„Kosmopolitismus, Multikulturalität, Ökumene, Völkerverständigung“

Interview mit Simion Giurcă, dem Geschäftsführer des Vereins zur Förderung der Stadt Temeswar

Mit ihren drei zentralen Plätzen, die miteinander in Verbindung stehen, gehört die Temeswarer Fußgängerzone zu den größten in Rumänien. Im Bild: der Freiheitsplatz. Fotos: Andreea Oance

Seit fast einem Jahr ist Simion Giurcă für die touristische Förderung der Stadt Temeswar zuständig. Er bringt eine 35-jährige Erfahrung im Tourismusbereich mit und war u.a. Leiter des rumänischen Fremdenverkehrsamtes in Wien und ist derzeitig weiterhin Generalsekretär des „Corps Touristique“ Österreich. Foto: privat

Eines der schönsten Gebäude in Temeswar ist das Miksa-Steiner-Palais am Domplatz, ein Projekt der ungarischen Architekten Dezsö Jakab und Márcell Komor.

Seit eineinhalb Monaten ist Temeswar/Timișoara offiziell eine der Kulturhauptstädte Europas 2023. Dafür wurde die Stadt vor Kurzem mit dem Preis „Goldener Apfel“ für Tourismus seitens des Internationalen Verbandes der Tourismusjournalisten und –schriftsteller (FIJET) ausgezeichnet. Was das für Temeswar bedeutet, wie sich die Stadt auf mehr Touristenkategorien vorbereitet und was sie auch nach dem Kulturhauptstadtjahr für Besucher interessant machen könnte, darüber sprach ADZ-Redakteurin Andreea Oance mit Simion Giurcă, dem Geschäftsführer des Vereins zur Förderung der Stadt Temeswar. 

Temeswar hat vor wenigen Tagen den „Goldenen Apfel“, eine Anerkennung im Tourismusbereich, erhalten. Was bedeutet dieser Preis für die Stadt?

Eine solche Anerkennung ist immer etwas Gutes. Das bedeutet, es bewegt sich tatsächlich etwas in der Stadt. Wir freuen uns sehr, dass Temeswar angefangen hat, sich touristisch zu entwickeln. Von einer Stadt, die zumeist für Geschäftsreisen bekannt und beliebt war, ist sie zu einer Destination für vieles mehr geworden. Diese Anerkennung zeigt, dass wir auf dem besten Weg sind, von Fachleuten angesehen zu werden und wir freuen uns, auch intern, auf dem rumänischen Markt, zu einem Reiseziel zu werden, wo die Menschen nicht nur Kultur genießen können, sondern sich auch darüber freuen, mit den Temeswarern in Kontakt zu kommen und einiges über die Geschichte und den Geist der Stadt zu lernen. 

Temeswar war bisher eher als eine Transitstadt für andere Reiseziele in Rumänien oder eine Stadt für Geschäftsreisen bekannt. Wie kann man denn die Bega-Stadt auch für andere Zwecke attraktiv machen? 

Transit bedeutet, dass jemand bei dir übernachtet - wir meinen in diesem Fall den touristischen Transit, wenn der Mensch irgendwo schlafen muss. Wenn dies Teil eines Programms, einer Rundreise, z.B. zum Thema Art Nouveau, Kultur oder Geschichte, ist und das eine Nacht in dieser Stadt bedeutet, dann ist das sicherlich nicht mehr nur „Transit“. Das spricht auch über Freizeit oder Tourismus allgemein, denn die Leute würden sonst nicht in Temeswar oder in anderen Städten übernachten. Das ist dennoch ein bisschen zu wenig für eine Stadt, die sich weiterentwickelt, wo viele Hotels gebaut worden sind, dazu noch Privatpensionen, Gaststätten, Hostels usw. Aber das ist auch zu wenig für eine Stadt, die Europäische Kulturhauptstadt ist, weswegen wir jetzt an eine Entwicklung denken. Fünf-Sterne-Hotels sind eine Notwendigkeit. Wir wollen weiterhin auch die Geschäftsreisen viel mehr in Richtung MICE - Meeting, Incentive, Conference, Events - entwickeln. Business Travel bedeutet Übernachtungen von Montag bis Donnerstag, selten bis Freitag. Das heißt, am Wochenende sind viele Businesshotels leer. Das könnte mit „Freizeit“ in Verbindung gebracht werden und mehr Gäste in die Stadt locken. Gäste, die nicht  nur am Wochenende in Temeswar eintreffen.Um Temeswar als Reiseziel in Betracht zu ziehen, helfen uns selbstverständlich all diese internationalen Auszeichnungen – der „Goldene Apfel“ oder der „Melina Mercouri“-Preis - alle internationalen Erwähnungen in Publikationen wie „Time Magazine“ oder „The Independent“. Dass die Stadt dort als empfohlene Destination für Freizeit, Citybreak oder Shortbreak erscheint, auch über dieses Kulturhauptstadtjahr hinaus, bedeutet, diese Stadt ist für neue Touristen vorbereitet, sie hat genug anzubieten, damit sich die Gäste, die hier für einen kurzen Urlaub kommen, wohlfühlen. Natürlich wollen wir auch den Zugang zu den Informationen verbessern, indem wir an den digitalen Medien arbeiten, aber auch weiterhin an den Print- und digitalen Broschüren, damit die Informationen leichter zu den Menschen gelangen.

