Der vorliegende Band „Liedgut und Bräuche aus dem Wassertal“ (Valea Vasărului, in der Maramuresch) knüpft an den bedeutsamen Sammelband „Karpatenbeeren. Bairisch-österreichische Siedlung, Kultur und Sprache in den ukrainisch-rumänischen Waldkarpaten“, Linz 2006, an. Es ist bereits die vierte unter den vom Theologen und Volkskundler Anton-Joseph Ilk angeregten „Veröffentlichungen zu den Zipsern im Wassertal“, die das Kulturgut und die Leistungen der Oberwischauer Zipser für die interessierte Nachwuchsgeneration und gleichfalls für die wissenschaftliche Fachwelt dokumentieren. Die Reihe umfasst die 2009 erschienene „Geschichte des deutschen Schulwesens von Oberwischau“ (von Anton-Joseph Ilk und Johann Traxler), gefolgt von Ilks Band „Die mythische Erzählwelt des Wassertales“, 2010. Im Jahre 2014 schloss sich „Die Entstehung des Waldwesens im Wassertal“ von Gertraude Schmitzberger an, während Ende 2015 der vierte Band folgte: „Liedgut und Bräuche aus dem Wassertal“.
Für das imposante Buch von 500 Seiten setzte Johann Traxler 235 Lieder aus den Tonbandaufnahmen von Ilk auf Noten, während der promovierte Ethnologe Anton-Joseph Ilk die Transkriptionen kommentierte und das weltliche und kirchliche Brauchtum seiner Heimatstadt ausführlich beschrieb. Der Untertitel zu dieser lebenslangen Forschungsarbeit präzisiert: „Weltliche und geistliche Lieder der Oberwischauer Zipser, eingebettet in deren Traditionen“. Hier wird dieser zum Großteil ausgesiedelten und zerstreuten Volksgruppe in multikulturellem Umfeld ein Denkmal gesetzt. Das beweist die besondere Bedeutung dieser Veröffentlichung.
Doch besprechen wir den vierten Band der Reihe nach, zuerst das Liedgut der deutschen Oberwischauer (222 Seiten). Es ist eigentlich ein wertvoller Begleiter des Brauchtums und kein eigenständiger Abschnitt. Nach ihrem Umfang umfassen die Lieder zwischen zwei, drei Zeilen und bis zu 34 Seiten (Matthäus Passion, am Palmsonntag). Die Sprache des Textes ist Deutsch, Lateinisch (Kirchenlieder), enthalten sind ferner drei jiddische und zwei zipserische Lieder, wobei in die Liedtexte, im vielsprachigen Umfeld, slowakische und ukrainische, ungarische und rumänische Lexeme eingeflossen sind und in Fußnoten gewissenhaft erläutert werden. Die Lesbarkeit der Texte ist durch ihre literarische Transkription (lediglich mit einem Sonderzeichen å für dunkles a) gewährleistet. Die wissenschaftliche Aufgliederung der Materie umfasst: weltliche Lieder, religiöse Lieder durchs Jahr und gregorianische Gesänge; Kirchenlieder (mit einer Abhandlung über Art und Funktion deutscher Gebet- und Gesangsbücher), Gelegenheitslieder usw. Die umfangreichen Erläuterungen zu jedem Lied umfassen dessen Herkunft (Sängerin bzw. Sammlung, Handschrift u. ä.), Tonaufzeichnung (Ilk bzw. Traxler), den Standort (Phonographisches Archiv Ilk, auch Traxler, Oberösterreichisches Landesarchiv und Oberösterreichisches Volksliedwerk); Einordnung, Kommentar, Vergleiche usw.
Danach folgt das Brauchtum. Die Gliederung dieses Abschnitts (von 208 Seiten) umfasst weltliche Bräuche, verbunden mit kirchlichen Feiern im Jahreskreis, sowie das Kirchenjahr mit seinen Abschnitten. Genau genommen umfasst der Band drei Themen, die eigenständig ausgebaut werden könnten und zwar: Liedgut, Brauchtum und Bildteil (von Anton-Joseph Ilk). Dieser umfasst auf fünfzig Seiten 105 schwarz-weiße Fotografien, die mit entsprechenden Kommentaren eine eigene geografisch-volkskundliche Dokumentation ergeben würden. Ihre Thematik umfasst: Landschaftsbilder, Kirchen u. a. Gebäude, Friedhöfe, Wohnhäuser aus Oberwischau, Hochzeits- u. a. Gruppenfotos, Begräbnisbilder, Ministranten, Requisiten und Darsteller von Weihnachtsspielen, Seiten von Gebetbüchern, handschriftliche Liederhefte – kurz ein Querschnitt durch Leben, Denken und Fühlen der Oberwischauer Deutschen während ihrem 200-jährigen Dasein in einer multikulturellen Umwelt, mit seinem ständigen Geben und Nehmen.
Die zahlreichen Fußnoten enthalten akribisch dokumentierte Hinweise zum Text, und die Kommentare zu jedem Lied übersteigen oft den Umfang des Liedteils. Etwa die Erläuterungen zum Lied „Es ist ein Ros’ entsprungen“ umfasst eine dreiviertel Seite und ist eine ganze Abhandlung. Auch das Abkürzungsverzeichnis ist komplett und korrekt. Das Literaturverzeichnis umfasst auf sieben Seiten die wesentlichen Quellen und Schriften. Insgesamt ein sauber gearbeitetes und dargebotenes Werk, das anderen Sprachinseln in Südosteuropa als Vorbild dienen könnte.