Das Schöne an den Live-Übertragungen im Hörfunk ist, dass man sogar aus größter Entfernung im Konzert „mit dabei“ sein kann. Zwar kann das Radio ein musikalisches Erlebnis pur, wie es nur im Konzertsaal möglich ist, nicht ersetzen. Natürlich fehlt die Unmittelbarkeit, die einen perfekten Musikabend ausmacht, aber mit Hilfe von Kopfhörern ist man auch von daheim oder unterwegs bald „mitten drin“.
Übrigens gibt es weltweit ganze Orchester, die gezielt für Übertragungen im Radio und für Aufzeichnungen musizieren – und genau wissen, dass das Mikrofon ein anspruchsvoller Mittler ist, der so manches aufzeigt, was im Konzertsaal unbemerkt bleibt. Deshalb sind die „Radioorchester“ gerade für ihre Präzision in den kleinen Details bekannt.
Einige dieser Orchester sind zurzeit in Bukarest zu Gast. Erstaunlich am Internationalen Festival der Rundfunkorchester „RadiRo“ ist, dass die erste Auflage gerade in einem Jahr stattfindet, in dem Kultur wieder einmal von Sparmaßnahmen und politischen Launen betroffen ist. Die rumänische Hauptstadt ruft somit noch eine Konzertreihe ins Leben, die neben dem Celibidache-Festival fortan alle zwei Jahre, alternativ zu den Enescu-Festspielen stattfinden soll.
Für die Bukarester Klassik-Begeisterten wird es zur Selbstverständlichkeit, von einem Konzertsaal zum anderen zu eilen – sicherlich in der Hoffnung, dass ein akustisch geeigneter Saal nicht nur ein Wahlkampfversprechen bleibt.
Hoffnungsvoll – mit Beethovens Neunter – war die Eröffnung des „RadiRo“ am 23. September. Die Konzertreihe findet unter der künstlerischen Leitung und mit intensiver musikalischer Beteiligung von Christian Zacharias statt.
„Gastgeber“ sind das Nationalorchester und das Kammerorchester des Rumänischen Rundfunks sowie der Akademische Radio-Chor und das hauseigene Quartett „Voces“. Bekannte Werke der Klassik stehen in den Konzertprogrammen neben zeitgenössischer und rumänischer Musik. Zu den Gästen zählen u. a. das Philharmonische Orchester von Radio France, das Quartett „Ad libitum”, die Dirigenten Ion Marin und Horia Andreescu, die Solisten Jian Wang oder Maxim Vengerov. Bei dieser hochkarätigen Besetzung muss man nur noch das Radio einschalten und genießen.
Quartettmusik vom Feinsten
Dass man sich in Kammermusikensembles oft „wie in der Familie” fühlt, dürfte keine Neuigkeit sein. Im Falle des Ensembles „Rivinius”, das am vergangenen Montag im Bukarester Radiosaal konzertierte, ist die Kammermusik zugleich Familientreffen. Die vier Brüder – Siegfried Rivinius (Violine), Benjamin Rivinius (Viola), Gustav Rivinius (Cello) und Paul Rivinius (Klavier) – wirken schon seit Mitte der neunziger Jahre als Quartett zusammen, suchen im Repertoire stets die Abwechslung, musizieren mit Selbstverständlichkeit quer durch die Jahrhunderte und haben auch an zeitgenössischer Musik großen Spaß.
In Bukarest eröffneten sie das Konzert mit Franz Schuberts einzigem Werk für Klavierquartett, dem „Adagio und Rondo concertante” D 487, gespielt mit kristallener Transparenz und mit ansteckendem jugendlichem Enthusiasmus. Klarheit war auch in der Interpretation der „Pirouettes Pierrotiènnes” Op. 142 von Dan Dediu (geb. 1967) das Wesensmerkmal.
Das musikalische Porträt des Schelms aus der „Commedia dell’arte“ wurde mal mit feurigem Temperament, mal mit träumerischer Sehnsucht skizziert. Dedius Werk spielt bewusst mit den Klangfarben, es bündelt die launischen Streicher und stellt ihnen das klirrende, trällernde oder dröhnende Klavier entgegen, die tänzerischen Rhythmen unterstreichen noch mehr die spitzen Charakterzüge des Pierrot, die Dissonanzen sind die Regel, die Konsonanzen die Ausnahme. Den Musikern gelang eine hervorragende Darbietung voller Impulsivität und Glanz.
