselben Sonate verglich, um etwas über den Entstehungsprozess des Werkes zu erfahren. So wie die Skizze jedoch ebenso viele Fragen zur Kompositionsweise beantwortete, wie neue stellte, war auch der assoziative Vortrag des Komponisten Albert Breiers, mit einer breiten Einordnung Hannenheims in Zeit- und Kulturgeschichte und seiner Bedeutung in der Gegenwart antwortgebend und fragestellend gleichermaßen: Wie kann man sich der Musik der Kriegsgeneration heute angemessen nähern?
Ein Anliegen des Vereins „musica suprimata“ und dessen Vorsitzenden Heidmarie T. Ambros ist, die Musik der in Siebenbürgen geborenen Komponisten in ihrer Heimat wieder zum Erklingen zu bringen. Den Auftakt der diesjährigen Konzerte gaben am 5. November 2015 die Geschwister Marianne und Wolfgang Boettcher an der Geige und dem Cello in einem vollen Philharmoniesaal in Hermannstadt/Sibiu. Moritz Ernst präsentierte in der Musikakademie „Gheorge Dima“ ein anspruchsvolles Programm, in dem neben Werken von Norbert von Hannenheim, Arnold Schönberg und Viktor Ullmann auch die Aufführung eines Werkes des Klausenburger Komponisten Cornel Ţăranu stand. Mit viel Enthusiasmus wurden die Werke des ebenfalls in Klausenburg/Cluj geborenen und im Konzert anwesenden Dr. Gabriel Iranyis sowohl vom Duo Boettcher als auch von Mitgliedern des „aaron Quartetts“ aufgeführt. Ein Liederabend, gestaltet von den Tschechen Irena Troupová und Jan Dušek, rundete das Programm in Klausenburg/Cluj ab. Der Auftritt des „aaron Quartetts“ aus Wien zusammen mit der rumänischen Pianistin Aurelia Vişovan begeisterte mit ihrer Professionalität nicht nur in Klausenburg/Cluj, sondern bildete am 10. November 2015 in abendfüllender Länge in Kronstadt/Braşov den Abschluss einer langen Konzertreihe.
Die Programmgestaltung war vor allem eine anspruchsvolle Mischung aus rumänisch- und deutschstämmigen Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts, wobei durch Vertreter der Zweiten Wiener Schule, wie Schönberg, Berg und Ullmann, das Schaffen Hannenheims in seinem ideellen Kontext präsentiert wurde. Besonders seine Werke fielen klanglich durch eine Abgesondertheit und Unangepasstheit auf. Dies, so zeigt seine Biografie, kann viele Gründe haben. Der Neffe sieht es nicht zuletzt auch politisch: „Wahrscheinlich kam im ganzen Werk von Hannenheim kein einziger C-Dur Akkord vor. Das war sein Beitrag zum Widerstand.“