Rumänien scheint nun endgültig im deutschen Film angekommen. Neben den beiden Streifen aus den Sparten Jugendfilm und Roadmovie „Nellys Abenteuer“ (Regie: Dominik Wessely) und „Tschick“ (Regie: Fatih Akin), die Rumänien als Reiseziel und Abenteuerraum inszenieren, ist in diesem Jahr auch Maren Ades Film „Toni Erdmann“, der zu einem großen Teil in Bukarest spielt, in die europäischen Kinos gekommen. Sein Kinostart in Rumänien ist der heutige 21. Oktober.
Im vergangenen Mai wurde „Toni Erdmann“ in Cannes begeistert gefeiert, doch die Goldene Palme des Internationalen Filmfestivals blieb dem mit 162 Minuten überlangen Streifen verwehrt. Nun richten sich die Hoffnungen der „Toni Erdmann“-Fans auf die nächste Verleihung der Academy Awards, bei der Maren Ades Film um den Oscar für den besten fremdsprachigen Film ins Rennen geht.
Filmkomödien, und als eine solche wird „Toni Erdmann“ gehandelt, sind in ihrer Wirkung auf das Publikum per se permanent gefährdet, denn wenn alle Augen trocken bleiben und keiner so richtig lacht, ist der Film meist kaum noch zu retten. Außerdem sind Komik und Humor recht diffizile Angelegenheiten, die gerade im Falle feinen Humors und subtiler Komik ständig von der Gefahr des Scheiterns bedroht sind. Besonders schwierig wird es, wenn die Filmgestalt, die im Mittelpunkt der Komödie steht und Heiterkeit erregen soll, selbst unbeirrt ernst bleibt. Dann bedarf es schon des Talents eines Buster Keaton, der trotz oder gerade wegen seines ernsten und stoischen Gesichtsausdrucks das Publikum zu Lachstürmen hinriss.
Das ist bei „Toni Erdmann“ nun nicht gerade der Fall. Die Hauptfigur Ines, grandios verkörpert von Sandra Hüller, scheint wenig humor- und komikaffin zu sein, allenfalls das Groteske oder Skurrile nötigt ihr hier und da den einen oder anderen kurz hervorgestoßenen Lacher ab, der auch als unwilliges Räuspern durchgehen könnte. Ines’ humorlose und unbewegliche Charaktermaske wird freilich vor dem Hintergrund ihrer familialen Sozialisation mehr als verständlich, denn ihr Vater Winfried, verkörpert von Peter Simonischeck, ist ein ‚Scherzkeks’, der seine Umwelt mit oftmals deplatzierten Späßen ständig zum Lachen bringen will, was ihm seine Tochter auch entrüstet vorwirft: Anstatt sich wie sie, die als Unternehmensberaterin eine glänzende Karriere vor sich hat, ehrgeizig ein Ziel zu setzen und im Leben vorwärtskommen zu wollen, gehe es dem Vater, einem desillusionierten Musiklehrer, nur noch darum, Sparwitze zu reißen und „anderen Leuten ein Furzkissen unterzuschieben“. Winfrieds Spezialität, sich vermittels einer Perücke und eines schiefen künstlichen Gebisses à la Loriots Maskenmonster immer wieder in sein vermeintlich lustiges Alter Ego zu verwandeln, ist Ines schon seit Langem unerträglich geworden, und so kontert sie des Vaters gewollte Späße störrisch und trotzig mit eiserner Miene. Kein Wunder, dass aus dieser Konstellation für den Zuschauer kaum ein Humorfunken herauszuschlagen ist, ein Manko, das selbst durch komische Ideen der auch als Drehbuchautorin fungierenden Regisseurin (Nacktparty als Teambuilding-Veranstaltung, Masturbation mit Ejakulation auf Pralinés, phallisch servierter Champagner etc.) kaum wettgemacht wird.