Was kann also ein Tourist in Temeswar unternehmen, wenn er hier zum allerersten Mal zu Gast ist?

Wir arbeiten gerade daran, verschiedene Touristenprogramme zu erstellen: Was Gäste für einen Aufenthalt von 24 Stunden, 48 Stunden oder länger in Temeswar unternehmen können.
Temeswar ist eine Stadt, die wirklich wunderschön und auch ein bisschen anders ist. Auch wenn die Stadt immer noch mit Wien verglichen wird, so hat sie einige Originalelemente. So z.B. haben wir im Bereich „Jugendstil“ teilweise auch ungarische Architekten gehabt. Auch wenn die meisten Baudetails in der Stadt „Art Nouveau“ sind, kommen in vielen Fällen einheimische Dekorationselemente vor, die einfach nur hier zu finden sind. Das unterscheidet unsere Gebäude von denen in Wien oder Großwardein/Oradea. Temeswar hat mit seinen gut vernetzten Plätzen in der Innenstadt - 33 Straßen und fünf Plätzen- die größte Fußgängerzone rumänienweit. Hier kann man in Ruhe die gemütliche Atmosphäre genießen, Kaffeehäuser, Restaurants und Clubs besuchen. Die Tatsache, dass hier weiterhin die meisten Menschen Deutsch verstehen und reden, Französisch, Italienisch und natürlich Englisch als Sprache, die die Mehrheit ohne Probleme spricht, dazu noch Serbisch, Ungarisch oder Bulgarisch, sorgt dafür, dass sich hier jeder willkommen fühlt. Kosmopolitismus, Multikulturalität, Ökumene, Völkerverständigung – das bietet ein neues Erlebnis für Touristen, abgesehen von der Architektur, den Museen und Kulturangeboten der Stadt. 

Welche ist Ihre kurz- bzw. langfristige Strategie zur touristischen Förderung der Stadt, auch über das Jahr 2023 hinaus?

Wir müssen einige Werte dieser Stadt mehr in den Vordergrund rücken lassen. Wir müssen die touristische Infrastruktur weiterhin verbessern, sodass die Leute sich leicht in der Stadt wiederfinden, dass sie leicht zu den Sehenswürdigkeiten, zu Informationen bezüglich der verschiedenen Kultureinrichtungen, zur Geschichte und zu den Persönlichkeiten der Stadt kommen. Wir müssen auch die allgemeine Infrastruktur entwickeln, damit die Leute bessere Dienstleistungen bekommen – u. a. wenn sie beispielsweise auf dem Bega-Kanal fahren. In Sachen Mobilität müssen auch die alternativen Verkehrsmittel – Fahrrad, Roller – für alle zugänglich sein. Und was wir noch brauchen, ist eine Entwicklung der touristischen Angebote, die man leicht buchen kann. Man kann in dieser Hinsicht auch die Hotellerie einbinden, sodass man z.B. in Hotels Buchungen für Kulturveranstaltungen, für Ausflüge, für verschiedene Events wahrnimmt. 
Gerade wurde in Temeswar ein Wasserpark in Betrieb genommen. Die Stadt braucht mehr solche Angebote, wenn das Wetter nicht mitspielt. Man soll zu jeder Jahreszeit und zu jeder Wetterbedingung etwas in Temeswar unternehmen können. Ein Beispiel für eine solche Aktivität wäre auch ein Besuch der Bierbrauerei von Temeswar. Sie ist die älteste auf dem heutigen Gebiet Rumäniens, doch man kann sie zurzeit leider noch nicht besichtigen. Die Besichtigung von Brauereien ist für viele internationale Gäste, aber auch für rumänische Gäste interessant, umso mehr, wenn wir von der ältesten Brauerei sprechen. Da führen wir Gespräche mit dem Management der Brauerei und hoffen, noch in diesem Jahr zu einer diesbezüglichen Lösung zu kommen. 

