Nur ein harziger Bratschenklang ist ein richtiger. Obwohl die C-Saite das närrische Streichinstrument verkörpert, sind dennoch zehn Finger eines Menschen nötig, der die kleineren Drehzahlen der als ´Diesel-Geige´ verhätschelten Bratsche für voll nimmt und es der Musikwelt um die Ohren schallen lässt: Ohne uns wäre eure Freude am Zuhören nur halb so groß! Schon vom Dichter der „Winterreise“ für Männerstimme und Klavier ist bekannt, dass er im Quartett am liebsten die Bratsche auspackte – nachzulesen im Schmöker „Schubert. Zwölf Moments musicaux und ein Roman“ von Peter Härtling. Und bei Nachrede über Schumann darf nicht vergessen werden, dass die Erbschaft des Neurotikers nicht allein aus Bollwerken wie der Sinfonie Nr. 3 in Es-Dur (die „Rheinische“), dem Klavierkonzert in a-Moll und dem Cellokonzert besteht, sondern auch die „Märchenbilder“ für Viola und Klavier einschließt. Mit auf die Liste gehören Paul Hindemiths „Schwanendreher – Konzert nach Volksliedern für Viola und Kammerorchester“ und Béla Bártoks 1949 uraufgeführtes Konzert für Viola und Orchester, dessen Fertigstellung wegen des Todes des Komponisten 1945 zum spannenden Disput um zwei Aufführungsvarianten auf Basis ein und desselben Entwurfs wurde und noch immer ist.
Meist werden Klavierschlachten eines Beethoven oder Brahms geschlagen, geigerische Mutproben von Tschaikowsky und Schostakowitsch bestanden und die unstillbaren Kräfte aus Dvoráks Cellokonzert gemessen. Schließlich steht etwas auf dem Spiel, wenn ein Stück nebst Solopart nicht nur von Einleitung und siegreicher Tutti-Kadenz lebt. Bratscher Cecil Forsyth (1870-1941), Musikwissenschaftler und Komponist britischer Tradition, hat entgegen aller Erfolgsrezepte sein Konzert für Viola und Orchester in g-Moll nicht als Kassenschlager aufgestellt. Interpreten, die sich trotzdem damit befassen und das Publikum für eine nicht auf Prunk zielende Kostbarkeit begeistern wollen, haben es heute doppelt schwer. Nicht so jedoch Gabriel Silișteanu, Solo-Bratscher der Staatsphilharmonie Hermannstadt/Sibiu seit wenigen Jahren, charakterlicher Gegenpol seines Ruhe bevorzugenden Vorgängers Nicolae Modog und stets aufgeregt Suchender, dem Donnerstag-abend, am 30. Januar, im Thaliasaal in Begleitung des hauseigenen Ensembles eine nicht zu überbietende Aufführung des Bratschenkonzertes von Forsyth gelang.
Die Ellenbogentechnik des Solisten traf ins Schwarze, und als Zugabe folgte ein Elvis-Presley-Hit. Aufwertung des Solokonzertes war dennoch nicht drin. Gabriel Sili{teanu hat zweifelsohne das Zeug zum Setzen neuer Maßstäbe, die aber entfallen, wenn das Orchester der Hermannstädter Staatsphilharmonie im selben Konzert Hürden der 9. Sinfonie von Gustav Mahler (1860-1911) nehmen muss. Durchschnittliche Qualität provinzieller Berufsorchester Rumäniens kann die musikalischen Wertunterschiede zwischen abendfüllender Sinfonie und kürzeren Programmstücken oftmals nicht ausgleichen. Selbst geschickten Gastdirigenten sind die Hände gebunden, wenn in höchstens vier Probentagen ein deftiges Werk spätromantischer Schwere erarbeitet werden will, das gut und gerne doppelten Zeitaufwand gebrauchen könnte. Gábor Horváth (Ungarn) steht sehr hoch im Kurs bei Hermannstadts Orchestermitgliedern, aber auch ihm blieb in der letzten Januar-Woche nichts anderes übrig, als das Opus vor der Pause mit reservierter Kraft anzugehen, um an Mahlers Neunter nicht Hungerast zu erleiden.
Wachen Ohren fällt auf, wie viel Ausnahme oder Hausregel in einem einwandfrei tönenden Orchesterklang steckt. Der einzig grobe Schnitzer während des 80 Minuten dauernden Umherirrens durch Erinnerungen an Kindheit, Volksmusik, Militärsignale und Kapellmeister-Karriere im ausklingenden Zeitalter des großbürgerlichen Kaiserreichs Österreich-Ungarn schoss unerwartet spät durch den Thaliasaal. Wer hätte gedacht, dass Mahlers Neunte in einer Aufführung durch die Staatsphilharmonie Hermannstadt nur von einem intonatorischen Ausrutscher der hohen Streicher im vierten Satz getrübt werden sollte? Gábor Horváth hat das Kunststück fertiggebracht, dem Orchester die Überzeugung einzuhauchen, es nicht bei unfallfreiem Abspielen der Noten zu belassen. Beachtlich für ein Mittelklasse-Ensemble, Mahlers hochempfindliches Gemüt zum Sprechen bringen zu können, und vorteilhaft die Strategie, dass der edle Gast aus Budapest in der laufenden Spielzeit dreimal Hand anlegen darf. Je öfter die Staatsphilharmonie Hermannstadt Dirigenten seiner Klasse in den Thaliasaal einlädt, desto höher ihre Chance, Bukarest und Klausenburg/Cluj-Napoca auf Augenhöhe zu begegnen.
Hierfür wäre auch akustische Neuerung nicht fehl am Platz. Ein harsches Paukensolo bald nach Anfang der Neunten Mahlers und flauschiger Teppichboden im Zuschauerraum des Thaliasaales, der jeden zweckdienlichen Nachhall absaugt statt ihn zu erzeugen, das passt einfach nicht zusammen. Mehr Achtung vor der Leistung der Aufführenden stünde auch dem Publikum nicht schlecht. Applaudieren ist willkommen, pünktliches Eintreffen am eigenen Sessel noch vor dem Auftritt der Orchestermitglieder verpflichtend. Große Musik geht schlecht mit kleinem Anspruch an sich selbst. Hermannstadt hat noch Luft nach oben in Sachen Musikleben. Allen voran die Orchestermitglieder, schließt doch Mahlers Neunte nicht anders als Haydns „Abschied“-Sinfonie. An der Körpersprache unbeschäftigter Blech- und Holzbläser konnte man das ein oder andere gelangweilte Abwarten des Schlussstriches ablesen. Mahler dagegen ist so stark, dass auch die Uninteressierten sich noch einmal instinktiv aufrichteten. Es wäre so einfach, wenn Anziehungskraft sich in aller Orchesterliteratur wie von selbst einstellte. Dann bräuchte man nicht nachdenken, womit Widerstand von Gegnern künstlerischer Arbeit konfliktfrei gebrochen werden kann.