Fünf große Kuben stehen seit Anfang Mai vor dem Kunstmuseum am Temeswarer Domplatz. Sie ermöglichen denjenigen, die sich ihnen nähern, um sie genauer zu betrachten, eine Reise um die ganze Welt. Diese Reise ist nicht vorgeplant, sie überrascht und schockiert, sie vermittelt Emotionen unterschiedlichster Art und ist teilweise nichts für sensible Gemüter. Sie entsteht mit Hilfe der auf den Kuben abgedruckten Pressefotografien, die die aus journalistischer Sicht bedeutendsten Augenblicke 2022 vor die Augen des Betrachters bringen. Die Ausstellung „World Press Photo“ kann in der europäischen Kulturhauptstadt 2023 bis zum 30. Mai kostenlos besichtigt werden. Neben den Bildern stehen ergänzende Texte, die den Betrachtern die abgebildeten Momente bzw. den politischen/sozialen Hintergrund näher erklären.
Mehr als 120 Pressefotos umfasst die Ausstellung in Temeswar. Geschossen wurden diese von den Preisträgern des „World Press Photo Contest 2023“ und repräsentieren große Nachrichtenereignisse und bedeutende Augenblicke, die von den Mainstream-Medien im vergangenen Jahr oftmals übersehen wurden. Die Bilder machen auf einige der größten Probleme aufmerksam, mit denen sich die Welt heutzutage konfrontiert – von der Dokumentation des Krieges in der Ukraine und den historischen Protesten im Iran über die Realitäten im von den Taliban kontrollierten Afghanistan bis hin zu den vielen Facetten der Klimakrise in Ländern von Marokko über Australien und Peru bis Kasachstan. Die 24 Preisträger des internationalen Fotowettbewerbs wurden aus mehr als 60.000 Beiträgen von über 3700 Teilnehmern aus 127 Ländern der Welt ausgewählt. Nach Rumänien wurde die World Press Photo-Ausstellung von der Eidos-Stiftung in Bukarest gebracht. Im Mittelpunkt der Fotos stehen Menschen und ihre Lebensgeschichten, Geschichten von den Fronten des Konflikts, der Kultur, der Identität, der Migration und Erinnerungen an eine verloren erscheinende Vergangenheit. Mit Sicherheit kann sich der Betrachter der Bilder vorstellen, wie die nahe oder ferne Zukunft für diese Menschen aussehen mag.
Die meisten Bilder schockieren, teils auch, weil sie die ungeschminkte, brutale, manchmal sogar katastrophale Realität mancher Orte auf der Welt aufzeigen. Auf einem der Fotos ist beispielsweise ein Soldat zu sehen, der einen toten Kameraden auf seinem Rücken trägt. Beim Anblick der offenen Wunden am leblosen Körper kann einem sogar schlecht werden. Man hört fast die Stille der Männer und das Knirschen ihrer Stiefel im Gras, während sie den gefallenen Soldaten nach Hause tragen. Die Jury ließ sich von dem Insiderblick des Fotoreporters überzeugen: Die Kameraden zeigen trotz des brutalen Anblicks des verstümmelten Soldaten Sorgfalt, Ehrfurcht und Respekt gegenüber dem Toten. Alle Farben spielen in einer Weise miteinander, die die Aufmerksamkeit auf die Silhouette in der Mitte des Bildes lenkt. Bei vielen der Fotos stehen die Sujets gerade im Mittelpunkt des Bildes. Die People´s Defence Forces, zu der auch die Soldaten auf dem Bild gehören, ist der bewaffnete Flügel einer Parallelregierung, die nach einem Militärputsch in Myanmar im Jahr 2021 vor allem von entmachteten demokratischen Gesetzgebern gebildet wurde. Sie kämpfen an der Seite regionaler und ethnischer Milizen, die sich ebenfalls gegen die Militärdiktatur Myanmars stellen, wie etwa die Widerstandsgruppen im Karenni-Staat. Unter großem persönlichem Risiko verbrachte der Fotograf Mauk Kham Wah ein Jahr mit Karenni, die sich dieser gemeinsamen Widerstandsbewegung angeschlossen haben.