Reißt man dem Film Maren Ades jedoch seine falsche komödiantische Maske weg, so wird man Zeuge eines grandiosen Vater-Tochter-Dramas, einer spannungsgeladenen Kampfbeziehung, eines Ringens um Nähe, bei dem sich Vater wie Tochter kaum aus der Distanz hervorwagen, und wenn, dann auch nur mit größter Aggressivität, die jene Distanz nicht nur sogleich wieder herstellt, sondern sie zudem noch weiter vergrößert. So provoziert der Vater die Tochter mit dem Satz „Bist du eigentlich ein Mensch?“, und diese bestraft ihn dafür mit totaler Nichtbeachtung und absoluter Nichtachtung. Tragischer können Kinder und Eltern nicht voneinander entfernt sein. Doch der Film zeigt, wie diese beiden Antipoden dennoch unmerklich aufeinander zugehen und wie ihre verschlossenen Charaktere am Ende einander doch noch begegnen.
Die Handlung des Films ist schnell erzählt. Er schildert drei Begegnungen von Vater und Tochter: die erste im Rheinland anlässlich einer vorgezogenen Geburtstagsparty für Ines im Haus ihrer nach der Scheidung von Winfried wieder verheirateten Mutter; die zweite in Bukarest und im Kreis Buzău, wo Ines als Beraterin einer Erdölfirma berufstätig ist; und die dritte, wieder in Deutschland, beim Begräbnis von Ines’ Großmutter väterlicherseits. Beim Besuch der Tochter in Rumänien verwandelt sich der Vater, um Ines nahe sein zu können, unter dem Alias Toni Erdmann unablässig in jenes Maskenmonster, das im besten Schwarzenegger-Englisch parliert und sich abwechselnd als Geschäftsmann, als Management-Coach, als Firmenvorstand und Freund von Ion }iriac, ja sogar als deutschen Botschafter ausgibt und in diesen verschiedenen Hypostasen seine Tochter gegen ihren Willen wie ein Stalker überallhin begleitet, immer mit dem unausgesprochenen Vorwurf auf den Lippen, dass sie ihr Leben vergeudet, weil sie nicht wirklich zu leben versteht.
Interessant wird der Film vor allem in dem Moment, wenn die Tochter plötzlich den Spieß umdreht und ihrerseits Toni Erdmann zu ihren Geschäftsterminen mitnimmt, zum Beispiel zum Treffen mit Herrn Iliescu (Vlad Ivanov). Höchst gelungen ist auch die Filmsequenz, die den Besuch von Vater und Tochter in der Wohnung der Rumänin Flavia (Victoria Cociaş) schildert. Der Song, den Ines alias Whitney Schnuck bei dieser Gelegenheit, von ihrem Vater am Keyboard begleitet, zum Besten gibt – „The Greatest Love of All“ von Michael Masser – ist der absolute Höhepunkt des Films, weil er in und mit der Musik die Nähe und zugleich die Ferne zwischen Vater und Tochter schmerzvoll zum Ausdruck bringt, insbesondere in den Schlusspassagen des Songs, die Ines förmlich hinausschreit, bevor sie unmittelbar darauf überstürzt aus Flavias Wohnung flieht und den Vater dort alleine zurücklässt.
Bukarest ist in „Toni Erdmann“ omnipräsent: die Innenstadt mit ihren Sehenswürdigkeiten, das Finanz- und Businesszentrum der rumänischen Kapitale, die Halbwelt wie die Luxuswelt, Straßen und Plätze, Hotels und Malls, Spas und Shops, Bars und Discos, Wohnungen von Einheimischen wie Ausländern. Deutsche und rumänische Schauspieler harmonisieren in diesem Film auf gelungene Weise. Vor allem die junge (auch des Deutschen mächtige) rumänische Schauspielerin Ingrid Bisu, die Ines’ Assistentin Anca verkörpert, ist hier in einer gewichtigen Nebenrolle zu sehen. Aber die Bühne des Films gehört von Anfang bis Ende einzig und allein Sandra Hüller, die hier die Charakterstudie einer sich durch Arbeit vor dem Leben retten wollenden Tochter mit Bravour ans Licht des Kinodunkels bringt. Wer verhaltene Emotionen, verdrängte Gefühle, verstecktes Hoffen und verfehltes Wünschen derart grandios darzustellen weiß, empfiehlt sich noch für ganz andere darstellerische Glanz- und Meisterleistungen, auf die sich das Kinopublikum heute schon freuen kann.