Sie sind seit knapp einem Jahr Geschäftsführer des Vereins zur Förderung der Stadt Temeswar, vertreten die Stadt auf den bedeutendsten Tourismusmessen in Europa und sind mit verschiedenen Tourismusbetreibern im Gespräch, damit diese Temeswar in ihre Angebote aufnehmen. 

Wir waren bisher auf vielen Tourismusmessen in Europa anwesend und werden auch weiterhin versuchen, für die Stadt so viel wie möglich zu werben. Darüber hinaus sind wir mit vielen Reisebüros und Tourismusbetreibern ins Gespräch gekommen. Wir arbeiten zusammen an Touristenpaketen und Angeboten. Mit der rumänischen Botschafterin in Berlin haben wir über die Möglichkeit eines Direktflugs Berlin – Temeswar diskutiert. Das würde die Stadt auch für polnische Gäste attraktiv machen. Und wenn es um Direktflüge geht, dann ist die Verbindung Temeswar – Tel Aviv sehr wichtig.
 

Erlebniswelten TM23


Eine subjektive Auswahl von Astrid Weisz

Kunstmuseum Temeswar
Retrospektive Paul Neagu 
(bis 15. April)
Victor Brauner: Erfindungen und Magie (bis 28. Mai)

Pygamlion-Galerie, bis 2. Mai
Notwendige Erinnerungen von Simion Lucaciu (Malerei)

Theresienbastei – Bushaltestelle
Cargo Berlin – Timișoara (mobiles Theaterstück, 18 Aufführungen bis 27. Mai)

Botanischer Park – A.I.Cuza-Straße
The Nomadic Photographic Project (Fotoausstellung von Lucy Winkelmann, bis 27. April)

Dienstag, 4. April
Synagoge Innenstadt, 19 Uhr
April’s „b“ fools (Banatul Philharmoniker geben Kammermusik mit Werken von J. S. Bach, B. Bartok, M. Blavet und L. Berio)


Mittwoch, 5. April
Studentenkulturhaus, 19 Uhr
KiNDLEiN live (Konzert mit deutschen, rumänischen und österreichischen Künstlern)

Donnerstag, 6. April
Victoria-Kino, 18:30 Uhr
Loving Vincent (Film zum 170. Geburtstag Vincent Van Goghs)

Nationaltheater Temeswar/ Uțu-Strugari-Studio, 19 Uhr
Orlando Trip (filmische Konzert-Show des österreichischen Duos „Fox on Ice“)

Arader Kulturpalais, 19 Uhr
Pietro Mascagni Cavalleria Rusticana (Konzertoper, Arader Philharmoniker, Dir. Mihnea Ignat)

Freitag, 7. April

„Banatul“-Philharmonie, 19 Uhr
Tschaikowsky&Brahms-Symphoniekonzert (Dir. Róbert Farkas, Solistin Rosanne Philippens an „Barrere“-Stradivarius-Geige, Baujahr 1727)

Samstag, 8. April

Victoria-Kino, 15 Uhr
Als Hitler das rosa Kaninchen stahl (Deutscher Kinderfilm 2021, Regie Caroline Link)

Arad, Ioan-Slavici-Theater, 18 Uhr
Menschen, die man nicht mehr liebt (Drama von Elise Wilk, Regie Leta Popescu)

Sonntag, 9. April

Rumänische Nationaloper, 19 Uhr
Der Fiedler auf dem Dach (Musical, Dir. Peter Oschanitzky)

Montag, 10. April

Deutsches Staatstheater Temeswar, 19:30 Uhr
Der Kirschgarten, von Tschechow (diesmal Teil der nationalen Kampagne „Künstler für Künstler“)