Transparente blaue Seepferdchen mit gelben Flossen zieren den Rand des hauchzarten Gebildes in Rosa. Ein Weinglas, soviel ist erkennbar. Doch den Zweck des türkisblauen Gefäßes daneben, verziert mit winzigen gelb-weißen Blümchen, kann man sich nicht mehr vorstellen. Egal, aus venezianischem Murano-Glas wird schließlich nicht wirklich getrunken. Nicht einmal König Karl I. tat dies, der die kostbare Kollektion aus Glas und Keramik begonnen hatte. Und auch nicht Königin Maria, seine Schwiegertochter, Ehefrau von Ferdinand I., die sie ab 1914 begeistert fortsetzte. Gesammelt wird aus einer seltsamen Leidenschaft heraus: einer Mischung aus Kunstverstand, Jagdtrieb und Liebe zum Dekor. Das Seepferdchenglas und andere wertvolle Exemplare der Glas- und Keramikkunst aus ganz Europa zierten einst Schloss Pele{, den Sommerpalast des rumänischen Königshauses. Vom 27. Januar bis 16. Mai tun sie dies wieder: Im Schlossmuseum kann man ausgewählte Prachtstücke der zur Kollektion gehörenden über 5000 Keramik- und 1500 Glasobjekte bestaunen.
Die Eröffnung der Ausstellung „Künste des Feuers“ lockt trotz klirrender Kälte und Schnee zahlreiche Besucher in den Winterzauber: Der Festsaal des Schlosses in Sinaia ist berstend voll. Nur dass die empfindliche Kühle den Titel der Ausstellung ein wenig ironisch erscheinen lässt, schmunzelt Akademiemitglied Răzvan Theodorescu, der die Ausstellung zusammen mit dem Generaldirektor des Museums, Narcis Dorin Ion, sowie dem dortigen Direktor für Kulturerbe, Mircea Hortopan, und dem Museologen Ioan Opriş eröffnet. Für Theodorescu war es eine Überraschung, zu entdecken, dass König Karl I. elegante italienische Keramikkunst sammelte und „nicht nur Bierkrüge mit Bismarck drauf“. Während die holzvertäfelten Räume des Peleş-Schlosses eher Zinnkaraffen und Feldflaschen im deutschen Renaissance-Stil oder im wieder aufgelegten Stil des deutschen Mittelalters zierten, ist Königin Maria als große Liebhaberin des Jugendstils bekannt. Neben neokeltischen Objekten hat sie sich in ihrem Wohnschlösschen Pelişor gerne mit Tiffany und Gallé umgeben. Glanzstücke ihrer Sammlung und Teil der Ausstellung sind etwa der Lampenschirm „Wisteria“ von Louis Comfort Tiffany in Form eines blaugrünen Blütenbaums, eine kurze Serie, von der es heute weltweit nur noch fünf Stücke gibt. Und dies, obwohl der Tiffany-Stil damals gerade erst zaghaft begonnen hatte, Paris zu erobern. Oder die in warmen Farben leuchtende Vase von Emile Gallé mit dem suggestiven Namen „Paradiesische Muse“. Woher das zielsichere Kunstgespür der Britin mit den russischen Wurzeln? Theodorescu beantwortet seine Frage selbst: Die Königin hatte eine Schwester in Darmstadt, von dort soll eine Reihe neuer Inspirationen in ihr Blickfeld geraten sein.
Weil in den engen Museumsräumen nur ausgewählte Exponate Platz fanden, präsentiert Narcis Dorin Ion einen 256 Seiten starken Ausstellungskatalog zu „Künste des Feuers“ („Artele focului, ceramică şi sticlă din colecţiile Muzeului Naţional Peleş„ Monitorul Oficial, ISBN 978-973-0-25786-1), der weitere Stücke der „bedeutendsten und kohärentesten Sammlungen dekorativer Kunst in Rumänien“ ihren berühmten Herkunftsateliers zuordnet.
Europäische Kunstsammlerwelt
Auf den ersten Blick fällt auf, wie „europäisch“ schon damals die Welt der Kunstsammler in der Zeit von 1866 bis 1947 war. Hersteller von Keramik lieferten vor allem aus Spanien, Holland oder England, Fayence kam aus Italien oder Frankreich. Aus der Korrespondenz von Karl I. ist ein ausführlicher Briefwechsel des Rumänischen Königshauses von 1884 mit dem genuesischen Fayence-Fabrikanten Alberto Issel (1848-1926) erhalten. Feinstes Porzellan hingegen wurde meist aus Werkstätten in Deutschland, Österreich oder Böhmen bestellt. Doch auch Kunst aus St. Petersburg oder aus dem ungarischen Hause Zsolnay-Pecs erfreute sich großer Beliebtheit.