Dramatische, dunkle Stimmung schuf das Quartett in der Wiedergabe der „Toccata, Tombeau und Torso“ von Thomas Blomenkamp (geb. 1955). Das Auftragswerk entstand vor wenigen Jahren und ist den vier Geschwistern gewidmet. Dass es als Trauermusik für einen verstorbenen Freund geschrieben wurde, erkennt man vor allem im Mittelstück „Tombeau“ („Grab“) an den tiefen, abgründigen Klängen und den verbitterten, intransigenten Akkorden.
Mit makelloser Koordination spielten die Musiker auch das anspruchsvolle Finale, das keine Hoffnung, dafür aber vielleicht doch eine offene Frage durchschimmern lässt. Die Rückkehr in die tonale Welt mit Gabriel Faurés erstem Quartett in c-Moll wirkte nach den eckigen Werken des 21. Jahrhunderts wie ein heller, warmer Trost. Hier stellte das Ensemble sein bemerkenswertes musikalisches Harmonien- und Farbengefühl unter Beweis. Das begeisterte Publikum bestand auf Zugabe. „Tango pathétique”, ein musikalischer Scherz von Peter Kisewetter, schloss das Konzert ab.
Sinfonische Flucht in die Romantik
Am Montagabend konzertierte auch das „Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI“ aus Turin unter der Leitung seines jungen und energischen Chefdirigenten Juraj Valcuha. Solist des Violinkonzerts Op. 35 von Tschaikowski war Alexandru Tomescu, der gemeinsam mit seiner Stradivari-Geige auch diesmal in Hochform war. Leider war die Akustik der berühmt-berüchtigten „Sala Palatului“ für das Gleichgewicht zwischen Solist und Orchester nicht von Vorteil. Hinzu kam, dass bei der Hörfunk-Übertragung der Solist viel lauter geschaltet war als das sinfonische Ensemble – deshalb steigerten sich die Pianissimi der Geige in Richtung Mezzopiano, während die Tuttis des Orchesters doch nur blass im Hintergrund des Solisten blieben.
Technische Präzision und Klarheit, die absoluten Stärken von Tomescu, wurden mit durchdachter Empfindsamkeit gepaart. Der Brillanz des ersten Satzes folgte eine sensible, poetische „Canzonetta“, in der die Dialoge der Solovioline mit den Bläsern überraschten und bezauberten. Im Finale war das Tempo etwas zu hastig, was die Synchronisierung an manchen Stellen erschwerte.
Auch dürfte etwas mehr Raffinement im zweiten Thema zum kompositorischen Kontext des Werkes besser passen. In der Zugabe, „Obsession“ von Ysaye, war Alexandru Tomescu hervorragend. Die dritte Sinfonie Op. 44 von Rachmaninow reichte von zart bis spektakulär und bewegte sich frei zwischen Romantik und aufbrechender, schlichter Moderne. Eine Hochleistung des RAI-Orchesters und seines Dirigenten, die den Abend mit Puccini- und Dvorak-Zugaben abrundeten.
Wer auf „RadiRo“ neugierig geworden ist, findet Informationen im Internet unter www.radirofestival.ro und www.romania-muzical.ro und kann hier oder im Radio (Sender: România Muzical und România Cultural) auch aus der Ferne „ins Konzert gehen“. Heute um 17 Uhr musizieren im Radiosaal Isabelle van Keulen (Violine) und Luiza Borac (Klavier) begleitet von dem Kammerorchester des Rumänischen Rundfunks unter der Leitung von Paul Meyer.
Auf dem Programm stehen das Konzert Op. 102 für Violine, Klavier und Streichorchester und die Sinfonie Nr. 3 von Felix Mendelssohn. Um 19.30 Uhr erklingen in der „Sala Palatului“ die Rumänische Rhapsodie Nr. 1 von Enescu, die Schottische Fantasie für Violine und Orchester von Max Bruch (Solistin ist die Geigerin Viviane Hagner) und Schuberts Neunte, interpretiert von dem „BBC Symphony Orchestra“ unter Jukka Pekka Saraste. Sie spielen auch das Abschlusskonzert von „RadioRo“ am morgigen Samstag um 19.30 Uhr, mit Enescus zweiter Rumänischer Rhapsodie, der Paganini-Rhapsodie für Klavier und Orchester von Rachmaninow (Solist: Dan Grigore) und der vierten Sinfonie von Schostakowitsch.