Das Foto ist eine universelle Erinnerung an den Zustand der Welt, in der Menschen gezwungen sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um für etwas zu kämpfen, woran sie glauben. Ähnliche Bilder gibt es noch in der Ausstellung – wie beispielsweise jene, die den Krieg in der Ukraine dokumentieren. Die Behörden Myanmars hatten Verstärkung in die Region geschickt, da sich die Kämpfe mit lokalen Oppositionsgruppen verschärften. Eine persönliche Empfehlung nebenbei: Die Ausstellung ist zwar unter freiem Himmel und somit für jeden zugänglich, doch (empfindlichere) Kinder bis 12 Jahre sollten sich nicht unbedingt alle Bilder anschauen.
Trockenes, braunes Land, ein bewölkter Himmel, und in der Mitte des Bildes: Alina Surquislla Gomez, eine Alpaquera der dritten Generation, mit einem weißen Baby-Alpaka in den Armen. Die Alpaka-Züchterin mit blauem Rock und Sommerhut ist auf dem Weg zu den Sommerweiden ihrer Familie in Oropesa, Peru. Die Klimakrise zwingt die Hirten, viele davon Frauen, nach neuen Weiden zu suchen. Alpakas, die für den Lebensunterhalt vieler Menschen in den peruanischen Anden unerlässlich sind, stehen aufgrund der Klimakrise vor neuen Herausforderungen.
Alpakas können die großen Höhen der Anden ertragen und sind eine wichtige Einkommensquelle für die Landwirte in einer Umgebung, in der nur wenige oder gar keine Feldfrüchte angebaut werden können. Sie werden in erster Linie wegen ihrer feinen Wolle gezüchtet, die für Strickwaren und gewebte Stoffe sehr geschätzt wird. Zehntausende von Familien in den Anden leben von der Alpakazucht und dem damit verbundenen Handel mit der Wolle. Bei lokalen indigenen Gemeinschaften wie den Quechua sind Alpakas auch ein fester Bestandteil des kulturellen und rituellen Lebens.
Die Klimakrise gefährdet die Alpakas und die Gemeinschaften, die von ihnen leben. Kürzere Regenzeiten und länger anhaltende Dürreperioden lassen die natürlichen Weiden schrumpfen und verringern die Qualität des Grases, von dem sich die Alpakas ernähren. Darüber hinaus nimmt das Schmelzwasser der peruanischen Gletscher, das die Hochweiden während der langen Trockenzeit versorgt, rapide ab. Die peruanischen Gletscher haben sich zwischen 1962 und 2016 um 53 Prozent zurückgezogen. Diese Herausforderungen bedrohen nicht nur die Alpakas, sondern auch die kulturelle Identität der Menschen in den Anden, da die Gemeinschaften der Alpakazüchter gezwungen sind, in noch größere Höhenlagen zu ziehen oder ihre Lebensweise ganz aufzugeben bzw. Arbeit in den niedrig gelegenen Städten zu suchen. Wissenschaftler hoffen, das Problem mit Hilfe der Biotechnologie in den Griff zu bekommen, um Alpakarassen zu züchten, die widerstandsfähiger gegen extreme Temperaturen sind. Dies würde den Tieren helfen, harte Nächte in höheren Lagen zu überleben und in niedrigeren Lagen zu gedeihen, da Alpakas bei wärmeren Temperaturen an Krankheiten leiden, die in Hochlandgebieten nicht auftreten. Die Geschichte der Alpaqueras hat der Fotograf Alessandro Cinque (geb. 1988) aus Lima dokumentiert. In seinem Werk setzt sich Alessandro Cinque mit umwelt- und gesellschaftspolitischen Themen in Lateinamerika auseinander, insbesondere mit den verheerenden Auswirkungen des Bergbaus auf indigene Quechua-Gemeinschaften und deren Land.
„Die ausgestreckte Hand, die keine Geschichte erzählt, erhält keine Almosen“, hatte Gheorghe Dinică im rumänischen Film „Filantropica“ gesagt. So wie die Kampfgeschichten aus Myanmar oder der Überlebenskampf der Alpaqueras in Peru können Besucher der Ausstellung „World Press Photo“ viele andere Geschichten kennenlernen. Jedes Bild erzählt seine eigene Geschichte, die sich von den Betrachtern entdecken lassen möchte. Die Ausstellung ist zeitgleich in Temeswar, Klausenburg/Cluj-Napoca, Hermannstadt/Sibiu und Bukarest zu sehen.