Wie schon im vergangenen Jahr, so lud der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Rumänien, S.E. Cord Meier-Klodt, gemeinsam mit seiner Gattin, Gladys Abankwa-Meier-Klodt, auch in diesem Jahr wieder Freunde und Bekannte in seine Residenz, um mit ihnen gemeinsam den ersten Märztag und den damit verbundenen Brauch des ‚mărțișor’ (dt. Märzchen) zu feiern. Nicht nur in Rumänien, auch in der Republik Moldau, in Bulgarien und Griechenland erhalten an diesem Festtag hauptsächlich Frauen, oft in Verbindung mit Blumen, aber auch Kinder einen kleinen Anhänger mit rot-weißer Schnur, der als Talisman oder Glücksbringer dient und der auch noch während der folgenden Märztage an einem Kleidungsstück befestigt getragen wird.
In diesem Jahr konnten sich die Damen, die in die festlich erleuchtete Botschafterresidenz geladen waren, besonders freuen, weil sie zur Begrüßung ein Märzchen erhielten, das von Gladys Abankwa-Meier-Klodt nicht nur entworfen, sondern auch selbst gefertigt worden war. Es handelte sich um eine Kombination aus einer ghanaischen Glasperle, in Anspielung auf das Land, in dem die Botschaftergattin einst aufwuchs, und zwei rumänischen ‚mucenici’ (dt. Märtyrer), als Hommage an das Land, in dem die Botschaftergattin derzeit lebt. Die Perle und die beiden, statt mit Zimt mit glitzerndem Goldstaub bestreuten, ‚mucenici’ in der Form einer liegenden „8“ waren durch die traditionelle rot-weiße Schnur zusammengehalten und mit einem rot-weißen Schleifchen drapiert. Am Ende des Märzchen-Abends konnte man die ‚mucenici’ in ihrer muntenischen Variante, aus Walnüssen, Vanille und Zimt komponierte Süßspeise, auch kulinarisch genießen, die traditionellerweise am 9. März im Gedenken an die vierzig christlichen Märtyrer von Sebaste verspeist wird, oft auch in ihrer moldauischen Variante als mit Honig bestrichenes und mit Walnüssen garniertes Gebäck.
Neben dem leiblichen Wohl durch die gereichten Speisen und dem seelischen Wohl durch die in der Residenz geführten Gespräche war auch für das geistige und kulturelle Wohl der Gäste gesorgt. Der deutsche Botschafter hatte die rumänische Folkloremusikgruppe „Trei parale“ (Drei Groschen) eingeladen, die den Zuhörern mit einem Konzert der besonderen Art großen Genuss bereitete. Die Formation „Trei parale“ besteht in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung seit mittler-weile vierzehn Jahren und hat sich zum Ziel gesetzt, rumänische kulturelle Traditionen im Bereich der Musik zu erforschen, zu erhalten und fortzuführen, nicht nur durch Konzertauftritte, sondern auch durch eigene wissenschaftliche Studien. So ist etwa Florin Iordan, der am Abend des ersten März in der Botschafterresidenz die Flöte spielte, den Dudelsack blies und die Laute schlug, Ethnomusikologe am Rumänischen Bauernmuseum. Beatrice Iordan, von ihrer Ausbildung her Puppenspielerin und in der Kreativwerkstatt des Rumänischen Bauernmuseums tätig, zupfte an diesem Abend die Laute (rum. cobză) und strich den Kontrabass, während Mihail Balaba{ auf der Geige brillierte. Daniel Pop schließlich sang, erzählte, blies die Flöten (mit und ohne Grifflöcher) und bearbeitete mit Fingern und Händen die Trommel. Durch das Programm des Abends führte Florin Iordan, dessen Ausführungen in rumänischer Sprache von Daniel Pop auf Deutsch wiedergegeben wurden.
Das Konzert widmete sich zunächst rumänischer Musik aus dem 19. Jahrhundert, die u. a. von Anton Pann gesammelt worden war, dem großen rumänischen Lyriker, Komponisten und Musikwissenschaftler, der sich daneben auch als Sammler klassischer ottomanischer Musik sowie der Musik der Roma Verdienste erworben hat. Es erklangen zwei Liebeslieder, in denen die Sehnsucht, die Schönheit und die Sinnlichkeit besungen wurden. Dabei war es ein Genuss, die in der rumänischen Volksmusik, aber auch in der Musik des Orients verwendeten Vierteltöne zu hören und den balkanischen kulturellen Synkretismus bzw. den musikalischen Alexandrinismus jener Zeit aus diesen Liedern herauszuspüren.
Der nächste Teil des Konzertes des Ensembles „Trei parale“ war einer speziellen lyrischen Form der rumänischen Volksmusik gewidmet, der sogenannten ‚doina’, die Gefühle der Sehnsucht, der Liebe, aber auch des Jammers und Elends wie auch der Revolte in sich vereinigt und diese höchst theatralisch und mit viel Gefühl musikalisch zum Ausdruck bringt. Nicht von ungefähr haben viele Rumänen die Sehnsucht (rum. dor) zum Hauptwesenszug des rumänischen Nationalcharakters erklärt, wobei der Komponist George Enescu diese spezifisch rumänische Sehnsucht als „Traurigkeit inmitten der Freude“ deutete. Als die charakteristische musikalische Form, in der diese Sehnsucht melodisch Gestalt erlangt, wird eben die rumänische Volksballade, die ‚doina’, betrachtet.
Daniel Pop sang aber nicht nur jene lyrische ‚doina’ mit dem schönen Titel „Vară, vară, primăvară“ (Sommer, Sommer, Frühling), sondern er brillierte auch stimmlich (Wechsel von Brust- und Kopfstimme, Stimmüberschlag) mit einer zum Teil im Sprechgesang vorgetragenen Ballade, in der erzählt wird, wie sich ein Schäfer auf die Suche nach seinen Schafen begibt. Zwischendurch gab es dann immer wieder reine Instrumentaleinlagen, bei denen vor allem die Geige, aber auch der Dudelsack und die Flöten zur Geltung kamen. Besonders eindrücklich waren die Klänge der Obertonflöte, die weder Grifflöcher noch Klappen kennt, sondern ausschließlich Naturtöne hervorbringt, welche durch die unterschiedliche Art des Anblasens erzeugt werden, teilweise auch unter Einsatz des Kehlkopfes. Daniel Pop erwähnte in einem seiner Zwischenmoderationen die musikgeschichtliche Tatsache, dass zur Zeit der kommunistischen Epoche in Rumänien die traditionelle, historisch weit zurückreichende, dabei wild, fremd, archaisch und höchst faszinierend anmutende Anblastechnik als grob und unkultiviert stigmatisiert und verboten wurde, sodass es heute, auch noch drei Jahrzehnte nach dem Ende des kommunistischen Regimes, immer noch große Schwierigkeiten bereite, jene alte und ursprüngliche Stimm- und Spieltechnik in der Folkloremusikkultur Rumäniens wieder zu verankern.
So war der Abend in der Botschafterresidenz nicht nur gesellig und unterhaltsam, nicht nur sinnlich und genussvoll, sondern auch lehrreich und bildend. Besonders schön war, dass man in einer deutschen Residenz vor internationalem Publikum eines rumänischen Musikerlebnisses echter, unverstellter und authentischer Provenienz teilhaftig werden konnte: das vielleicht schönste Märzchen des gelungenen und erfüllenden Konzert- und Begegnungsabends!