Erstanden wurden die Kostbarkeiten auf Auslandsreisen. Aber auch Händler legten Kataloge von Kunstfabrikanten mit Zeichnungen und Gravuren oder Prototypen bestimmter Arbeiten im Königshaus vor. „Dann konnte der Besteller noch Detailwünsche äußern, hier ein Wappen, dort eine Widmung oder eine Inschrift“, erklärt Hortopan. Schmunzelnd fügt er an: „Man kam damals auch ohne Internet ganz gut zurecht.“
Heimische Glas- und Keramikkünstler
Doch auch die heimischen Hersteller erfreuten sich königlicher Wertschätzung. Königin Maria, die sich selbst gerne künstlerisch betätigte, unterstützte ganze Zweige des Kunsthandwerks in Rumänien. Die von ihrem Schwiegervater begonnene Sammlertradition setzte sie mit großer Leidenschaft fort, auch wenn die Geschmäcker durchaus differierten. Über die Fabrikanten in Rumänien weiß man heute nicht mehr viel, bedauert Mircea Hortopan. Nur, dass das Königshaus regelmäßig Glas aus den Fabriken in Azuga und Mediasch bestellt hatte - traditionelle Sets oder moderne Stücke im Art Deco Stil. Ein letzteres aus dem Besitz von Königin Elena, der Mutter von König Michael I., ist ebenfalls Teil der Ausstellung. Ein weiteres Exponat aus Rauchglas stammt aus Azuga, aus der Zeit, als Emerico Montesy, ein Einheimischer mit italienischen Wurzeln, dort künstlerischer Direktor war.
Montesy hatte in Nancy bei den berühmten Daum-Brüdern und bei Émile Gallé Glaskunst studiert. In Periş hingegen gab es Anfang des 20. Jahrhunderts eine königliche Keramikproduktion namens „Troiţa“. Ein schlichtes Gefäß derselben, datiert auf 1930, mit naiven, offenbar von der griechischen Mythologie inspirierten Szenen, ist in der Ausstellung zu sehen. Es stammt vermutlich aus der Hand eines einfachen Töpfers. Auch die berühmte Künstlerin Nora Steriadi hat ihre Werke ans Königshaus geliefert, in der Ausstellung findet sich in der gleichen Vitrine eine Vase von ihr. Steriadi gehörte zu den engeren Kreisen der Königin und war auch mit Martha Bibescu befreundet.
Vom Bartmannskrug zu Millefiori-Perlen
Das Herzstück der Sammlung bildet die europäische Keramik, allen voran die Fayence-Kunst als Ausdruck der ideologischen Werte der Renaissance. Einige Exponate aus Spanien stammen aus dem 17. Jh., andere aus dem 19. Jh., bemalt mit heraldischen Motiven in kobaltblau, braun oder ocker, aus den Ateliers in Toledo, Salamanca und Talavera. Im 19. Jh. dominierte dann die italienische Keramik den Markt, ihre Kunden sind fast alle europäischen Königshöfe. Repliken antiker Keramik aus Italien erfreuten sich besonderer Beliebtheit. Fayence-Hersteller Alberto Issel in Genua (1884-85) sowie die Manufattura di Signa, die Terracotta in Florenz produzierte, zählen zu den wichtigsten Lieferanten des Rumänischen Königshauses. Französisches Porzellan deckte eine große Palette an damals gefragten Stilrichtungen ab, von chinesisch über Rokoko-Figürchen, Neoklassizismus, bis Empire Stil und Jugendstil. Berühmte Ateliers gab es in Sèvres, Paris, Saint-Claude und Chantilly.
Auch Johann Friedrich Böttger, mutmaßlicher Erfinder des europäischen Hartporzellans, hergestellt in Meißen, hat seine Spuren in Peleş hinterlassen. Weitere berühmte deutsche Häuser aus Nymphenburg, Ilmenau, Rosenthal, Volk-stedt, Mettlach , Lonitz, Hamburg, Berlin, Grenzhauser, Villingen und Frankenthal belieferten den rumänischen Hof. Die nationale Bewegung zur Wiederbelebung Deutschen Bewusstseins 1871 führte schließlich auch zu einem Revival der blau-grau-weißen Westerwälder Steingut-Töpferei, deren Produktion im 16 Jh. ihren Höhepunkt hatte. Typischer Vertreter deutscher Steingutkunst ist der Bartmannskrug, ein bauchiger Krug mit bärtigem Gesicht, die symbolische Bedeutung ist unter Kunsthistorikern umstritten.
Was Glaskunst betrifft, ragt die Manufaktur von Giulio und Amalia Salvatti in Murano, Venedig, mit ihren von Meerestieren und Drachen inspirierten Kreationen, Blumengirlanden und Millefiori-Perlen, heraus. Berühmte Künstler, bei denen vor allem Königin Maria bestellte, waren Émile Gallé, René Lalique, Auguste und Jean-Antonin Daum, Louis Comfort Tiffany, Christian Desiré, Jean Hall, G. Argy-Rousseau und Almaric Walter, die mit repräsentativen Stücken in der Ausstellung vertreten sind.
Auch Stücke von Maria Alexandrowna, Tochter des Zaren Alexander Romanov und Mutter von Königin Maria, die den Byzanz-Stil liebte, gehören zur Kollektion. Neben der Sammlung des Königshauses kaufte auch das Museum zwischen 1969 und 1974 weitere Stücke von privaten Kunstsammlern aus Bukarest, Kronstadt/Braşov und Rosenau/Râşnov, vor allem Glaskunst von Gallé, Daum und Lalique.
Leise rieseln Schneeflocken über die winterliche Berglandschaft. Schloss Peleş erstrahlt, beleuchtet wie ein Kristall, umrahmt von knorrigen Bäumen, die ihre Äste in die klirrend kalte Nacht strecken. Der Spaziergang zum Bahnhof, vorbei am orthodoxen Kloster, gibt einem Gelegenheit, die Eindrücke der „feurigen Künste“ still und leise Revue passieren zu lassen. Adieu, Sinaia! Bis zum Juni, wenn die nächste große Ausstellung ruft: In dieser - und nur so viel wird verraten - geht es um Königin Maria.