Seit wenigen Wochen zeigt das Jüdische Museum Berlin eine neue Dauerausstellung, deren Vorbereitungen mehr als zweieinhalb Jahre dauerten. Die letzte, 2001 eröffnete Dauerausstellung in dem Libeskind-Bau, der selbst ein Kunstwerk ist, zog insgesamt rund elf Millionen Besucher an. In Deutschland gibt es jüdische Museen zwar unter anderem auch in Frankfurt oder München, doch die Berliner Einrichtung ist die größte ihrer Art in Europa.
Dass während der Nazi-Zeit die Vernichtung von sechs Millionen europäischer Juden in der deutschen Hauptstadt geplant und angeordnet worden ist, setzt das Museum in ein besonderes Spannungsverhältnis zur Stadt. Die neue Ausstellung reflektiert jedoch nicht die Geschichte der Juden Europas, sondern befasst sich insbesondere mit jenen, die auf dem Gebiet Deutschlands gelebt haben und leben, selbst wenn dabei keine engen Grenzen gezogen werden können.
Ausstellung konkurriert mit dem Museumsbau
Lässt sich die Geschichte einer großen, wirtschaftlich und kulturell für Deutschland überaus bedeutenden Gemeinschaft überhaupt nachvollziehbar darstellen? Einer Geschichte, die mit dem größten Verbrechen der Menschheit quasi ein Ende nahm, bevor anfangs nur sehr zögerlich jüdisches Leben erneut Wurzeln schlagen konnte und es erst nach 1990 durch die Einwanderung von Juden aus der untergegangenen Sow-jetunion zu einer stärkeren Belebung der Gemeinschaften kam? Die Ausstellungsmacher standen vor einer Reihe von Widersprüchen, darunter jenem, dass durch die Vernichtung der Juden auch deren kulturelles Erbe zum gößten Teil zerstört und verstreut worden ist. Ein weiterer Widerspruch: In der jüdischen Kultur bedeuten Wort und Schrift fast alles, Bilder hingegen wenig. Und nicht zuletzt: Der mit Titanzink verkleidete Bau Daniel Libeskinds, der auch mit einem zerbrochenen Davidstern verglichen wurde, hat eine so starke Ausstrahlung, dass Ausstellungen kaum aus diesem Schatten heraustreten können.
In die Dauerausstellung selbst gelangt man durch das angrenzende Barockpalais und eine unterirdische Verbindung. Dem zickzackförmigen Grundriss des Baus entspricht eine unsichtbare Gerade. An den Kreuzungspunkten gibt es zahlreiche Leerräume, die das dreistöckige Gebäude vertikal durchziehen. Sie sind nicht klimatisiert und größtenteils werden sie auch nicht künstlich beleuchtet. Sie stehen für die Vertreibung und Vernichtung der Juden und machen mit den Mitteln einer beklemmenden Formensprache der Architektur den Verlust erlebbar. Im Untergeschoss kreuzen sich die Achse des Exils, die des Holocausts und die Achse der Kontinuität. Die letzte führt über einen spektakulären Treppenaufgang zum Eingang der Ausstellung.
Interaktion durch multimediale Mittel
Anders als früher erzählt diese die Geschichte der Juden auf dem Gebiet Deutschlands vom Mittelalter bis heute nicht mehr chronologisch. Themenräume machen den Besucher mit einzelnen Aspekten, mit kulturellen Traditionen und dem Stellenwert der Religion vertraut. So ist beispielsweise an zentraler Stelle eine Tora-Rolle ausgestellt. An die Stelle einer didaktischen Aufbereitung und der unvermeidlichen Überflutung mit Informationen ist die Interaktion getreten, die durch die heute zur Verfügung stehenden multimedialen Mittel möglich geworden ist. So gibt es Klanginstallationen, die einen Einblick in den religiösen Alltag vermitteln, es gibt ein „Weimarer Kino“, in dem der immense Beitrag deutscher Juden zur Kultur in der Zeit der Weimarer Republik aufscheint, oder man kann mit Hilfe einer virtuellen Brille durch Synagogen spazieren gehen, die heute nicht mehr existieren.
Einiges kommt jedoch trotz des neuen Ausstellungskonzepts zu kurz oder wird in der verkürzten Darstellung aus dem Kontext gerissen, der das Einzelne erst verständlich machen könnte. Ein Bild, das den Schriftsteller und Erneuerer der deutschen Dramaturgie, Gotthold Ephraim Lessing und den Philosophen Moses Mendelssohn zeigt, sagt wenig über die Rolle jüdischer Intellektueller für die deutsche Aufklärung aus. Ebenso wenig vermag das herrliche Porträt „Petermannchen“, das Lovis Corinth von seiner späteren Frau Charlotte Berend schuf, etwas über das Arbeitsverbot und die Zerstörung der Existenz tausender jüdischer Künstler durch die Nazis zu vermitteln. Auch die Porträts jüdischer Unternehmer aus der Zeit des Deutschen Kaiserreichs vermögen nichts über ihren Beitrag zum wirtschaftlichen Fortschritt einer ganzen Gesellschaft aussagen. Erstrecht schwierig ist es, ein Thema wie die Vernichtung der deutschen und europäischen Juden anschaulich zu machen, ohne bereits Bekanntes nur zu wiederholen. Es gibt Vitrinen mit Dokumenten aus Ghettos und Vernichtungslagern sowie riesige Metallplatten mit Zahlen und der Darstellung der Länder und Regionen, aus der Juden deportiert wurden. 295.000 Menschen waren es, die vom Gebiet des heutigen Rumänien verschleppt und getötet wurden.
Eine „Hall of Fame“ der „Weltstars“
In der neuen Dauerausstellung gibt es auch eine „Hall of Fame“, eine Ruhmeshalle, mit „Weltstars“, wie sie dort bezeichnet werden. Zu sehen sind die Bilder von Dutzenden Künstlern jüdischer Abstammung, darunter der Dichter und Musiker Leonard Cohen, der vor allem als Fotograf des Spanischen Bürgerkriegs bekannte Robert Capa, die Philosophin Hannah Arendt, der Physiker Albert Einstein, der Dichter und Schriftsteller Arthur Miller, der in der Bukowina geborene Paul Celan, Heinrich Heine oder der Nobelpreisträger Elias Canetti. Selbstverständlich kann man sich über jeden von ihnen informieren, wenn einem Werke und Namen nicht bereits vertraut sind. Doch waren sie „Weltstars“? Mit dem Begriff aus der Show- und Medienwelt soll wohl das Interesse Jugendlicher geweckt werden, den Persönlichkeiten selbst wird er bestenfalls augenzwinkernd gerecht. Zuletzt wird eine Videoinstallation gezeigt, in der Jüdinnen und Juden aus aller Welt über ihr Leben in Deutschland sprechen. Verabschiedet werden die Besucher mit einem Zitat des Philosophen Ernst Bloch, in dem das Leid der Vertreibung deutlich wird: „… so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“